Kampfhühnerzeit

Österreich Kurz vor der Nationalratswahl gerät die Politik wieder in den Mahlstrom von Casting, Skandal und Seifenoper
Ausgabe 37/2019

Wen interessieren schon Themen? Derer gäbe es zwar genug: Wohnen, Gesundheit, Bildung, Verkehr, Arbeit, sogar Klimaschutz. Sie kommen zwar vor, aber sie verursachen durch Phrasen und Nullaussagen lediglich ein Rauschen im Hintergrund. Wird über sie gesprochen, werden sie nicht erörtert, sondern zerredet. Tatsächlich hat man vor der vorgezogenen Nationalratswahl am 29. September das Gefühl, dass es in den Wahlkämpfen primär um leidige Korruption und persönliche Verfehlungen geht. Wichtiges und Nichtiges sind dabei leicht zu verwechseln. Wem können wir was anhängen?, fragen sich hoch dotierte Campaignisierer: Welches G’schichterl drücken wir rein?

Zuletzt kam die ÖVP in Bedrängnis, weil sie angeblich via doppelter Buchführung ihre Wahlkampfausgaben verschleiern wollte. Diese unterliegen in Österreich einer Obergrenze. Die Volkspartei behauptet nun, dass die Daten gestohlen und manipuliert worden sind. Das ist nicht ganz auszuschließen, wenn auch nicht wahrscheinlich. Das Reframing soll so funktionieren: Da gab es eine Hackerattacke! Waren es die Russen oder ein Mitbewerber? Auf jeden Fall soll ein Narrativ von einem anderen Narrativ abgelöst werden. Mutmaßliche Täter transformieren sich zu vermeintlichen Opfern. Näherliegend ist freilich, dass in der ÖVP-Zentrale Maulwürfe sitzen, die aus welchen Gründen auch immer das kreative Rechnungswesen verraten haben.

Wahlkämpfe reduzieren sich immer mehr zu einem allumfassenden Casting der Spitzenkandidaten. Da geht es inzwischen Schlag auf Schlag, das heißt, wer schlägt wen? Nirgendwo ist die Dichte an Fernsehduellen so hoch wie in Österreich. Die direkten Konfrontationen gleichen einer Endlosschleife: jeder gegen jeden, alle gegen alle. Und das auf diversen Sendern. Ziel muss sein, atmosphärisch zu punkten. Auf einschlägigen Kanälen werden Kandidaten gleich Kampfhühnern in die Arena geschickt. Politik als Show zu kritisieren, ist zwar keine falsche Diagnose, aber doch eine hilflose, eben weil die ganze Gesellschaft mittlerweile auf die Kulturindustrie konditioniert ist. Der mediale Selbstlauf vermag allen Bekenntnissen zum Trotz nichts anderes anzustellen. Gefragt ist schlicht die Performance. Politik gerät in die Castingmaschine, wo dann sogleich eine Jury die Haltungsnoten mitliefert. Wie kommt nun diese Dynamik in die Politik? Warum lässt sie sich nicht stoppen, sondern verschärft sich zusehends, nicht nur in Österreich? Warum gewöhnt man sich diese Politik zum Abgewöhnen nicht ab?

Es ist auch wirklich kurios. Diese Nationalratswahl gibt es nur aufgrund des Ibiza-Videos. Die Regierungskonstellation, die wir vorher hatten, werden wir wohl auch nachher wieder haben. Die ÖVP wird etwas stärker und die FPÖ etwas schwächer geworden sein. Dass Sebastian Kurz siegt, das ist fix, es fragt sich bloß mit welchem Vorsprung. Am meisten zugewinnen werden die Grünen. Sie haben nicht nur wegen der Klimakrise Konjunktur, viele Wähler wollen sie auch dafür entschädigen, dass sie das letzte Mal den abtrünnigen Peter Pilz oder gleich die SPÖ gewählt haben und die Ökopartei deswegen aus dem Nationalrat geflogen ist.

Strache stört nicht

Der FPÖ wiederum hat Ibiza kaum geschadet. Die Freiheitlichen würden nur dann abstürzen, wenn Ex-Parteichef Heinz-Christian Strache auszuckt. Gelegentlich war er, der bloß zwischenzeitlich Ausgeschiedene, auch nahe dran, doch letztlich fügte er sich dem Deal mit dem designierten Parteichef Norbert Hofer: „Strache ist jetzt sehr ruhig und stört den Wahlkampf nicht“, sagt dieser. Dafür bekommt seine Frau Philippa auch ein Nationalratsmandat. Die Nahversorgung ist somit gesichert. Die Parteibasis hält aber noch immer fest zu ihm, die Parteigranden hingegen sind erzürnt über das Video. Nicht, dass man das nicht sagen darf, aber welcher Trottel lässt sich dabei filmen? Von einem Ende der Karriere sollte man indes nicht ausgehen. Im Interregnum macht Philippa auf Evita und heilt die Wunden. „FPÖ schafft mit Philippa das Comeback“, schreibt das Boulevardblatt Österreich. Es grenzt nicht nur an eine politische Soap Opera, es ist eine. Häufen sich die Peinlichkeiten und Blamagen, sind es keine mehr.

Der große Skandal ist, dass fast nur noch Skandal ist. Man versinkt förmlich im Morast der Affären. Permanent wird etwas mit oft dubiosen Methoden aufgedeckt und durch undurchsichtige Kanäle weitergeleitet. Verdächtigungen und Anschuldigungen haben Saison. Politik erscheint als Dunkelkammer. Nicht, dass es diese schwarzen Räume nicht gibt, soll behauptet werden, aber ihre Relevanz wird überschätzt. Ohne Protektion keine Politik.

Wenn dann zu allem Überfluss der Begriff „neue Politik“ fällt, kann einem bloß noch schlecht werden. Das ist, gelinde gesagt, eine Drohung und keine Hoffnung. Kann die Sprüche von Transparenz und Sauberkeit noch jemand hören? Anstatt sich also über die Korruption der Kavaliere zu echauffieren, sollte man sich hinsetzen und in Ruhe konstatieren, dass es so läuft. Straches paradigmatischer Satz: „Novomatic zahlt alle“, sollte als grundsolide Aussage über das Verhältnis des mächtigen Glücksspielkonzerns zu den Parteien ernst genommen werden. Tut man das, gerät freilich einiges mehr ins Rutschen, als das ohnehin schon der Fall ist. Der Skandal wäre nicht als Abweichung, sondern als Norm zu denken.

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