"Dreck im Kopf"

Debattenkultur R.I.P. Ein dreiminütiges Video, in dem der Schauspieler Dieter Hallervorden ein Anti-Kriegs-Gedicht vorträgt, lässt medial die Wogen hochgehen. So mancher vergreift sich dabei schwer im Ton.

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Der Schauspieler Dieter Hallervorden hat ein Gedicht vorgetragen.
Das dreiminütige Video mit dem poetischen Text „Gaza Gaza“ macht gerade die mediale Runde.
Im Gedicht geht es um das Leid der Menschen in Gaza, die sich nunmehr von einem unbarmherzigen Krieg umzingelt, getrieben, getroffen… wiederfinden.
Die Verse enden auf die rhetorische Frage: „Und das soll kein Völkermord sein?“ (Genauer Wortlaut siehe unten).
Vom Hunger ist die Rede, von toten Kindern, und Menschen, wie Vieh vertrieben, zerfetzte Glieder… es wird schlicht der Schrecken des Krieges beschrieben, kann man so sagen.
Hallervorden nutzt seine Stimme und seine Reichweite, um auf das Grauen des Krieges hinzuweisen, der in den vergangenen 6 Monaten mehr als 30.000 Menschen das Leben genommen hat.

Wie nicht anders zu erwarten, wird ein solcher Hinweis im April 2024 medial gemeuchelt.
Das Hindeuten auf das Offensichtliche, das Leid der Menschen in Gaza, auf das unverhältnismäßig barbarische Vorgehen der israelischen Armee, das kritische Nachfragen… soll nicht sein.
Die Leitmedien überschlagen sich mal wieder, einen möglichen Völkermord, der möglicherweise vor aller Augen geschieht, empört auszuschließen und wollen es auch nicht gelten lassen, dass selbst der Internationale Gerichtshof diese Möglichkeit erst vergangenen Februar angenommen und als plausibel erachtet hat.
Es hagelt vor allem Antisemitismus-Vorwürfe auf den Poeten herab, als wäre es nur zweitrangig, dass 30.000 Palästinenser in diesem Krieg draufgegangen sind.
Davon spricht kaum einer dieser „Kritiker“, die sich angesichts eines Anti-Kriegs-Gedichts in Rage reden, weil schon wieder einer das Narrativ vom „gerechten Töten“ in Frage stellt.
„Peinliches Pathos“ soll es sein, wenn man von den Zehntausenden toten und von den Millionen notleidenden Menschen spricht. Das sagen die Kritiker, ohne mit der Wimper zu zucken.
Und: „Täter-Opferumkehr“ sagen sie, weil hier einer auch auf die andere Seite draufschaut.

Man sieht, es hat nicht viel geholfen, dass Hallervorden das Video mit den derzeit gefragten Bekenntnissätzen eingeleitet hatte, er „verurteile natürlich den Terror der Hamas“.
„Wiederholt alle Narrative der Hamas!“ und „Schande!“ wird der Künstler für sein Video anschließend abgekanzelt, mit den ärgsten Vorwürfen, dahinter kaum ein Argument, Beschimpfungen bloß.

Den Vogel abgeschossen hat aber eine CDU-Bundestagsabgeordnete namens Gitta Connemann.
Sie urteilte, in Anspielung auf diesen Film „Honig im Kopf“, in dem Hallervorden einen Alzheimerkranken gespielt hatte:
“Statt Honig Dreck im Kopf“.

„Dreck im Kopf“ – so wird sie zitiert, als wäre das jetzt normal.
Der Focus hat dieses Zitat sogar in den URL zum verlinkten Artikel eingebaut (siehe Quellenangabe).
Ich meine, das ist doch eigentlich diese Hasssprache, die die Leitmedien sonst so leidenschaftlich gern anprangern.
Ich meine, es jemandem auf den Kopf zuzusagen, es befände sich eben darin nichts als Dreck, dazu würde ich mich nicht hinreißen lassen. Niemals.
Noch nicht mal dann, wenn die Ansichten eines Gegenübers völlig abstrus oder irre wären.
Im konkreten Fall, wo ein Mann auf ein sehr reales und offensichtliches Kriegsgräuel hindeutet, geht so ein Satz natürlich noch viel weniger.
Eine Politikerin im Schlaglicht der Öffentlichkeit sollte zudem nochmal bedachter sein mit dem, was sie verbal rausschickt.
Ich meine, die Debatte, der Umgangston entgleitet total.
So völlig außer sich sind sie, die sie meinen, den Ton vorgeben zu müssen, dass sie sich schon heftig hysterisch in der Tonalität vergreifen.
Ich meine, wir haben ein Debattenproblem.

Und eine Doppelmoral!
Man stelle sich nur vor, ICH kleiner Niemand würde so einen Satz raushauen, wenn mir mal wieder einer erzählen will, Waffen würden jetzt einen Frieden schaffen oder es ginge im Krieg um was anderes als um schnöde Interessenskonflikte, dort drüben die Bösen…
Angenommen, ich würde in diesen Diskussionen so ähnlich „argumentieren“ wie die Frau von der CDU…
Nicht auszudenken, was dann los wäre!
„Dreck im Kopf“, das ist ja Beleidigung pur, ein grober persönlicher Angriff, schamlos, frech, erniedrigend, das geht einfach nicht, würde man ausrufen, wenn man mir eine solche Äußerung nicht sowieso augenblicklich unterm Hintern wegzensieren oder mich gleich gänzlich vom Diskurs ausschließen würde.

Gedicht „Gaza Gaza“ im Wortlaut:

Ein Mann drückt zerfetzte Fingerchen an seinen Bart,
beim Flüstern fest dran,
was haben denn die zarten
Dingerchen den Herrn Generälen getan?

Dann hebt er den Rumpf seiner Kleinen zu Allah,
in die Sonne, zum Mond.
Und wieder haben wir da
einen, der nichts und niemanden verschont.

Soll ich diesem Vater empfehlen,
so cool wie ein Talk-Gast zu sein,
sich bloß in keinem Wort zu verfehlen,
das antisemitisch erscheint?

Sie geloben Apartheid die Treue,
von Ampel bis AfD,
sie liefern Granaten aufs Neue,
bittend, zart damit umzugehen.

Beim Menschen-wie-Viecher-Vertreiben,
mit Hunger und mit Drohnen,
dieser Kinderfriedhof wird bleiben,
als Albtraum für Generationen.

Die aus Ohnmacht brodelnde Kraft
hat sich nie jemand selbst ausgesucht.
Doch die Macht, die die Bestien schafft,
aus kaltem Kalkül, sei verflucht!

Gaza Gaza, ich schlag meine Augen nieder
vor der Ohnmächtigen Geschrei,
vor Deinen zerfetzten Gliedern,
und ich frag mich da immer wieder:
Und das soll kein Völkermord sein?

(Text von Dieter Hallervorden und Diether Dehm)


Quellen:

https://www.berliner-zeitung.de/news/kritik-an-deutschland-und-israel-hallervorden-veroeffentlicht-gedicht-ueber-gaza-krieg-li.2206606

https://www.focus.de/kultur/stars/statt-honig-dreck-im-kopf-heftige-kritik-gegen-dieter-hallervorden-wegen-gaza-lied_id_259862418.html

https://www.welt.de/vermischtes/prominente/article251085386/Krieg-im-Gaza-Streifen-Eine-Schande-Dieter-Hallervorden-beruft-sich-auf-das-Recht-auf-Meinungsfreiheit.html

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