Aus den Hinterzimmern

Machtkampf Wehner, Brandt, Postdemokratie – sieben Notizen zu einer Grammatik der politischen Intrige
Ausgabe 51/2016
Wer hat dich bloß so ruiniert? Herbert Wehner (links, mit Willy Brandt)
Wer hat dich bloß so ruiniert? Herbert Wehner (links, mit Willy Brandt)

Foto: Keystone/Getty Images

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Jede Form von Macht hat drei Konstruktionsfelder. Das erste ist das von Legalität und Legitimierung. Macht, die eingesetzt, gewählt, bestimmt wird oder zumindest nach Legitimität verlangt. Das zweite Feld ist das der fließenden Macht, die sich in kulturellen oder ökonomischen Hegemonien äußert. Die kleinen Unterschiede als „Kultur“, die Dresscodes, die Familien- und Bildungsselektionen, die „Performance“ sorgen für unauffällige Kontinuität. Das dritte Feld ist das von Taktik und Strategie, das, was man „Machtkampf“ nennt. Die Sinnlichkeit, das, was Macht in den Augen dieser und jener so sexy macht. Zugleich das dramatischste und das unschärfste Element, daraus entsteht die Dynamik der Macht. Ein Mensch, der Macht haben und ausüben will, muss auf allen drei Feldern agieren, sonst wird das nichts.

Innerhalb von Taktik und Strategie der Macht spielt die Intrige eine wesentliche Rolle, sie bündelt und zersetzt Macht, und in der dramatischsten Version macht die politische Intrige mit einem Schlag Ohnmächtige mächtig und Mächtige ohnmächtig. In der Grammatik der Machtkämpfe sind die Intrigen die Joker, sie werden eingesetzt, um die Regeln zu erweitern.

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Die innere Architektur der Macht besteht aus einem Vorzimmer, einem Hinterzimmer, zwei Seitentrakten und dem eigentlichen Raum der Macht. Im Vorzimmer geschieht das, was man so kennt; hier werden Menschen oder Medien empfangen oder abgewimmelt, Verlautbarungen getätigt und Späße gemacht, hier spielt sich die unterhaltsame Öffentlichkeit der Macht ab. Es ist die Bühne der Macht. Der eine Seitentrakt besteht aus Bürokratie, emsig werden hier Entscheidungen der Mächtigen „umgesetzt“.

Der zweite Seitentrakt ist das, was man Lobby nennt, der Input der Macht. Hier fließen die Rohstoffe in die Macht: Geld, Beziehungen, Ämter. Im Hinterzimmer der Macht laufen die „eigentlichen“ Funktionen und finden die Treffen mit den „eigentlichen“ Akteuren statt. Der eigentliche Raum der Macht im Zentrum ist mehr oder weniger leer. Der Mächtige betritt ihn zu gewissen rituellen Gelegenheiten. In diesem Raum wird die Macht reines Zeichen. Intrigen sind inoffizielle, intime und illegitime Verbindungen zwischen den Räumen der Macht, sie entstehen innerhalb der Architektur der Macht, aber auch durch Infiltration von außen. Entscheidend an einer Intrige ist, dass es sich um eine Form des Machtkampfes handelt, die sich der Kontrolle durch den „wahren Souverän“ entzieht. Dieser Souverän sind in der Demokratie: wir, das Volk oder etwas in der Art.

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Die Intrige ist durch vier andere Formen des unnatürlichen und illegalen Machtwechsels/Machterhalts begrenzt: Die Verschwörung bezieht sich auf einen vollständigen Austausch von Regierenden, Regierungstechniken und Regierungszielen. Die Verschwörung will nicht die Protagonisten, sondern das ganze System wechseln. Die Korruption stellt keine Macht in Frage, sondern verknüpft Machtzentren in den Bereichen Politik, Wirtschaft und Mafia. Die Subversion installiert im Umkreis der Macht Personen, die nicht sind, was sie zu sein scheinen. Die Revolte ist die offene Herausforderung der Macht. Es geht häufig nicht so sehr um einen Wechsel als um ein Einhaltgebieten.

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Zu verstehen ist die politische Intrige nicht allein durch die „Architektur der Macht“ und die Art ihrer Durchführung, sondern vor allem in ihrer Wirkung. Dazu gibt es einige Grundmodelle:

Die konstruktive Intrige: Ein Politiker, der sich zu weit von dem Konsens der Vielen zu entfernen droht, wird mithilfe einer Intrige entsorgt, damit am Ende alles so weitergehen kann wie bisher. Der Nachfolger steht bereit, ein wesentliches Element ist der Verräter als Nutznießer. Die konstruktive Intrige kämpft für das System gegen seine Protagonisten.

Die destruktive Intrige: Sie entsteht aus der Entmachtung eines politischen Subjekts. Da man sich ausgebootet oder übergangen fühlt, wähnt man sich im Recht, an der „Beseitigung“ eines Macht-Hindernisses teilzunehmen. Eine solche Intrige, aus der Zurücksetzung (narzisstische Kränkung plus Karriere-Interesse) geboren, muss nicht über ein Nachfolge-Subjekt verfügen. Die Entmachtung ist wichtiger als die Stabilität der Macht. Diese Intrige ist ein Kampf zwischen den Protagonisten in einem System.

Die transitionelle Intrige: Sie will nicht nur Personen austauschen, sondern das System der Macht fundamental verändern. Man kann nicht nur gegen Menschen intrigieren, sondern auch gegen Entscheidungen oder Leitlinien. Diese Intrige, die oft von Lobby oder Bürokratie durchgeführt wird, ist ein Kampf der Protagonisten gegen das System.

Die theatralische Intrige: Sie benötigt die offene Bühne. Der „Königsmord“ findet vor Publikum statt. Während die anderen Modelle einer Veränderung der Machtverhältnisse dienen, sorgt die theatralische Intrige für eine Neuverteilung der Rollen.

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Die Rohstoffe der Intrige sind das Wissen (man weiß etwas vom anderen, von dem der nicht weiß, dass man es weiß), das Vertrauen (es gehört zur hohen Kunst der Intrige, Vertrauen im richtigen Moment zu verraten), das Amt (das kleine Einmaleins der politischen Intrige beginnt mit dem Spiel der Postenbesetzungen), die Meinung (das In-die-Welt-Setzen von Gerüchten), das Auftreten (nichts geht über den gelungenen Zug, einen Konkurrenten in eine Situation zu bringen, in der er keine „gute Figur“ macht), die Arbeitsteilung (der Konkurrent erhält Aufgaben, die unmöglich zu bewältigen sind), der Skandal (man beschuldigt den Konkurrenten eines politischen Vergehens). Die Instrumente der Intrige sind so mannigfaltig wie die Rohstoffe. Organisierte Obstruktion: Man versucht, möglichst ohne selber in Erscheinung zu treten, die Projekte des anderen zum Scheitern zu bringen. Schwächung der Entourage: Der Andere wird nicht direkt angegriffen, vielmehr versucht man in seiner Umgebung möglichst viele „Figuren“ aus dem Feld zu räumen, die dessen Macht stützen können. Manipulation der Reputation: Man greift den anderen nicht direkt an, sondern sorgt dafür, dass negative Nachrichten und „Meinungen“ um ihn herumschwirren. Zerreißen von Netzwerken: Man versucht den anderen daran zu hindern, zu viele Beziehungen aufzubauen. Dazu gehört eine gezielte Verunsicherung oder der Aufbau von Alternativen: Zu welchem Netzwerk will man gehören? Das führt zum klassischen Instrumentarium der politischen Intrige: zum Kaufen der Verbündeten. Wir haben uns angewöhnt, die Demokratie so zu behandeln, als gäbe es keine Intrigen, und die Intrigen so zu behandeln, als gäbe es keine Demokratie. Denn anders als Korruption, Verschwörung, Revolte und Subversion sind Intrigen in der Öffentlichkeit zwar abbildbar, aber nicht verhandelbar. Sie enthalten weder einen nachweisbaren Rechtsverstoß, noch sind Intrigen „verboten“.

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Das ideale Subjekt der Intrige ist jemand, der mit dem Objekt vertraut ist und „seine Schwächen kennt“. Ehemalige Verbündete führen mit Vergnügen Intrigen gegeneinander. Das ideale Objekt der Intrige ist ein geschwächter Anderer. Die politische Intrige hat einen doppelten Charakter: Sie ist die unentwegte Arbeit an einem Funktionieren der Macht, zugleich ist sie der unbarmherzige Ausdruck wechselseitiger Abhängigkeit. Mit der Intrige verhält es sich nicht unbedingt wie mit dem Verrat, insofern man den Verrat liebt und den Verräter hasst, vielmehr gibt es in der Demokratie institutionalisierte Formen der Intrige. Ein Politiker wächst in seine Funktion durch das Überstehen von Intrigen, was nicht ohne eigene Künste der Intrige zu bewerkstelligen ist. Nehmen wir das Wechselspiel von Wahl und Intrige als Konstruktion demokratischer Macht ernst, so ist das Entstehen populistischer Impulse noch einmal anders zu verstehen. Wir geben uns erstaunt, wenn eine populistische Bewegung, sagen wir eine „Alternative für Deutschland“ gegen „den intriganten Haufen“ des demokratischen „Establishments“ Macht und Posten gewinnt, nur um dann in einem gewaltigen Sandsturm eigener Intrigen zu landen. Da geben wir uns hämisch-erleichtert: Sie machen das, was sie bei den anderen kritisiert haben, nur noch schlimmer und noch dümmer. Wie aber, wenn es sich genau umgekehrt verhielte? Die Wahrheit der Rechtspopulisten ist die Wahrheit des Prinzips Intrige, das sich seines demokratischen Schattens entledigen will.

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Nach landläufigen Vorstellungen werden Intrigen in Hinterzimmern gesponnen, aber mit den Parametern der Macht in der Postdemokratie verändert sich auch die Kunst der Intrige. Hollywoodfilme benutzen Feste, Bälle oder Vernissagen nicht nur aus ästhetischen Gründen als Hintergrund für politische Intrigen. Talkshows sind Transparenzshows politischer Intrigen. Die hohe Kunst der Intrige zeigt sich vor Mikrofonen und Kameras. Der Haken dabei: Die Zuschauer werden nicht nur Zeugen, sondern Komplizen. Das, was als internes Geschehen gedacht war, spielt sich als Öffentlichkeit ab. Schwer zu erkennen ist lediglich, ob die Intrige der Kontinuität oder einem Bruch dient. Die Intrige der Intrigen, der Sturz von Willy Brandt, der nur vordergründig mit dem Spionageskandal um Günter Guillaume begründet war, entpuppte sich als Gespinst des von Herbert Wehner eingeleiteten Paradigmenwechsels in der Partei. Man darf nicht vergessen, dass auch die „leichteren“ Formen der Intrige im Kern eine Form der Vernichtung darstellen. Am schlimmsten scheint, dass eine Intrige zur anderen führt. Mit jeder gelungenen Intrige erhöht sich der Anteil der Intrige an der „demokratischen“ Machtverteilung. Die Intrige ist eine Vergiftung der politischen Atmosphäre, die sich ähnlich verheerend auswirkt wie die Korruption. Vielleicht wäre dies eine wirkliche Alternative, im Gegensatz zu einer halbfaschistischen Super-Intrige: nach einer Politik, nach einer Demokratie, nach einem Leben jenseits der Intrige zu suchen. Kein Zweck hat jemals seine Mittel geheiligt. Deshalb gibt es weder eine gute Intrige noch eine Intrige der Guten.

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