Thailands zersplitterte Fronten

Bomben in Bangkok Die Lage in Thailand ist kompliziert und sollte vor allem von Außen nicht vereinfacht dargestellt werden, denn das geschieht schon in übermäßigen Sinne nach Innen.

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Die neueren Ereignisse in der thailändischen Hauptstadt richten erneut den Fokus auf das Land, das seit den letzten Jahren keine wirkliche politische Stabilität kennt. Das Rätseln über die Hintergründe der Anschläge sowie die zahlreichen Spekulationen beleuchten die Vielfalt der Fronten die in diesem Land aufeinander treffen. Die Lage in Thailand ist sehr kompliziert und sollte vor allem von Außen nicht vereinfacht dargestellt werden, denn das geschieht schon in übermäßiger Hinsicht nach Innen. Die Ermittelungen um die Hintergründe und Motive des Anschlags unterliegen strenger Geheimhaltung und sind zuvorderst Sache des „Präsidenten“, der sich neuerdings in ziviler Aufmachung zeigt, anstatt in militärischer Uniform. Angesichts des exzessiven Gebrauchs sozialer Medien in Thailand, geht die Strategie des Präsidenten jedoch nicht auf – auf Facebook und anderen Plattformen werden verschiedenste Informationen und Versionen des Vorfalls verlautbart. Darunter auch die abstrusesten Vermutungen, dass die Anschläge von europäischer oder US-amerikanischer Seite her rühren.

Das von der Polizei veröffentlichte Fahndungsfoto, das sich auf die Aufnahmen einer Überwachungskamera beruft, lässt diesen breiten Spekulationen viel Raum. Denn der Verdächtige im gelben Shirt, der einen Rucksack auf einer Bank neben dem Anschlagsort plazierte, entspricht nicht den herkömmlichen Verdachtsprofil eines bösen Terroristen. Das unauffällige Auftreten des Verdächtigen kann aber ebenfalls als fadenscheinige Tarnung gedeutet werden und so wird in den Kommentaren der Bangkok Post auch schon Fahndungen auf die Perücke des Verdächtigen vorgeschlagen.

Erste Vermutungen zielen reflexartig auf Extremisten und Separatisten mit muslimischem Hintergrund, die aus dem im tiefen Süden des Landes stammen, in dem die Muslime die deutliche Mehrheit der Bevölkerung darstellt.

Der Konflikt in dieser Region schwelt seit Jahrzehnten ohne jegliche Zeichen auf Entspannung. Thailand beansprucht die Region um die Provinzen Pattani, Yala und Narathiwat, die erst 1909 nach langem Querelen im Austausch mit den britischen Besatzern im benachbarten Malaysia in das Königreich eingegliedert wurden - dies zu einer Zeit in der die Grenzen des Landes weder gesetzt noch vereinbart waren, sondern lediglich davon abhängig, wer sich in welcher Region zum Königreich bekennt. Seit den letzten 10 Jahren hat sich aber der ethnisch motivierte Konflikt drastisch verschärft, was letztlich auch an mangelnder Sensitivität von Seiten der vielen Regierungen, die das Land seit den letzten Dekaden kannte, liegt. Die Mehrzahl der muslimischen Bevölkerung in dieser umstrittenen Region spricht malaysisch, wie im unmittelbaren Nachbarland, und gehört ethnisch auch einer malaysischen Volksgruppe an. Dabei bildet diese Volksgruppe in der Region die absolute Mehrheit der Bevölkerung - und kein Kloster, keine buddhistische Schule kann ohne den Schutz von Soldaten betrieben werden. Warum niemand auf die Idee kommt den Anspruch des Königreichs auf diese Region fallen zu lassen, grenzt beinahe an Idiotie, denn weder deuten die Anzeichen auf Entspannung und Verständigung, noch darauf, dass die thailändischen Behörden die Lage im Griff haben.

Ein weiterer heiß gehandelter Anhaltspunkt sind die jüngsten Ausweisungen uigurischer Muslime in die Volksrepublik China.

So wird gemunkelt, dass sich uigurische Extremisten dafür rächen könnten, dass Thai Behörden etwa 100 schutzsuchende Uiguren, die vor Verfolgung in der eigenen Heimat flüchteten, zurück ins ungewisse China befördert wurden. Gerade weil die unmittelbare Vergangenheit zeigt, dass Fundamentalisten aus dem Westen Chinas vor Anschlägen auf die Zivilbevölkerung nicht zurückschreckten, wie vor anderthalb Jahren im südchinesischen Kunming, steht auch diese Theorie hoch im Kurs.

Auch ist Thailands Rolle in der Ächtung muslimischer Völker nicht ganz unbeteiligt, das zeigt sich vorallem durch die Zurückweisung etlicher heimatloser Rohingyias, die weder in ihrer Heimat Myanmar, noch im benachbarten Bangladesh willkommen sind. Jüngst wurden die thailändischen Grenzbehörden von einer marginalen Öffentlichkeit verurteilt, dass sie die weltweit am stärksten verfolgte Minorität ohne Skrupel zurück aufs offene Meer schickt und andererseits in illegalen Menschenhandel involviert ist. Der Fall fand kein wirkliches Maß an öffentlicher Empörung. Grund dafür ist nicht nur die Einseitigkeit der thailändischen Medienlandschaft, sondern vor allem die Verschärfung der Zensur und die Unterdrückung kritischer Stellungnahme. So warten derzeit zwei Journalisten vom englischsprachigen Blatt Phuketwan auf ihr Gerichtsurteil, weil sie von den Strafverfahren gegen Grenzbeamte, die in den Menschenhandel involviert sind, berichteten. Die Verurteilung wurde mit der Rechtfertigung begründet, dass die Berichte das Image der thailändischen Behörden und das des ganzen Landes schädigen. Ungerne möchte man sich als unmenschlich und menschenverachtend wissen. Doch auch das Land des Lächelns trägt eine ignorante Fratze, wenn es um die Belange benachteiligter Menschen geht.

Aus diesen Anlässen ließe sich aus vielen guten Gründen schließen, dass der Anschlag einen extremistisch-muslimischen Hintergrund hat. Vor allem aber, weil der Anschlagsort ein heiliger Ort für Thais als auch für Touristen ist, legt die Theorie nahe, dass es sich hierbei um einen religiös-fundamentalistischen Anschlag handeln muss - dass ein Großteil dieser neuerdings aus China kommen oder Bürger anderer Staaten mit chinesischen Ursprungs sind, favorisiert letztere Variante.

So ist es vor allem von außen nur schwer denkbar, dass jemand mit thai-buddhistischen Hintergrund, einen derart heiligen Ort sowie deren Besucher angreifen könnte. Der Schrein repräsentiert zwar den hinduistischen Schöpfergott Brahma, doch der Buddhismus ist wie der Hinduismus selbst eine inklusive Glaubensrichtung – außerdem wird dem Schrein eine quasi-magische Fähigkeit zugeschrieben, das eigene Schicksal mit Glück und Erfolg anzuhäufen. Das Vorurteil, dass extremistische Muslime hinter dem Anschlag stecken, versteht man aber zu aller erst dann als brüchig, wenn man sich vergegenwärtigt, dass für gewöhnlich „Orte der Sünde“, wie Diskotheken, Bars und Bordelle beliebte Anschlagsziele darstellen, angegriffen werden - jedoch keine Orte religiöser Anbetung. Als weiteres Argument gegen einen extremistisch-muslimischen Hintergrund wird herangezogen, dass der Anschlag nicht dem „Muster“ der vergangenen Vorfälle entspricht. Dass auch derartige Terroristen erfinderisch und flexibel sind, sollte man aber annehmen und so sollte eine vermeintlich religiös-fundamentalistischen Hintergrund nicht genauso voreilig ausgeschlossen werden wie er vorgebracht wurde.

Im Allgemeinen sollte man nicht verkennen, welch unterschiedliche Maßstäbe in Thailand gelten. Das wird sichtbar, wenn man betrachtet, wie die Menschen mit dem Vorfall umgehen: Man ist zwar tief betroffen, verwirrt: Wie konnte das nur an so einem heiligen Ort passieren? Aber trotzdem zeigen sich viele Thais unebsorgt - erst mal keine Sorgen machen, alles wird sich schon richten – erhöhte Sicherheitsmaßnahmen außerhalb des Anschlagsortes lassen auch auf sich warten.

Zwei weitere ernstzunehmende Theorien deuten auf ein innenpolitisches Problem. Politisch und sozial wird das Land häufig in zwei zerstrittene Lager aufgeteilt, die sich in näherer Vergangenheit blutige Auseinandersetzungen geleistet haben - in aristokratische Royalisten (den Gelbhemden) und in Sympathisanten der United Front for Democracy aganist Dictatorship (kurz UDD oder auch als Rothemden bezechnet). Während die Royalisten auf das Bestehen des herkömmlichen Systems und eine verstärkte Rolle der Monarchie bestehen, kämpfen die vor allem aus den ländlichen Regionen stammenden Rothemden nicht nur für Demokratie, sondern vor allem um die Anerkennung ihrer Belange, denn lange Zeit hat sich das Interesse der Politik Bangkoks, bis auf einige vom Königshaus forcierte Projekte, nicht über den eigen Radius ausgedehnt. Der Staatsstreich des Militärs im vergangenen Jahr und dessen Unnachgiebigkeit ist vor allem als Versuch zu deuten, diese unheilvolle Trennung zu beschwichtigen und etwas Ruhe und Stabilität in das Land zu bringen – wonach sich wohl viele sehnen dürften. Doch so hat das gewaltsame Aufeinandertreffen der zwei unversöhnlichen Lager, in den letzten Jahren nicht nur gezeigt, wie wenig die Seite der Royalisten von demokratischen Entscheidungen hält, sondern auch, dass weder Demonstranten noch politische Streitkräfte vor äußerster Brutalität zurückschrecken. Auch hier bleibt die Öffentlichkeit wieder einseitig unbehelligt. So erfährt man zwar von den Brandstiftungen, den Molotovcoktails und den Granatwerfern der Rothemden, das Scharfschießen auf Protestanten oder das Einfallen in Klöster jedoch bleibt Staatsgeheimnis.

Ein entscheidender Vorfall der die Variante nahelegt, dass es sich um einen innenpolitischen Konflikt handelt, ist die Warnung eines ehemals aktiven Rothemden, der auf seinem Facebook Profil unter falschem Namen die Warnung eines unmittelbar bevorstehenden Bombenattentats herausgab. Angeblich hatte der Mann die Nachricht von der Seite einer politischen Gruppe kopiert, dessen Namen der Informant aber nicht verraten will. Der Ursprung der Information bleibt im Weiteren ungewiss, weil die Nachricht angeblich unmittelbar von der Seite der besagten Gruppe gelöscht wurde. Angesichts der bereits erbrachten zivilen Opfer und Gefährdungen die die „Rothemden“ in der Vergangenheit verursacht haben, liegt diese Variante eines innenpolitischen Hintergrundes nicht all zu fern. Der herangezogene Informant ist zwar Sympathisant der Antidiktaturbewegung, doch bekennt er sich zu der derzeitigen Militärregierung. So ist es denkbar, dass eine extremistische Splittergruppe der Rothemden auch vor einem der heiligsten Orte der Stadt nicht zurückschreckt – waren nicht zuletzt auch große Kaufhäuser und Kinos unter den Anschlagszielen extremistisch gesinnter Demonstranten.

Aber so belibt nicht zuletzt auch das fadenscheinige Auftreten der Polizei verdächtig, die ein ungewohnt milden Umgang mit dem vermuteten Informanten nach außen zelebriert. Theoretisch lässt dies auch den vierten ernstzunehmenden Verdacht zu, dass die Militärregierung selbst in den Anschlag involviert ist, um ihren Regierungsanspruch weiterhin zu legitimieren. Denn auch wenn die stabilisierende Wirkung der Militärregierung von vielen als ein Segen aufgefasst wird, kann diese jedoch nicht ignorieren, dass unter einem Teil der Bevölkerung die Unzufriedenheit mit der "Übergangsregierung", sowie deren drastischen Maßnahmen und Mitteln, wächst.

Doch letztere Version scheint selbst für hart gesottene Kritiker der Diktatur nur schwer vorstellbar. Nur eingefleischte Verschwörungstheoretiker können der Regierung ein solches Maß an Skrupellosigkeit zumuten. Aber auch weil mit dem Anschlag die Beliebtheit des Landes als Touristenziel angegriffen wird und der Tourismus integrer Bestandteil der hiesigen Wirtschaft ist, ist es nur schwer vorstellbar dass sich die Regierung derart ins eigene Fleisch schneidet.

Ob Racheakt oder Vorwand, ob Separtisten oder politische Opposition, das Land ist schwer betroffen von dem schwersten Anschlag in der Geschichte Thailands. Niemand kann etwas mit dieser gewaltsamen Ausschreitung anfangen oder sie einordnen. Doch das grundsätzliche Misstrauen in das Informationsmanagment der Regierung und der Öffentlichkeit, lässt den Vorfall schon im Vorfeld als ein einziges Rätsel dastehen. Die Frage warum und wieso lässt eine Vielfalt mögliche Antworten zu, von denen man im Grunde genommen alle annehmen könnte. Alles ist möglich in Thailand. Das bezieht sich nicht nur auf die Rolle des Landes als Vergnügungs- und Urlaubsort – das ist die gelebte Realität in der öffentlich-politischen Landschaft Thailands. Denn das Land versinkt in unterschiedlichste Konflikte, die in der Öffentlichkeit alles andere als wahrgenommen und diskutiert werden (dürfen).

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Gérald Cordonnier

Identität? Schwindsüchtiger Gedanke! Was nicht ist das kann noch werden, und der Himmel auf Erden!

Gérald Cordonnier

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