Keine Alternative zur GroKo?

Minderheitsregierung Was Deutschland von der Minderheitsregierung in Portugal lernen könnte

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Nach dem Scheitern der Sondierungsgespräche der sogenannten Jamaikakoalition wurde als Alternative zur Neuauflage der GroKo des Öfteren eine Minderheitsregierung ins Spiel gebracht. Für Angela Merkel und ihre CDU/CSU Fraktion wäre eine solche Regierungsform ohne parlamentarische Mehrheit ein Gräuel. Schließlich müsste fortan in Berlin eine fraktionsübergreifende Politik betrieben werden, die tatsächlich die Interessen einer Vielzahl der Volksvertreter berücksichtigt und nicht nur die zweier sich kaum mehr unterscheidender großen Parteien. Gesetzesentwürfe könnten nicht mehr einfach im Bundestag durchgewunken werden, so, wie es die letzten vier Jahre unter CDU/CSU und SPD der Fall gewesen ist. Das klingt doch nach echter Parlamentsarbeit und Demokratie.

Medien und führende Politiker des Landes lehnen eine Minderheitsregierung kategorisch ab. Als ineffizient, instabil und außenpolitisch nicht handlungsfähig wird sie charakterisiert. Und auch in der Öffentlichkeit ist diese Regierungsform eher negativ konnotiert. Doch handelt es sich dabei nicht um einen Trugschluss? Zunächst einmal ist bereits der Begriff irreführend. Im Grunde genommen handelt es sich weniger um eine Regierung von Minderheiten als vielmehr um eine Regierung mit wechselnden Mehrheiten. Weitere Ursachen für die Ablehnung könnten zum einen aus den negativen Erfahrungen der Weimarer Republik resultieren und zum anderen, dass eine solche Regierungsform hierzulande auf Bundesebene bisher noch nicht umgesetzt wurde. Lediglich 1966, 1972 und 1982 gab es kurzzeitig keine Mehrheit für die Regierungskoalition. Hingegen kam es auf Länderebene schon häufiger vor, dass eine Partei ohne parlamentarische Mehrheit die Regierungsgeschäfte geführt hat. Prominentestes Beispiel wäre das sogenannte Magdeburger Modell. Von 1994-2002 stellte die SPD in Sachsen-Anhalt unter Duldung der damaligen PDS den Ministerpräsidenten im dortigen Landtag.

Ein Blick auf die europäische Landkarte belegt, dass andere Länder offensichtlich gute Erfahrungen mit dieser Regierungsform gesammelt haben. Insbesondere in Skandinavien stellt dieses Konzept eher den Normal- als den Ausnahmefall dar. Seit 1945 gab es in Dänemark, Schweden und Norwegen häufiger Regierungen mit wechselnden Mehrheiten als feste Regierungskoalitionen. Bei Betrachtung des politischen Systems, der Wirtschaftsleistung, des Bildungssystems und der allgemeinen Bevölkerungszufriedenheit dieser Länder kann wohl kaum von Rückständigkeit oder Chaos gesprochen werden. Selbstverständlich lassen sich diese Faktoren nicht explizit auf die Mehrheitskonstellationen im Parlament zurückführen, jedoch scheint es diesen Staaten auch keinen Nachteil gebracht zu haben.

Auch Portugal wird seit November 2015 von einer Minderheitsregierung unter Ministerpräsident António Costa geführt. Die sozialdemokratische Partido Socialista (PS) leitet die Regierung und wird dabei von einer linken Partei (Bloco de Esquerda) und einem Wahlbündnis aus Kommunisten und Grünen geduldet. Zunächst wurden dieser Regierungskonstellation keine Erfolgschancen in Aussicht gestellt, Portugal aus der seit 2008 anhaltenden Finanzkrise herauszuführen. Die portugiesische Administration widersetzte sich dem Spardiktat der Gläubiger. In der Folge stiegen die Gehälter von Beamten sowie der Mindestlohn. Außerdem kehrte die Verwaltung zur 35-Stunden Woche zurück. Der damalige deutsche Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) prognostizierte bereits den nächsten Staatsbankrott.

Mittlerweile sind die Vorbehalte gegen die Mitte-links-Regierung verflogen. Das Haushaltsdefizit konnte von 4,4 auf 1,4 Prozent im Jahr 2017 gesenkt werden. Gleichzeitig schrumpfte die Arbeitslosigkeit auf 8,5 Prozent - das niedrigste Niveau seit acht Jahren. Begünstigt wurden diese Entwicklungen durch ein Wirtschaftswachstum von 2,6 Prozent. Das Bruttoinlandsprodukt stieg um mehr als zwei Prozent. Diese Erfolge würdigten auch zwei der großen Ratingagenturen Standard and Poor‘s und Fitch, die in der Folge Portugal wieder als kreditwürdig einstuften. Zusätzlich belegt die Wahl des portugiesischen Finanzministers Mário Centeno zum Chef der Eurogruppe auch die Anerkennung Brüssels gegenüber der portugiesischen Wirtschaftspolitik.

Was kann Deutschland nun von der Regierungskonstellation in Portugal lernen? Zunächst hat die portugiesische Minderheitsregierung gezeigt, dass das Mantra von der Austeritätspolitik überholt ist und es auch andere Wege aus der Krise geben kann. Des Weiteren zeigt die portugiesische Exekutive, dass diese keine eigene Parlamentsmehrheit benötigt, um eine Politik zu betreiben, die den Interessen der Bevölkerung entspricht. Unter Umständen sollten sich aktuell insbesondere Mitglieder und Politiker der SPD aber auch der CDU von der Regierungsarbeit in Portugal und den skandinavischen Ländern inspirieren lassen. Denn es gibt Alternativen zu einer Großen Koalition in unserer parlamentarischen Demokratie. Diese würde die politische Diskussion und Konsensfindung im Parlament in den Vordergrund rücken und den deutschen Sozialdemokraten die Chance geben, nach einer weiteren Legislaturperiode nicht in der politischen Bedeutungslosigkeit zu versinken.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Florian Sachse

ist Zeithistoriker und freier Journalist. Lebt und arbeitet in Berlin

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