25 Jahre Mauerfall und keine Mauer ärmer!

25 Jahre Mauerfall Den Fall der Mauer von 89 zu zelebrieren ist zynisch, allenfalls blind. Denn an unseren europäischen Grenzen werden neue Mauern errichtet und perfektioniert.

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Der Mauerfall jährt sich nun 25 Jahre. Sicher ein geschichtsträchtiges Datum, das zeigt dass Mauern dem Menschen zuwider sind, sie nicht aufgehalten werden wollen eben dort hin zu gehen wo sie wollen. Dort wo es Mauern und Grenzen gibt, gibt es Menschen die sich diesen vermeintlich rechtlichen Gebilden widersetzen, im Deutschen als Flüchtlinge bezeichnet. Der Begriff Flüchtling hatte zu Zeiten der SED-Diktatur starke Prominenz, bezeichnete er jene Menschen, die sich in ihrem Belange zu gehen wohin sie wollen nicht einschränken lassen wollten. Dass sich der SED Apperat mit der Bezeichnung „Republikflüchtling“ selbst degradiert, mag dem Betonköpfen von damals wohl kaum aufgefallen sein.

Der Begriff Flüchtling ist bezeichnend für die Absurdität eines Systems, das allen Menschen Freiheit und Würde verspricht, damals wie heute. Ob aus Not oder anderen Gründen, was berechtigt uns dazu einen Menschen Flüchtling zu nennen? Ist ein Flüchtling nicht immer nur ein Mensch der weder hier noch dort Willkommen ist. Will man diesen Menschen überhaupt ein Label aufdrücken, so ist es aus Gründen (politischer) Korrektheit angebrachter genauer die Beweggründe dieser Menschen zu berücksischtigen und sie als Schutzssuchende zu bezeichnen – wie eigentlich mit dem englischen Pendant „Refugee“ beabsichtigt (to seek for refuge).

Nur beiläufig bemerkt, hält die Bezeichnung „Flüchtling“ meiner Meinung nach einen Diskurs aufrecht, der den Status dieser Menschen und ihr Schutzgesuch ins illegitime zieht. Auch wenn sie sich selbst als „Flüchtlinge“ bezeichnen würden, weil sie schließlich auf der Flucht sind vor einem Leben in Unsicherheit, so wird der Begriff Flüchtling niemals dem Belang dieser Menschen gerecht. Als Flüchtling haben sie, statt eines legitimen Anspruches, immer nur etwas temporäres an sich.

Redet man nicht mehr von Flüchtlingen, sondern von Schutzsuchenden, so vergegenwärtigt einem die Masse dieser Menschen das Illegitime und Absurde unserer Zeit; das festungsartige Sichern eines Wohlstands an den Grenzen Europas und die zynische Doppelmoral allgemeingültiger Menschenrechte, geschweige denn der Menschenwürde.

Wohlstand macht stumpf, wenn nicht sogar dumm, dafür muss ich keine Beweise anführen. Doch wenn es in diesem Wohlstandszirkel wenigstens halbwegs reflektierte Menschen gibt, muss sie doch zumindest die Frage quälen: Wie positioniere ich mich gegenüber der Tatsache, dass andere auf einer hoffnungslosen Suche nach Sicherheit und Wohlergehen sind, während es mir in diesem Land, auf diesem Kontinent umstandslos gut geht, ich in einer warmen Wohnung sitzen kann und außer einer Abmahnung der GEZ nichts zu befürchten habe? Wie fühlt sich diese Wärme und Wohlgenährtheit an, wenn ich doch zumindest ein Fünkchen Ahnung davon haben müsste, dass dies anderen vorbehalten ist? Viel weitgehender müsste man fragen, wie fühlt sich dieser Wohlstand an, wenn ich weiß dass andere von ihm brutal abgeschirmt werden (man könnte diesen Gedanken endlos weiter ausformulieren) ? Von den „halbwegs reflektierten Menschen“ - für diese Redewendung muss ich mich entschuldigen – sind natürlich jene ausgeschlossen die meinen, der Ausschluss der Anderen an der Teilhabe des Wohlstands sei von jenen selbstverschuldet.

Ganz sicher ist es mehr als schief, eine Analogie zwischen SED-Diktatur und dem Wohlstandeuropa aufzuziehen, aber zwei Gründe sind es eben die mir versagen am morgigen Sonntag dem Mauerfall zu feiern. Sicher ist das Ereignis ein Grund zur Freude und für viele Personen geknüpft mit Gefühlen der Erlösung, aber erstens kann ich keinem Mauerfall gedenken, während ich weiß, dass gerade an unseren europäischen Grenzen neue Mauern errichtet und perfektioniert werden. Woran sich zweitens schon anschließt, denn wie kann ich eben jene dazugewonnene Freiheit zelebrieren, wenn ich weiß dass sie anderen verwehrt bleibt. Es ist es eben jenes quälende Gefühl, was ich oben beschrieben habe, was mir den Geschmack der Freiheit verdirbt.

So ernüchternd wie es klingen mag, doch es bleibt weiterhin auf einen neuen Helmut Kohl unserer Zeit zu warten, vor dem man sich vielleicht in 25 Jahren "verneigen" will (Zitat: GratisBILD vom 8.11.), auch wenn es dann hoffentlich selbstverständlich ist, dass die Menschen mit einem Eis oder einem Starbuckskaffee in der Hand ihren Schritten folgen können, wie es ihnen beliebt.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Gérald Cordonnier

Identität? Schwindsüchtiger Gedanke! Was nicht ist das kann noch werden, und der Himmel auf Erden!

Gérald Cordonnier

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