Deutsche Arbeiter = globale Mittelschicht

Christian Baron Es geht nicht um "richtige Ansprache" - es geht um eine klare Klassenanalyse im globalen Kontext.

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

Auch wenn ich Christian Barons Artikel "Worte, die etwas bedeuten" vom Ton her erst mal gut fand - ich kann mich nicht anschließen: Es geht nicht um die "richtige Ansprache" - es geht um eine klare Klassenanalyse im globalen Kontext.
Die Widersprüche, in denen sich die Partei "Die Linke" wiederfindet, liegen tiefer als nur auf der Ebene der Wortwahl oder der Attitüde.

Um es klar zu sagen:
Eine Partei hat nur Erfolg, wenn sie eine Basis hat, die sich von deren Politik etwas Greifbares versprechen kann, also Vorteile im materiellen Sinn. Auf idealistischen Wellen zu reiten, kann vorübergehend Vorteile bringen ... aber wenn wir als Linke unsere materialistische Analyse ernst nehmen, kann das kein tragfähiger Boden sein.
Eine Partei, die sich Interessen bestimmter Gruppen auf die Fahne schreibt, kann deren Stimmen erwarten, aber (dauerhaft) keine anderen.

Und hier kommt nun das Wesen der Mittelschicht ins Spiel:
Im Gegensatz zu anderen gesellschaftlichen Schichten hat sie immer zwei Fronten - nämlich nach oben und nach unten.
Sie ist darum immer sehr konflikthaft und unberechenbar. Die kleinbürgerliche Wählerschaft bspw. der NSDAP oder des Peronismus (Beamte, Kaufleute, Handwerker, Bauern) fühlte sich von Arbeiterschaft wie Großbürgertum gleichermaßen bedroht.

Ins (globalisierte) Heute gewendet:
Der sprichwörtliche "deutsche Facharbeiter" fürchtet Kapitalgesellschaften und ihre Manager genauso wie die "Hungerleider", aus denen sich das heutige Proletariat zusammensetzt: Flüchtlinge, Landlose, Wanderarbeiter. "Proletarier" ist, wer kein Kapital besitzt - der "deutsche Facharbeiter" aber besitzt ein Kapital namens "Staatsbürgerschaft + SGB": Auch wenn seine Konditionen zu Beginn des Jahrhunderts deutlich verschlechtert wurden, fällt so jemand doch im Ernstfall in ein Netz, das (auch kaufkraftbereinigt!) üppig ist im Vergleich zu den Lebensumständen des Proletariats von heute.

Schon die RAF hatte als letzte ernstzunehmende revolutionäre Bewegung in Deutschland das Problem, dass sie für Menschen kämpfte, die ganz woanders lebten (nämlich in der "Dritten Welt") als in dem Land, in dem sie agierte. Die "Arbeiterklasse" der BRD hat ihr dementsprechend die kalte Schulter gezeigt ... sie hat sich von der RAF absolut nichts versprochen und lag damit - realistisch betrachtet - auch durchaus richtig (das war bei den italienischen Brigate Rosse schon tendenziell anders, weil sie bspw. durch Geiselnahmen Arbeitskämpfe unterstützt haben). Die RAF hätte darum sinnvollerweise entweder in einer revolutionären Bewegung des globalen Südens aufgehen oder aber materielle Interessen der lokalen Basis ansprechen müssen (bspw., indem sie gegen das Management von "Contergan"-Grünenthal vorgegangen wäre).

Auf wessen Seite steht nun "Die Linke"? Auf derjenigen des globalen Proletariats oder auf derjenigen der lokalen (de-facto-Mittelschichts-)"Arbeiterklasse"? Oder anders, und besser gefragt: Welche Klasse organisiert sich in der Partei "Die Linke"?

Wenn es das globale Proletariat ist, kann "Die Linke" nicht länger eine auf nationaler Ebene organisierte Partei bleiben, sondern müsste Teil einer weltweiten, internationalistischen und materialistischen Bewegung des Proletariats werden - mit der Konsequenz, dass lokal nur ein kleiner Teil der Bevölkerung Interesse am Kurs der Partei haben kann, man also de facto als Parteimitglied ein "Agent hinter feindlichen Linien" wäre, und die Teilnahme an Wahlen gar nicht mehr der ausschlaggebende Punkt, sondern vielmehr die Organisation einer aktionsfähigen Basis.
Wenn es dagegen die "deutsche Arbeiterklasse" ist, führt kein Weg an dem letztlich nationalistischen Wagenknecht-Kurs vorbei, der eine Art Interessenvertretung der globalen Mittelschicht auf deutschem Boden ist.

Welchen Kurs jemand unterstützt, bleibt individuelle Entscheidung (ohne dass man irgendjemandem deswegen einen Vorwurf machen könnte).
Ich verrate hier auch nicht, was meine Wahl wäre.
Wichtig wäre nur, dass die Partei sich mal für einen Kurs entscheidet - und auch die Konsequenzen trägt.
Jegliches Lavieren auf idealistischer Grundlage (man könnte von "Vergrünung" sprechen) führt nirgendwohin.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Lt. Commander Geordi LaForge

If it works the way I think it will, once the invasive program starts spreading, it'll only be months before the Borg suffer total systems failure.

Avatar

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden