Wo die Bilder neu laufen lernen, gibt’s was auf die Ohren: Während die vier Schauspieler der britischen Gruppe Forced Entertainment ein Life-Hörspiel krächzen und raunen, wechseln auf der Leinwand hinter ihnen grob gepixelte Schwarzweiß-Collagen ab. Sie illustrieren die Void Story (Leerstellen-Geschichte), in der ein Paar in einer apokalyptischen Welt von einer Katastrophe in die nächste stolpert. Splatter trifft schwarzen Humor, Kafka die Seifenoper.
Beim achten SpielArt-Festival, einem Klassentreffen der freien Theaterszene, das alle zwei Jahre in München stattfindet, fiel auf: Die Bühne ist der Star. Entweder als technische Spielwiese, wo die alten Theater-Parameter neu zusammengesetzt werden. Oder als Feier der Opulenz, die ebenso viel zu erzählen vermag wie die Geschichte, die in ihr abläuft. Überwältigend zum Beispiel die Bühne von Philippe Quesne und seinem Vivarium Studio aus Frankreich: Die Melancholie der Drachen zeigt die vollkommene Illusion einer Schneelandschaft. Sechs in einem klapprigen Citroen gestrandete Rocker erklären hier einer zur Hilfe geeilten Freundin ihren geplanten Freizeitpark. Wenn der große schwarze Hund am Kunstschnee knabbert und später der Bühnenboden aufgerollt wird, die Windmaschine Langhaarperrücken und Seifenblasen durch die Luft wirbelt und die Jungs riesige Lufsäcke durch die Gegend tragen, dann staunt man über den Bühnenzauber, dem man trotz seiner Dekonstruktion erliegt. Nur steckt die Geschichte letztlich ebenso im Dekorativen fest wie Ludivine Petits Musiktheaterprojekt Geen krimp, Gustav!. Die Uraufführung war eine von sechs „Connections“-Produktionen, in denen Mentoren wie Meg Stuart Nachwuchskräften zur Plattform verhalfen. Petits Bühnenbauerin Britta Kloß scheint den Fundus der koproduzierenden Frankfurter Oper geplündert zu haben und bastelte eine herrliche Spielwiese, mit der Petit leider zu wenig anzufangen wußte: Sie jagt ihren enervierenden Stimmkünstler Jaap Blonk mit der Kamera durch die Hinterbühne und lässt zwei Sänger mit Mahler-Liedern auf den Lippen über die Bühne laufen.
Lola Arias war die herausragende Vertreterin des dreiteiligen Argentinien-Schwerpunkts. In ihrem Recherche-Abend Mein Leben danach über die argentinische Militärdiktatur 1976-83 folgt sie dem aktuellen Dokutheater-Muster, holt reale Personen mit starken Biografien auf die Bühne und lässt so panoramatisch das Abbild einer Gesellschaft erstehen. Dabei reichen ihr ein Haufen Kleider, ein Overheadprojektor, mit dem sie Fotos an die Wand werfen lässt und Musikinstrumente für eine klug kalkulierte Bühnenerzählung von sechs Schauspielern über die Schicksale ihrer Eltern als Opfer, Mitläufer und Täter.
Wesentlich opulenter der zweite SpielArt-Höhepunkt: Für Späte Nachbarn, das der lettische Regisseur nach zwei Erzählungen Isaac B. Singers im Werkraum der Münchner Kammerspiele inszenierte, hat ihm Monika Pormale eine beklemmend realistische Einzimmerwohnung im 50er-Look gebaut. Hier kämpft sich der künstlich aufgepolsterte André Jung vom Bett ins Bad, humpelt, mampft Cornflakes, öffnet Briefe. Als Barbara Nüsses auftoupierte Lady einschwebt und ihm den kahlen Kopf verdreht, öffnet sich auch die rechte Bühnenhälfte und zeigt einen spiegelverkehrten Raum in Rosa. Diese räumliche Vor-Vereinigung trügt – und wird doch zur tragenden Erzählstimme eines altmodisch-bewegenden Wort-Bild-Zaubers, der über drei Stunden lang bannt.
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