Ein bisschen ballaballa

Erstligist Nachrichten aus der Indifferenzzone: Wie die Marke Red Bull den Freizeit- und Sinnmarkt beherrscht
Ausgabe 34/2016
Das hier ist zwar der reine Wahnsinn, aber für das Geschäftsmodell von Red Bull trotzdem nützlich
Das hier ist zwar der reine Wahnsinn, aber für das Geschäftsmodell von Red Bull trotzdem nützlich

Foto: Getty Images

Die bürgerliche Gesellschaft in der vergangenen Phase der mehr oder weniger sozialen Marktwirtschaft war durch die Organisation von gesellschaftlichen und staatlichen Funktionsbereichen geordnet: Politik, Ökonomie, Kultur, Religion, Wissenschaft, Medizin, Militär, Erziehung. Die Menschen bewegten sich in verschiedenen Zonen: Arbeit, Freizeit, Information, Familie, Sport, Medien, Mode. Der Neoliberalismus ist, unter vielem anderen, durch das gekennzeichnet, was Joseph Vogl die Zonen der politisch-ökonomischen Indifferenz genannt hat. Instrumente von Macht und Management, in denen die Interessen von Regierungen und Wirtschaft untrennbar und unerkennbar verknüpft sind. Beispiele wären die EZB, TTIP-Verhandlungen, „Behavioral Insight Units“ als verhaltensökonomisch orientierte Instrumente „effizienten Regierens“, Expertengremien und vieles mehr.

Und auch bei uns hier unten, in Arbeit, Pop und Alltag, breiten sich Zonen entsprechender Indifferenz aus. Erfolg hat auf dem Markt der Waren und Dienstleistungen, wer solche Lebenswelten aus Zeichen und Verknüpfungen errichten kann, eine Indifferenzzone zwischen Alltag, Kultur, Politik, Religion, Arbeit und Mode. Dabei geht es um mehr als nur um die Assoziation eines „Lifestyle“ oder das Besetzen von Marktsegmenten.

Die erste Arbeitsphase eines Konzerns zur Herstellung einer eigenen Indifferenzzone — nach der Akkumulation von genügend Kapital für solche Unternehmungen – besteht in der Verbreitung des Markenzeichens als Symbol für einen Lebensstil. Red Bull soll für einen hyperaktiven, sport- und technik-affinen, fundamental postpolitischen und subjektiven Lebensstil stehen, der Erfolg und Spektakel per se zum Ziel macht. Es geht darum, die Arena, in der man gewinnen soll, gleichsam selbst zu definieren. Red Bull heißt, das Leben als endlose Party mit endlosen Superwettbewerben in einem endlosen Freizeitleistungspark zu verstehen.

„Onboarding“ in Fuschl

Hat die Marke einen solche Botschaft etabliert, folgt Phase zwei, in der das eigentliche Produkt – die aus dem asiatischen Raum importierte Brause – der geringste Kostenfaktor ist. Unnütz zu sagen, dass es hier ein absurdes Verhältnis zwischen Herstellung und Verkauf gibt, nämlich eine Bruttomarge von 70 Prozent (Gewinn) zu 30 Prozent (Herstellung). Die eigentliche Produktion wird in gewisser Weise „outgesourct“ (dieses Abfüllgeschäft ist nun reine Routine) und die Konzern-Energie in Marketing, Sponsoring und Image-Kampagnen gesteckt. Bei Red Bull geht das einen entscheidenden Schritt weiter: Aus dem, was ursprünglich Marketing, Merchandising, Franchise, also vieles zwischen Werbung und Verwertung war, wird das eigentliche Geschäftsmodell.

Red Bull besetzt nach und nach Nischen-, Trend- und Massensportarten; vom Papierfliegerwettbewerb zur Spitzen-Fußballmannschaft; man unterhält eine eigene „Musik-Akademie“ und ein eigenes Plattenlabel, eine eigene Zeitschrift und einen eigenen Verlag – mit dem gleichermaßen alles und nichts sagenden Namen Ecowin. Seit 2012 ist Red Bull mit 50 Prozent an Österreichs größtem privaten Wetterdienst Ubimet beteiligt, dessen Emanationen wiederum prominenten Platz in den Medien des Konzerns finden. Man hat TV-Sender, einen Mobilfunkanbieter; zu den von Red Bull geführten Veranstaltungsreihen gehören die Red Bull Flugtage oder das Red Bull Soapbox Race. Der Unterschied zu einer Marke wie Coca Cola, die sozusagen überall „dabei“ sein will, wo Events hip und successful werden, einschließlich des einigermaßen sicher wiederkehrenden Weihnachtsfests, liegt darin, dass Red Bull nicht nur dabei ist. Das Event gehört Red Bull. Und darin steckt die Hoffnung, die Bedohung, die fatale Dynamik, wie man es nimmt: Red Bull gehört immer mehr von unserer schönen, indifferenten Welt.

Übrigens wird die Aggressivität solcher Übernahmen nie verborgen. Denn zum Geschäftsmodell des Kultur-Sport-Event-Produktunternehmens gehören drei weitere Eigenschaften. Allen voran die charismatische Mittelpunktfigur. Sie mag messianische Züge aufweisen wie Steve Jobs, kann als mysteriöses Familiendrama wie bei Brüdern (Lidl, Puma und Adidas) inszeniert sein oder, wie beim Red-Bull-Gründer, dem Österreicher Dietrich Mateschitz, in einer populistisch-brutalgemütlichen Variante. Die Indifferenzunternehmen haben zugleich Züge des anonymen Superkonzerns und solche des dramatischen Familienunternehmens. Sie werden autokratisch, in aller Regel antigewerkschaftlich und clever vernetzt geführt.

Diese Unternehmen, das macht einen Teil ihrer Macht aus, werden in der Öffentlichkeit als Ausnahmen wahrgenommen. Die charismatische Mittelpunktfigur und die Ausweitung der Indifferenzzone in die verschiedensten Lebensbereiche erlauben es ihnen, sich gewisser Spielregeln des demokratischen Kapitalismus zu entledigen.

Ein drittes Element scheint in einem magischen Ort zu bestehen, der mehr ist als ein großer Showroom: Natürlich ist Disneyland das unerreichbare Vorbild; aber auch die Zentrale von Red Bull in Fuschl am See als „Red-Bull Headquarters“ ist ein futuristischer Erlebnispark, wo in durchaus tempelhaften Gebäuden die Mitarbeiter beim „Onboarding“ auf die Linie des Hauses eingeschworen werden.

„Redbullisierung“ wird seit geraumer Zeit von einem konservativen wie kritischen Segment in der Kultur, im Sport und im Pop als Bedrohung für „alte Werte“, aber auch für ein Prinzip der Unabhängigkeit angesehen. Aber eben diese Fähigkeit, immer weitere Bereiche des Lebens zu übernehmen, Nachrichten wie die, dass 800 Spitzensportler Red Bull „gehören“, beflügeln die wahren Adepten nicht minder als zeitweilige Verbote von Red-Bull-Cola wegen der möglichen Kokain-Grenzwertüberschreitung. Eine Abfolge von Gewöhnung und Skandalisierung soll das Prinzip von Boom und Krise ablösen.

Kultursportkonsummode-Indifferenzunternehmen werden in absehbarer Zeit das Geschehen auf dem Freizeit- und Sinnmarkt beherrschen. Sie sind letztlich immer auch Metaphern der Auflösung von Politik in Ökonomie. Sie sind populistisch insofern sie ihre Kunden immer zu Mitproduzenten, zu Prosumern machen, und sie sind antidemokratisch, insofern sie Organisation und Transparenz für ihre „Mitarbeiter“ verweigern. Und sie erzeugen Konsum als Ideologie und Ideologie als Konsum. Getrunken wird Red Bull aber auch immer noch. Genauer gesagt: sechs Milliarden Dosen im Jahr 2015.

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