Moskau und der politische Prozess in Libyen

Libyen. Russland-Bashing soll den politischen Aussöhnungsprozess erschweren. Auch Sarradsch gießt Öl ins Feuer.

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In letzter Zeit ist es recht ruhig geworden um General Hafter, den Oberbefehlshaber der sogenannten Libyschen Nationalarmee (LNA). Das Augenmerk hatte sich voll auf die Vorgänge im Westen, insbesondere auf Tripolis, konzentriert, wo unter dem militärischen Druck der 7. Brigade aus Tarhuna auf die sog. ‚Einheitsregierung‘ der Wiedervereinigungs- und Aussöhnungsprozess zwischen den verschiedenen politischen Gegnern in Libyen in Gang gesetzt werden konnte: Das Parlament in Tobruk hat endlich ein Gesetz verabschiedet, das für die Durchführung von Wahlen benötigt wird, der Präsidialrat in Tripolis wird von neun auf nur noch drei Personen verkleinert, die Milizen, die bisher Tripolis beherrschten, sollen ihre Macht an reguläre Polizei- und Militäreinheiten abgeben. Der UN-Sondergesandte für Libyen, Salamé, stellte seinen Plan für die Zukunft der Milizionäre vor, der eine Klärung vorsieht, welche Milizionäre bereit sind: erstens einen Rehabilitationsprozess zu durchlaufen und in die regulären Streitkräfte einzutreten, zweitens ins zivile Leben zurückzukehren – für sie soll ein Hilfsfonds eingerichtet werden – und drittens mit Unterstützung der UN-Sondermission Libyen zu verlassen, soweit sie keine größeren Verbrechen begangen haben.

In diesen Aussöhnungsprozess platzte am 8. Oktober 2018 ein Artikel in der britischen Zeitung The Sun[1] mit der Überschrift „RUSSIA is moving troops and missiles into Libya in a bid to enforce a new stranglehold on the West, Theresa May has been warned“ (Russland stationiert Truppen und Missiles in Libyen in dem Versuch, den Westen in den Würgegriff zu nehmen – diese Warnung erging an Theresa May). Russland wolle, so die angebliche Warnung von Geheimdienstlern an Theresa May, ein zweites Syrienszenario schaffen und damit die Kontrolle über die wichtigste Flüchtlingsroute von Afrika nach Europa erlangen. Dutzende Offiziere des militärischen Geheimdienstes sowie Sondereinsatzkommandos seien bereits im Osten Libyens zur Ausführung von Ausbildungs- und Verbindungsaufgaben. In Bengasi und Tobruk gebe es bereits zwei russische Militärbasen, auf der die russische militärische Privatarmee der Wagner-Gruppe tätig sei. Berichten zufolge habe General Hafter bereits grünes Licht für den Einsatz der Russen in Libyen gegeben, um den Einfluss der EU, insbesondere von Italien, zu minimieren.

Auf diesen Bericht erfolgte ein sofortiges und heftiges Dementi von Seiten Russlands. Großbritannien eröffne eine neue Front im Russland-Bashing. Alexei Kondratyev, stellvertretender Vorsitzender des Verteidigungskomitees des russischen Oberhauses sagte: „Es gibt keine Militärangehörigen [in Libyen] und es ist auch nicht geplant, welche dorthin zu bringen. Wie könnten sie auch ohne offizielle Anfrage der Behörden des Landes dort sein?“ Die russische Botschaft in Libyen ließ verlauten, die Anwürfe Großbritanniens seien der Versuch, die Schuld der Nato für die Misere in Libyen auf Russland abzuwälzen.

Aus Moskau hieß es, von einer militärischen Einmischung Russlands in den libyschen Bürgerkrieg könne überhaupt keine Rede sein, obwohl sowohl die libyschen Machthaber als auch das an stabilen Verhältnissen in Libyen interessierte Italien versucht hätten, Russland an dem Konflikt zu beteiligen. Tatsächlich gebe es in Moskau ein Interesse daran, wie sich Libyen weiterentwickelt: „Es wäre deshalb dringend notwendig, sich über die künftige Ordnung in Libyen zu einigen, Wahlen in dem Land abzuhalten und dann mit der neuen Regierung zu verhandeln.“ [2]„Eben deshalb ist die Libyen-Konferenz so wichtig, die in einem Monat in Palermo stattfinden soll. Die italienische Regierung hat den russischen Präsidenten bereits zur Teilnahme eingeladen. Dass eine europäische Regierung die Bedeutung Russland in der Libyen-Regulierung auf diese Weise anerkennt, missfällt natürlich sowohl den Briten als auch den Amerikanern.“

Es sei dreist, Moskau vorzuwerfen, es strebe die Kontrolle über die Flüchtlingsströme an, da es doch der türkische Ministerpräsident Erdogan und die neoliberalen Globalisten waren, die diese in Gang gesetzt hatten.

Sicher liegt es nicht im Interesse Russlands, ein Kriegsszenario wie in Syrien in Libyen in Gang zu setzen. Nichtsdestotrotz hat Russland in Libyen Interessen. Es war bis zum Krieg 2011 dabei, eine Eisenbahnlinie durch Libyen zu bauen und es war der bevorzugte Waffenlieferant Libyens. Außerdem ist Russland stark an der Eindämmung des Dschihadismus interessiert, der auch eine Bedrohung für das eigene Land darstellt. Aus all diesen Gründen hat es, ebenso wie Ägypten oder Frankreich, General Hafter unterstützt. Gleichzeitig betonte Moskau stets, es suche das Gespräch mit allen Seiten und erkenne die ‚Einheitsregierung‘ in Tripolis an.

Wie überraschend die vor kurzem erfolgte quasi Machtübernahme in Tripolis durch die 7. Brigade aus Tarhuna für Russland war, ist ungewiss. Insbesondere erstaunte, dass sich dem militärischen Aufstand gegen die Tripolis-Milizen, die eigentlich die von der sog. ‚internationalen Gemeinschaft‘ eingesetzte und anerkannte ‚Einheitsregierung‘ schützen sollten, auch die Misrata-Milizen anschlossen. Die islamistischen Milizen von Misrata waren vor allem mit Unterstützung der USA und der Türkei mit die Hauptakteure beim Sturz Gaddafis, machen nun aber mit der 7. Brigade aus Tarhuna, in der auch viele ehemalige Militärs aus der Gaddafi-Zeit kämpfen, gemeinsame Sache gegen die ‚Einheitsregierung‘, um Libyen den ausländischen Einflüssen wieder zu entziehen.

Da die Türkei in Misrata immer noch großen Einfluss haben dürfte, Putin und Erdogan auch schon bei der Idlib-Frage in Syrien eine gemeinsame Lösung gelang, könnte sich auch das Misrata-Problem entschärfen lassen.

Doch was wird nun mit General Hafter? Man sollte sich ins Gedächtnis rufen, dass Hafter keinerlei politisches Mandat besitzt. Er wurde vom libyschen Parlament in Tobruk zum Oberbefehlshaber der sogenannten Libyschen Nationalarmee LNA ernannt, die im Osten erfolgreich die Dschihadisten bekämpfte. An den Wahlen wird er nicht teilnehmen können, da er auch die US-amerikanische Staatsangehörigkeit besitzt. Selbst wenn er teilnähme, würde ihn im Westen wohl niemand wählen und auch im Osten dürfte die Unterstützung für ihn eher gering ausfallen. Um an die Macht zu kommen, bliebe ihm nur ein Militärputsch. Dafür müsste allerdings das Militär sprich die LNA hinter ihm stehen. Ob sie das tut ist mehr als zweifelhaft. Die Kommandeure der militärischen Einheiten der LNA befolgen im Zweifel eher die Befehle ihrer Stammesführer als jene eines US-amerikanischen Oberbefehlshabers, der mit Russland und Frankreich verbündet ist. Und es ist bekannt, dass etliche Einheiten der LNA gute Kontakte zu der 7. Brigade aus Tarhuna pflegen. Sollte Hafter also einen Putsch wagen, würde wohl ein Kampf zwischen den eigenen Einheiten die nächstliegende Folge sein.

Hafter kann im Prinzip jederzeit vom Parlament als Oberbefehlshaber wieder abberufen werden. Und vielleicht wäre dann ja das Angebot von Salamé für ihn verlockend, das Land wieder in Richtung USA zu verlassen – dort kam ja auch 2011 her.

Doch zurück zu den Entwicklungen im Westen. Dort scheint Sarradsch, der mit einer erfolgreichen Wahl in Libyen am Ende seiner Amtszeit angekommen wäre, gegen die neue Aussöhnungspolitik zu opponieren und den Unfrieden mit den Stämmen und Städten im Osten neuen Auftrieb zu geben. Die völlig unnötige Berufung von Ali al-Issawi zum neuen Wirtschaftsminister könnte ein Versuch Sarradschs sein, seine Position und damit den Einfluss bestimmter EU-Kreise zu retten. Das Nationale Verteidigungs- und Sicherheits-Komitee des Parlaments in Tobruk hat die Ernennung von Ali al-Issawi bereits als provokativ und inakzeptabel verurteilt, denn gegen al-Issawi läuft immer noch eine Anklage wegen der Ermordung von Abdelfattah Younis im Jahr 2011 durch dschihadistische Kämpfer. Diese Personalie könnte also für neuen Unfrieden zwischen dem Hohen Staatsrat und dem Parlament sorgen.

Die Benennung von al-Issawi durch Sarradsch dürfte auf dem Mist bestimmter europäischer Player gewachsen sein, die alles andere als Frieden stiften oder ein geeintes, souveränes Libyen entstehen lassen möchten. Gut passt dazu die gleichzeitig gestartete Bashing-Kampagne gegen Russland.

[1] https://www.thesun.co.uk/news/7448072/russia-missiles-libya-warlord/

[2] https://de.sputniknews.com/politik/20181009322578382-russland-libyen-berichte/
https://sputniknews.com/columnists/201810091068738015-russia-libya-new-syria-opinion/
https://sputniknews.com/middleeast/201810101068745980-russia-libya-military-presence-allegations-reports-state-parliament/
https://de.sputniknews.com/politik/20181010322589358-russland-libyen-expertenmeinung/

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Geschrieben von

Angelika Gutsche

Ihre Reisen führten sie neben Indien, den USA, Russland und dem Jemen unter anderem auf den afrikanischen Kontinent und quer durch den Balkan.

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