„Alle Arschlöcher, echt!“

"Der Wald vor lauter Bäumen" Maren Ade erzählt die Geschichte einer jungen, aber zunehmend verzweifelten Lehrerin und beweist einen feinfühligen Blick für zwischenmenschliche Komplexitäten. Offen bleibt, ob die Protagonistin an sich selbst oder der Schule scheitert.

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Der Lehrberuf ist einer mit sehr spezifischen Anforderungen. Nicht nur müssen die Inhalte der Fächer sitzen und diese mit hoher Motivation vermittelt werden, Lehrkräfte sollten außerdem empathisch sein, sich in ihre Schülerinnen und Schüler hineinversetzen können und darüber hinaus wissen, wie sie ihnen pädagogisch auf Augenhöhe begegnen. Denn Lernen, das weiß schon jedes Kind, tut man dann am liebsten, wenn es von einem selbst ausgeht. In der Fachsprache heißt das intrinsisch.

Die 27-jährige Melanie Pröschle, herausragend gespielt von Eva Löbau, wird das selbst wissen. Sie hat gerade ihr Referendariat erfolgreich absolviert und tritt nun voller Energie und Tatendrang - den Rucksack mit innovativen Lehrmethoden gefüllt - ihre erste Stelle an einer Karlsruher Realschule an, verlässt dafür den noch beim Umzug fleißig anpackenden Jugendfreund (wie liebenswert!) und die Heimat in der schwäbischen Provinz. Sticht anfangs ihr herzliches Gemüt heraus, wenn sie die neuen Nachbarn mit Souvenirs beschenkt und sie dabei auch über sich selbst lachen kann, treten an der Schule schnell Probleme auf. Schon bei ihrem Einstand bekommt sie von einem Kollegen nach ihrem Karteikartenvortrag zu hören, dass man „über die innovativen Methoden doch nochmal reden müsse“. Nach wenigen Wochen beschwert sie sich selbst über die Lautstärke ihrer Klasse. Die Leistungen der Lernenden lassen zu wünschen übrig. Schon kommt es zu einem ersten Eklat: Ein Schüler bewirft sie nach einer schwachen Note mit seinem Kakao. Was tun?

In der Schule gilt: Keine Schwächen zeigen

Melanie spricht mit der Mutter des Kindes, findet sich aber plötzlich in der Täterrolle wieder. Das Kind habe nur deshalb so reagiert, weil es die schwache Note nicht erwartet habe, heißt es. Das aber läge allein in ihrer Verantwortung. Vielleicht hat es ja etwas mit dem Chaos in der Klasse zu tun? Melanies Weg der zunehmenden Verzweiflung wird von Maren Ade in "Der Wald vor lauter Bäumen" präzise begleitet. Mit Kollegen spricht sie nicht. Thorsten, eine ebenfalls jüngere Lehrkraft, verguckt sich schnell in sie. Melanie will ihm keine falschen Hoffnungen machen. Sie geht verstärkt auf Abstand. So traut sie sich auch nicht, eine Klassenlehrerin auf eine Schülerin anzusprechen, die ihr ebenfalls respektlos gegenübertritt, während Thorsten sie beim Gespräch beobachtet. Der weiß: Schwäche zeigen ist problematisch, Schüler haben „Riesenantennen“ dafür.

Die isolierte Melanie bleibt alleingelassen. Auch der verzweifelte Versuch, neue Freundschaften außerhalb des Kosmos Schule aufzubauen, scheitert: Die Kleidungsverkäuferin aus der Nachbarschaft kann ihr zwar ein neues Kostüm überstülpen, das sie älter aussehen lässt, ein offenes Ohren für ihre Schwierigkeiten hat sie aber nicht. Die beiden leben in zwei verschiedenen Welten. Melanies Zustand verschlimmert sich so zunehmend: die zum Umzug noch frisch bezogene Wohnung ist ein einziges Chaos – wie die eigene Gefühlswelt.

Ade lässt die Figur für sich selbst sprechen, sie bewertet nicht. So bleiben am Ende offene Fragen: Sind es nicht nur die Zustände an der Schule, die Melanie in ihre psychische Verwirrung treiben? Es werden jedenfalls ein paar Spuren gelegt, die auch den Charakter Melanies als ungünstig für das Berufsfeld darstellen. Da ist einerseits die Schwierigkeit, Entscheidungen zu treffen; andererseits gibt es ihren Drang dazu, alles beobachten und dementsprechend unter Kontrolle halten zu müssen, wie es sich beim Umgang mit der potentiellen Freundin aus der Nachbarschaft zeigt; und schließlich gäbe es da auch noch die unbewusst-komische Art mit Menschen umzugehen, Melanies fehlendes soziales Einfühlungsvermögen. Ohne Scham und mit purer Verzweiflung imaginiert sie sich eine Freundschaft, die es nie gegeben hat.

„Warum seid ihr so böse zu Leuten, die euch nichts getan haben?“

„Der Wald vor lauter Bäumen“ ist kein cineastisches Meisterwerk. Hauptsächlich mit einer Handkamera gedreht, wirkt er mitunter wie ein Fernsehfilm. Schon hier zeigt sich aber Ades präziser, kritischer Blick für ihre Sujets, die sie durch urig wirkende Szenen aufs Korn nimmt – konkret das Konservative, ja Spießbürgerliche der schwäbischen Schule. Junge Lehrkräfte, auch Referendare haben häufig mit den gleichen Hindernissen zu kämpfen: Kollegen, die sich gegen Neuerungen sperren, die dann tuscheln und kritisieren, statt zu helfen, die froh sind, wenn sie ihre Klasse mit einer gehörigen Portion Autorität und Angst ruhig halten. Ob die Kinder dabei etwas lernen, erscheint nebensächlich. Lieber werden bessere Noten vergeben, damit es zu keinen Konflikten kommt. Melanie lässt sich deswegen zu dem pauschalen Urteil hinreißen, dass an der Schule doch alle Arschlöcher seien. Bei der von einer Schülerin vorgelesenen Frage, warum denn alle so böse zu Leuten seien, die ihnen nichts getan haben, verlässt sie ihren Arbeitsplatz.

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Geschrieben von

Frederic Zauels

Politische Theorie

Frederic Zauels

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