Im Gegensatz zu Deutschland, wo die Wahl trotz des wahrscheinlichen Einzugs der AfD in den Bundestag eher konventionell und bieder (Merkel gegen Schulz!) abläuft, ist das politische System in Österreich regelrecht in die Mischmaschine geraten. Die Volatilität nimmt zu, Übertritte und Austritte bestimmen die parlamentarische Szene. Wichtiger, als zu prognostizieren, wer reüssiert, ist zu konstatieren, dass das Parteiensystem im Zerfall begriffen ist. Österreich liegt im Trend.
Wahlkämpfe sind immer stärker atmosphärisch ausgerichtet. Es geht weniger um die Mobilisierung von Interessen als die Produktion von Stimmung und darum, die Wähler richtig zu temperieren. Inhalte werden über Reizworte beschworen, nicht über Konzepte abgehandel
abgehandelt. Mindestsicherung, Bildung, Gesundheit und Wohnen spielen konträr zur ihrer lebensweltlichen Bedeutung kaum eine Rolle. Stattdessen tobt ein Kulturkampf, der bei aller berechtigten Kritik an Hasspredigern und islamistischen Kindergärten den Charakter eines abendländischen Abwehrkampfes annimmt. Die FPÖ fordert nach US-Vorbild gar ein Heimatschutzministerium.Jede Menge KollateralschädenOb SPÖ-Kanzler Christian Kern das Ergebnis seines Vorgängers Werner Faymann, der zumindest die letzte Nationalratswahl trotz schwerer Verluste noch gewonnen hat, halten kann, darf bezweifelt werden. Die Partei wirkt unbeholfen, oftmals dilettantisch. Die Frage, ob die SPÖ mit der FPÖ koalieren darf, ist durch die Frage ersetzt worden, wie man ein Bündnis mit FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache verkauft. Indes fahren die Sozialdemokraten diesen Kurs nicht konsequent, sondern aufgrund mentaler und politischer Vorbehalte mit angezogener Handbremse. Es fällt auf, dass die SPÖ derzeit sowohl rechts als auch links blinkt. Kerns Politik gleicht einem Slalom, bei dem der Kanzler durch markante Aussagen zwar Tempo zu machen versteht, aber regelmäßig einfädelt, während sein Kontrahent Sebastian Kurz, Außenminister und Spitzenkandidat der ÖVP, den geraden Weg der rechten Abfahrt nimmt und so wohl schneller am Ziel ist.Der plumpe Kurs des konservativen Jungstars hat zumindest dazu geführt, den Aufstieg der FPÖ zu bremsen und seine marode Volkspartei, die zu einem Fanclub umfunktioniert wurde, in den Umfragen nach vorn zu bugsieren. Derzeit erscheint Kurz als der nicht mehr einholbare Favorit. Er wirkt trotz seiner 31 Jahre erfahren, er sitzt ja auch schon sieben Jahre in der Regierung und hat in seinem Leben nie etwas anderes gemacht außer Politik. Wenn die Illuminierung des Wahlvolks Zweck der Kampagnen ist, dann sieht die ÖVP tatsächlich neuer aus, als sie ist, während die SPÖ genau so alt aussieht, wie sie ist.Christian Kern muss einen Kollateralschaden nach dem anderen aus dem Weg räumen. Da ist einmal die gruselige Geschichte mit dem als Wundercoach verschrienen Wahlkampfberater Tal Silberstein, der kürzlich in Israel verhaftet wurde und nun wegen schweren Korruptionsverdachts unter Hausarrest steht. Hurtig trennte man sich von dem Mann, der die SPÖ-Kampagne so richtig anheizen sollte. Da sind weiter die recht vielschichtigen Firmengeflechte des auf Gerhard Schröders Spuren agierenden Ex-SPÖ-Chefs und Kurzzeitkanzlers Alfred Gusenbauer, der mit Silberstein und anderen in diverse Geschäfte verwickelt ist. Das hinterlässt einen fatalen Eindruck. Gusi, ein eifriger Sammler von Aufsichtsratsposten, gilt inzwischen als Problembär. Soeben hat auch noch der Wiener SPÖ-Bürgermeister Michael Häupl seinen baldigen Rückzug aus der Politik angekündigt. Warum er das mitten im Wahlkampf tut, ist ein Rätsel.Und wie reagiert der Kanzler? „Alles ist auf Schiene“, behauptet der Mann, auch wenn die Lok einen Getriebeschaden hat. Den eigenen Leuten wider besseren Wissens suggerieren, dass die Stimmung gut sei, ja, der Wahlkampf ausgezeichnet laufe, wird nicht reichen. „Das Feuer an der Basis brennt nicht“, sagt ein Gewerkschafter. Als SPÖ-Rettungsanker gelten die Fernsehduelle, bei denen Kern es Kurz schon zeigen wird. Aber selbst wenn das aufgeht, wird es nicht die Stimmen bringen, um die Wahl noch zu drehen. Der Vorsprung des ÖVP-Chefs hat sich über die Monate verstetigt, da mag der Kurz-Hype noch so eine Blase sein. Die ÖVP mag ein plumpe Wahlkampftaktik fahren – im Gegensatz zu den Genossen hat sie eine.Die Grünen strauchelnZu konstatieren ist ein Versagen der linken Mitte. Auch die Grünen, die mittlerweile in fünf Landesregierungen sitzen und vor einigen Monaten ihren Kandidaten als Bundespräsidenten durchsetzen konnten, befinden sich in einer veritablen Krise. Sie dürften bei der Nationalratswahl am 15. Oktober halbiert werden. Schuld an diesem Desaster ist nicht zuletzt, dass der bei der parteiinternen Listenerstellung gescheiterte Peter Pilz und zwei weitere durchgefallene Nationalräte selbst zur Wahl antreten. Auch wenn die Liste Pilz nie und nimmer die Ökopartei gespalten hat, kommt das so rüber. Der am rechten Flügel bei den Grünen angesiedelte Pilz beherrscht das Ping- pong mit den Medien. Nur auf diesem Boden kann er gedeihen, aber dort gedeiht er prächtig. Wenn die Phalanx von linksliberalen Medien bis hin zum rechten Boulevard hält, ist die Liste aufgrund des Hypes für eine Überraschung gut. Wenn sie bricht, ist ein Überspringen der Vier-Prozent-Hürde unwahrscheinlich.Die Zeichen stehen auf Schwarz-Blau, eine ÖVP-FPÖ-Koalition. Mit ihrem Wirtschaftsprogramm haben sich die Freiheitlichen klar marktradikal und nicht sozialpopulistisch positioniert. In der Flüchtlings- und Sicherheitspolitik unterscheidet ÖVP und FPÖ maximal der Ton, nicht die Programmatik. Plump statt grob, so feiert der Abwehrkampf gegen Ausländer und besonders Muslime bei Sebastian Kurz seine bürgerlich gepflegten Exzesse. Nebenbei möchte der neue Mann etwa 80 Prozent des christkonservativen Parlamentsklubs austauschen. Seine Vorliebe für Quereinsteiger ist nichts anderes als eine Adaption der Politikmache Jörg Haiders. Der Apparat rebelliert nicht. Solange die Umfragewerte stimmen, liegt die Partei Sebastian Kurz zu Füßen. Aktuell ist sie ein Popanz. Sobald Kurz strauchelt, wird die ÖVP wieder zum Torso. Das wird bald, aber nicht sehr bald sein.
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