Corona-Tsunami, jetzt - und nichts weiter

Abwassermonitoring Schreckenszahlen im Abwasser und gehäufte Krankenstände: Haben wir ein Problem?

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Wer bislang von Corona-Wellen gesprochen hat, müsste nun eigentlich von einem regelrechten Tsunami des C-Virus sprechen.
Eine Corona-Monster-Welle rollt übers Land, kann man sagen.
Es gibt Zahlen, die rekordverdächtig hohe Werte ausweisen.
Im Vergleich zum Vorjahr gibt es nun auf einmal Zahlenwerte in - man glaubt es kaum - dreifacher Höhe.
Und doch: In der realen Welt der lebenden Menschen scheinen diese Zahlen kaum noch eine Bedeutung zu haben.
Es passiert – nichts. Nicht viel jedenfalls.

Nun, von welchen Zahlen sprechen wir hier?
Um dem C-Virus und seinen Artverwandten auf die Spur zu kommen, kann man sich Ende 2023 ja nicht mehr auf am Individuum durchgeführte Corona-Tests stützen.
Kaum noch wird getestet, die vielen aufgepoppten Testzentren haben längst wieder dichtgemacht, und wo sich die Menschen selbst auf Verdacht testen, werden die Testergebnisse nicht mehr amtlich erfasst.
Das heißt, die Zahlen kommen jetzt von anderswo, und zwar: Aus der Kanalisation.
Man spricht jetzt vom „Abwassersignal“, nachdem die sogenannten „Humansignale“, die massenhaften Corona-Testungen, ausbleiben.
Zusätzlich zu der Überwachung von oben, die etwa mit vielen Kameras allenthalben schon lauert, hat sich mit Corona also eine neue Überwachung eingeschlichen, eine von ganz unten.
„Abwassermonitoring“ nennt sich die neue Praxis, die unser aller Ausscheidungen systematisch auf Krankheitserreger, Stücke des Erbguts von Viren (nicht nur Corona!), Chemikalien, Drogenrückstände… untersucht.

Auf der offiziellen Seite https://abwassermonitoring.at/dashboard/ kann man die statistischen Kurven der Corona-Rückstände in den österreichischen Abwässern verfolgen.
Die Aufzeichnungen beginnen mit September 2021.
Im Dezember 2022/Jänner 2023 wurde das Programm auf insgesamt 48 Kläranlagen ausgebaut, die mit ihrem Einzugsgebiet mehr als 58% der österreichischen Bevölkerung abdecken.

Auf dem neuen Abwasser-Dashboard kann man heute einen aktuellen Wert von über 600 ablesen.
Laut Grafik handelt es sich bei diesem Wert um „Genkopien pro Einwohner und Tag *106“.
Im Vergleichszeitraum des Vorjahres lag dieser Wert bei nur 200.
Von 200 auf 600: Das ist eine Steigerung von 300 % und außerdem der höchste bis dato gemessene Wert.

Eine Steigerung der Corona-Virenlast um 300 % ist schon immens und müsste eigentlich alle Alarmglocken schrillen lassen.
Und doch – es scheint nichts Schlimmes zu passieren.
Man liest und hört nichts von einer außergewöhnlichen Überlastung der Krankenhäuser, es wird nicht auffallend viel gestorben, gelitten, es ist ruhig im Land.
Niemand redet vom Corona-Tsunami, der über uns hereingebrochen ist.

Gewiss, einige tun sich einmal mehr hervor, um mit Verweis auf die erschreckend hohen Zahlenwerte zu warnen, aber so richtig Thema ist das grade nicht.
Der deutsche Gesundheitsminister Lauterbach beispielsweise beruft sich ebenfalls auf Zahlen, die er aus der Kanalisation herausliest, um anschließend nach Maske, Impfung und Einschränkung zu rufen. (https://www.tagesschau.de/inland/gesellschaft/lauterbach-empfehlungen-corona-100.html)
Derlei Rufe verhallen allerdings weitgehend ungehört und sind bloß noch eine Randnotiz in den Nachrichten.

Medial beklagt wird derzeit in diesem Zusammenhang, wenn überhaupt, nur eine hohe Zahl an Krankenständen.
Höher noch als im vermeintlichen Rekordjahr 2022 soll diese Zahl heuer hierzulande sein, so sagt man; allerdings, wenn man sich die Statistik genauer anschaut, liegen die Rekorde dann doch in ganz anderen Jahren. Man muss nur weit genug zurückschauen.

Auf https://www.statistik.at/statistiken/arbeitsmarkt/arbeit-und-gesundheit/krankenstaende kann man bis ins Jahr 1965 zurückverfolgen, wie viele Krankenstandstage pro erwerbstätiger Person in Österreich durchschnittlich angefallen sind.
Im Jahr 2022 waren das also 14,9 Tage im Schnitt.
Wohl bedeutet das eine Steigerung zu den Vorjahren 2021 und 2020 mit jeweils 12,3 und 12,7 Tagen; erwähnt werden sollte an dieser Stelle aber auch, dass wiederum im Vergleich zu den vor-pandemischen Jahren 2019 (13,1 Tage) oder 2018 (13,3 Tage) damals schon auch ein außergewöhnlicher Rückgang an Krankenständen zu verzeichnen war, der den darauffolgenden Anstieg wieder relativiert.
Bemerkenswert ist der Rückgang von 2020 und 2021 auch insofern, als dass man sich für die Corona-Jahre doch eigentlich einen Anstieg dieser Zahlen erwarten sollte.
Dass es während der Hochzeiten der Pandemie weniger Krankenstände gab als in den Jahren zuvor ist allemal kurios; ist aber womöglich auch auf die Effekte von Kurzarbeit und Betriebsschließungen zurückzuführen.

In Relation zum großen Ganzen relativiert sich die Sache dann ohnehin noch weiter.
Die richtigen Rekordmarken in puncto Krankenstand wurden nämlich schon in weitaus früheren Jahren gesetzt.
Laut „Statistik Austria“ waren das allen voran die Jahre 1980 mit 17,4 Tagen, gefolgt von 1965 mit 15,8 und 1985 mit 15,4 Tagen.
Das setzt nun die Zahl vom letzten Jahr, die 2022 immer noch unter 15 lag, in ein ganz neues Verhältnis - und vermutlich auch heuer wird man nicht über die alten Rekorde hinauskommen.

Fazit: Viele Krankenstände, ja, es hat aber auch schon mal mehr gegeben.
Im Nachsatz könnte man den Krankenstands-Anstieg von 2022 und 2023 natürlich schon auch in Verbindung mit der verabreichten mRNA-Impfung denken; allerdings bleibt dies vorerst reine Spekulation (wenn auch eine naheliegende).
Die Geimpften in meinem Umfeld zumindest scheinen neuerdings besonders anfällig für Infekte und Krankheiten jeder Art zu sein und finden sich auffallend häufig im Krankenstand wieder.

Unterm Strich ergeben sich aus diesen aktuellen Zahlen vor allem folgende drei Fragen:

1.) Was für einen Aussagewert haben nun die Zahlen des Abwassermonitorings?

Derzeit sind diese Zahlen geradezu erschreckend hoch – und doch braucht es ganz offensichtlich keine Maßnahmen.
Wohl wäre es ein Leichtes, bezugnehmend auf solch erschreckend hohen Zahlen einen neuen Ausnahmezustand auszurufen – später vielleicht mit einem anderen Virus, einem anderen Problemerreger.
Im Moment geschieht das nicht, weil die Gesellschaften momentan pandemiemüde sind und auf einen erneuten Corona-Alarm gar nicht anspringen würden.
In einer ferneren Zukunft aber, im rechten Moment, könnte man aufgrund eines solchen Zahlenmaterials einmal mehr grundrechtsverletzende Maßnahmen und Ausnahmezustände einleiten, auch ohne jede Notwendigkeit.
Diesen Gedanken sollten wir im Hinterkopf behalten.
Es verbleibt eine Überwachung mehr, gegen die man sich fallweise zur Wehr setzen muss.


2.) Ist es zielführend und angemessen, diese neuen Zahlen zu erheben?

Die Auswertung der Abwässer kostet Geld und Ressourcen.
Nicht so viel Geld und Ressourcen wie ehedem noch die zahllosen Corona-Tests, die sogenannten „Humansignale“, zugegeben; aber doch werden hier fortlaufend staatliche Gelder eingesetzt, ohne dass ein wirklicher Nutzen erkennbar wäre.
Jetzt sind die Virenrückstände im Abwasser also so zahlreich wie nie zuvor – und doch folgen aus diesen Zahlen keine erheblichen Probleme, gibt es keinerlei Reaktion, Konsequenzen.
Wozu also das Ganze?


Und schließlich:
3.) Könnte nicht auch eine Häufung der Krankenstände künftig neue Maßnahmen rechtfertigen?

So zwischen den Zeilen hört man das schon auch heraus, wo die vielen Krankenstände beklagt werden:
Die Menschen da draußen sollten besser alle Maske tragen, auf Zusammenkünfte verzichten und möglichst frisch Corona-geimpft sein, damit es rund läuft im Land. Vielleicht braucht es auch wieder verpflichtende Maßnahmen, lautet der Subtext.

In der Corona-Zeit waren die rigiden Maßnahmen von oben verordnet worden mit der Begründung, es ginge immerhin um Leben und Tod.
Ob diese Begründung nun zutreffend war oder nicht, sie hatte inhaltlich allemal eine andere Qualität als eine potentielle Begründung à la „zu viele Krankenstände im Land“.
Argumentiert man solcherart mit den Krankenständen herum, argumentiert man auf einer ökonomischen Ebene – und die sollte eigentlich nicht ausreichen, um weitreichende Maßnahmen und staatliche Reglementierungen zu rechtfertigen.
Wenn Arbeitskräfte krankheitsbedingt ausfallen, wenn aus diesen Gründen Busfahrer, Kassiere und Krankenpfleger… vorübergehend fehlen, ist das wohl ein Problem für das Funktionieren eines Betriebes und im weiteren Sinn auch für das Funktionieren der Gesellschaft; es dürfte dieses Problem aber trotzdem kein hinlängliches Argument sein für die altbekannten Maßnahmen & Co.
Es fehlt die unmittelbare Bedrohung von Leib und Leben, das Argument bleibt dünn.
Zumutbares, gelindestes und geeignetes Mittel sind Maßnahmen nach Art der Corona-Zeit hier schon gar nicht.
Das Problem mit den Krankenständen resultiert ja auch nicht zuletzt daraus, dass unter den Schlagworten „Sparsamkeit“ und „Effizienzsteigerung“ die Zahl der Mitarbeiter überall möglichst klein gehalten wird, aus Prinzip. Fällt in diesem Szenario Personal aus, macht das natürlich Probleme und stresst zusätzlich.
Ein Gegenkonzept wäre sicherlich, die Zahl der Mitarbeiter standardmäßig nicht allzu knapp zu bemessen, um gegebenenfalls Krankenstände besser auszugleichen (und um die Mitarbeiter prinzipiell zu entlasten) – nur leider steht das im Widerstreit zu den neoliberalen Mantras.

Wo man gegen neoliberale Mantras nicht ankommt und wo man ein gesamtgesellschaftliches Funktionieren bedroht sieht, könnte man sich leicht erneut dazu hinreißen lassen, Maßnahmen und Einschränkungen für die Bürger zu erlassen, um dem Problem doch irgendwie Herr zu werden.
So steht zu befürchten, dass die Hemmschwellen in puncto „Maßnahmen verordnen“ in dieser Hinsicht weiterhin abgesenkt werden.
Maske tragen, einschränken, impfverpflichten, vermeintliche Gefährder aussperren, verfolgen usw., bloß um die Fieberkurve der Krankenstände auf einem Dashboard abzuflachen: Ich kann es mir vorstellen mittlerweile.

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