Das Begräbnis der Queen als politisches Event

Botschaft des Begräbnisrituals Als jetzt die Queen bestattet wurde, waren Millionen angereist, um die Begräbnisfeierlichkeiten vor Ort verfolgen zu können. Milliarden saßen stundenlang vor dem Fernseher. Was macht die Faszination eines solchen Zeremoniells aus?

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Bei diesem Zeremoniell spielte sicher die Neugier eine große Rolle. Prominente generell sind Objekt der Neugier, wie die Boulevardblätter ständig belegen. Ein besonderes Interesse gilt Monarchen und ihrer Sippe. Aber das allein erklärt wohl kaum die Faszination des Begräbnisrituals in London und Windsor.

Als Ritual wird in der Einführung von Barbara Stollberg-Rilinger „eine menschliche Handlungsabfolge bezeichnet, die durch Standardisierung der äußeren Form, Wiederholung, Aufführungscharakter, Performativität und Symbolizität gekennzeichnet ist und eine elementare sozial strukturbildende Wirkung besitzt" (2013, S.9 ).i Das Begräbnisritual wies alle diese Merkmale auf, wie man, selbst wenn man die Feierlichkeiten nur kurz verfolgte, erleben konnte. Alles folgte dem Protokoll. Die militärischen Rituale und die kirchlichen Riten – alles hoch standardisiert. Und die begleitenden Kommentare bekräftigten den festgelegten Ablauf und erinnerten an das gleiche Zeremoniell bei früheren Anlässen. Wenn man nach der Wirkung fragt, dann drängt sich der Gedanke an die gegenwärtige Weltlage auf. Kann die Standardisierung in einer Welt, die aus den Fugen ist, nicht beruhigen? Susanne Beyer vom Spiegel: „Und es kann in einer stürmischen Weltlage wie der jetzigen beruhigend sein zu sehen, wie mit der uralten britischen Monarchie eine Institution den Wechselfällen der Zeiten trotzt.“ii Die Stimmlage der Sprecher, die die Vorgänge erläuterten, unterstützte die sedative Wirkung. Und die traditionelle Form versicherte einem, dass ja doch noch alles in Ordnung ist. Es ist zumindest vieles noch so, wie es immer schon gewesen ist, denkt man. Die Wiederholung des immer Gleichen bannt die Angst vor der Zukunft. Allein schon die Jahrhunderte alte Dynastie steht für Beständigkeit. Da präsentierte sich eine geordnete, scheinbar konfliktfreie Welt mit scheinbar uralter Tradition. Die Streitigkeiten unter den Royals waren bei diesem Anlass kein oder ein vornehm in den Hintergrund gedrängtes Thema. Man kann sich im Übrigen auch gerade wegen solchem Knatsch mit der königlichen Familie identifizieren. Aber nun war aller Streit beigelegt. Die Leute konnten sich so als die wiedererkennen, die sie gern sein möchten. Sie durften als Beobachterinnen und Beobachter staunend an einem Geschehen teilnehmen, das Frieden und Beständigkeit ausstrahlte. Der vorgeführte Prunk ließ die Leute die eigene Misere, die hohen Preise, die unbezahlbare Miete, zumindest vorübergehend vergessen. Fast alles war symbolgeladen und enthielt Botschaften, auch politische: die militärischen Formationen, der schottische Dudelsackspieler, der Einzug in die Kirche, der Gottesdienst, der gemeinsame Gesang, die Übernahme der königlichen Insignien. Mit letzteren Vorgaben im Protokoll fand die Monarchie mit ihrer göttlichen Weihe von neuem Bestätigung für das Publikum. So gesehen, kann man dem scheinbar ganz unpolitischen Zeremoniell eine politische Wirkung zusprechen, vermutlich sogar eine größere, als manch eine politische Grundsatzentscheidung oder Aktion erreicht, und sicher eine größere als eine präsidiale Neujahrsansprache haben kann.

In der Literatur wird außerdem angenommen, dass Rituale eine gemeinschaftsbildende und bindende Wirkung entfalten. Für das Vereinigte Königreich, dessen Zusammenhalt längst nicht mehr konfliktfrei ist, könnten diese Feierlichkeiten unter diesem Aspekt förderlich gewesen sein. Erinnern wir uns an den schottischen Dudelsackspieler! Die Anhänglichkeit zum Königshaus könnte bei der breiten Masse wieder gestärkt worden sein, aller Kritik am Aufwand zum Trotz. Wir wissen es nicht. Zumindest das zweiminütige Schweigen, zu dem das Hornsignal „Last Post“ um 12.55 des Begräbnistags alle Briten verpflichtete, war dazu angetan, Gemeinsamkeit zu empfinden, sicher nur eine „vorgestellte“ oder imaginierte Gemeinschaft. Aber soll’s. Keine Nation ist etwas Anderes.iii

Aber auch die „westliche Wertegemeinschaft“ dürfte Gewinn aus den Feierlichkeiten gezogen haben. In Europa und jenseits des Atlantiks wurde das Zeremoniell millionenfach andächtig verfolgt, so scheint es. Nicht umsonst hielten alle Staatsoberhäupter, allen voran die der G7-Staaten, die Teilnahme für ihre absolute Pflicht. Und nicht umsonst war der Präsident der Russischen Föderation ausgeschlossen worden. Wäre Putin eingeladen worden – nur ein Gedankenspiel – so hätte seine bloße Anwesenheit die Botschaft vom bösen Aggressor dementiert. Wenig bedeutungsträchtig war dagegen der Ausschluss kleinerer Autokraten (u.a. Belarus, Syrien, Venezuela).

Wenn dieses Staatsbegräbnis nicht ohne politische Wirkung war, so hatte dieses nicht planbare Ereignis für die politische Klasse einen willkommenen Nebeneffekt. Und die Sicherung des Nebeneffekts ließ man sich mehrere Milliarden kosten.

i Stollberg-Rilinger, Barbara (2014): Rituale. Frankfurt/M.: Campus.

iii Anderson, Benedict (1993): Die Erfindung der Nation. Zur Karriere eine erfolgreichen Konzepts. Frankfurt/M.: Campus.

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Geschrieben von

Georg Auernheimer

Früher Erziehungswissenschaftler (Schwerpkt. interkulturelle Bildung), heute politische Publizistik

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