Verheddert und geschreddert

Österreich Wie Arno M. für Basti K. einige Festplatten entsorgte und das Vorbeben eines Skandals auslöste
Ausgabe 31/2019
Im Papierzeitalter war die Beweismittelvernichtung noch recht einfach. Für digitale Daten braucht es härteres Gerät
Im Papierzeitalter war die Beweismittelvernichtung noch recht einfach. Für digitale Daten braucht es härteres Gerät

Foto: Imago Images/Panthermedia

Manchmal fliegt auf, was nie und nimmer auffliegen würde, wäre ein Beteiligter nicht so dumm wie dieser für Social Media im Kanzleramt zuständige Arno M. Wahrscheinlich wäre gar nichts aufgefallen, hätte sich der Arno beim Schreddern sensibler Festplatten nicht so dilettantisch benommen. Was darauf gewesen ist, wird man wohl nie mehr erfahren. Es ist nicht auszuschließen, dass das Material, welches da zwischenzeitlich gespeichert wurde und klammheimlich entsorgt werden sollte, mehr peinlicher als brisanter Natur gewesen ist. Fotos von wilden Partys aus den Tagen seines „Geilomobils“ (Sebastian Kurz) etwa. Vielleicht. Derlei wollte man verhindern.

Mit der Abwahl der Regierung Kurz hatte man nach dem Ibiza-Gate der Freiheitlichen von der FPÖ nicht gerechnet, vielmehr wollten sich die Türkisen auf Jahre im Kanzleramt einnisten. So geriet Arno in Panik. Wie sonst ist zu erklären, dass ein Mitarbeiter des Kanzleramts und Kompagnon von Kurz aus den Tagen der jungen ÖVP sichtlich nervös und verhaltensauffällig bei der Firma Reißwolf aufmarschiert, in seinem Beisein fünf Festplatten dreimal (!) schreddern lässt, die Granulatreste dann auch noch mitnimmt, der Firma einen falschen Namen mitteilt, aber die richtige Telefonnummer hinterlässt und die Rechnung von 76 Euro nicht bezahlt. Bei Kurzens groß inszeniertem Auftritt zum Abtritt war Arno dann so nahe am Sebastian postiert, dass sein Konterfei auch in diverse Sendekanäle gespült und er dabei prompt von den Reißwolf-Mitarbeitern erkannt wurde. „Das ist doch der, der ...“

Die kriminelle Energie scheiterte an der kriminellen Impotenz. Alsbald waren die Mitschnitte aus der firmeneigenen Überwachungskamera in der Redaktion des Wochenblattes Falter gelandet. Inzwischen hat auch die Korruptionsstaatsanwaltschaft – konkret die Soko Ibiza – übernommen. Es geht zu wie in einem österreichischen Tatort, nur die Leiche fehlt. Unbestätigten Fakes zufolge soll der Mann mit türkisem Gesicht und schwarzem Vollbart Angst gehabt haben, dass er selbst in den Schredder gezogen wird. Das zumindest konnte verhindert werden.

Wenn ÖVP-Chef Kurz nun recht hat, dass es sich bloß um einen „üblichen Vorgang“ gehandelt habe, fragt sich, wieso der gute Arno bei diesem legalen Trip so aus dem Häuschen geraten konnte. Möglicherweise tut sich die neue Volkspartei auch schwer, zwischen üblichen und üblen Vorgängen zu unterscheiden. Gegenüber Armin Wolf im ORF hat ÖVP-Generalsekretär Karl Nehammer beiläufig, aber ausdrücklich bekannt, dass etwa Strategiepapiere der ÖVP im Kanzleramt gedruckt und wohl auch besprochen und vorbereitet wurden. Wozu hammas denn, das Amt? Das ist zwar nicht wahnsinnig überraschend, aber die Kaltschnäuzigkeit des jungkonservativen Mobs ist doch frappant. Dass es so etwas wie ein Bundesarchivgesetz (samt Aufbewahrungspflicht und Sperrfristen) gibt, interessiert dort niemanden.

Ciao, Arno, ciao

In Zeiten wie diesen, wo alles mehrfach abgespeichert wird, ist es tatsächlich schwierig geworden, Dokumentiertes spurlos verschwinden zu lassen. Irgendwo im Netz der Daten, der Platten, Sticks, DVDs oder gar antiken Disketten bleibt stets was hängen. Es ist ein allseits verhedderter Zusammenhang. Was wo drauf ist, weiß man dann oft auch nicht mehr so genau, vor allem wenn mehrere Personen Zugang haben. Und es ist ebenso davon auszugehen, dass sich immer mehr Menschen durch legale wie illegale Aufzeichnungen absichern oder aber zu gegebener Stunde Vorteile auskosten wollen. Noch dazu kann man jemanden erpressen oder mit dem Material am Medienmarkt auftrumpfen. Nicht immer geht es um Kohle, aber oft ist Kohle im Spiel.

Das „politische Jahrhunderttalent“ Sebastian Kurz war in diesen heißen Sommertagen übrigens nicht zu Hause, sondern als „Not at the moment“-Chancellor auf Staatsbesuch im Silicon Valley. Ob sie ihm dort auch einen neuen digitalen Schredder mitgegeben haben? Vielleicht haben die solches schon als Software im Sortiment, auf dass man sich das Vernichten allfälliger Hardware ersparen kann. Gar kryptisch meinte der junge Altkanzler: „Ich werde das jetzt einmal alles aufsaugen und analysieren.“ Gemeint waren damit nicht die geschredderten Granulate, sondern die digitalen Formate aus dem Tal der Täler.

Sebastian wird also nicht unmittelbar in den Reißwolf geraten, sondern bloß wieder einmal einen Freund verabschieden müssen. Verschmerzbar, es wäre nicht das erste Mal. Ciao, Arno, ciao. Es ist aber nicht davon auszugehen, dass dieser Skandal die Chancen von Kurz bei der Nationalratswahl am 29. September maßgeblich beeinträchtigt. Da ist man immun. Der Vorsprung in den Umfragen ist gewaltig. Noch dazu soll auch beim Übergang von Christian Kern (SPÖ) zu Kurz angeblich einiges geschreddert worden sein. Die Schredder-Affäre wird das Sommerloch bespielen, und das wird’s dann auch gewesen sein.

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