Die Welt ist schön anzusehen in diesem Film. Die Kamera taucht sie in flirrendes Sommerlicht, auch des Nachts herrschen warme Sepiatöne vor. Suze (Virginie Efira) ist empfänglich für derlei Anmut. Die Aufnahmen, die der Arzt von ihrer Lunge und ihrem Gehirn gemacht hat, erinnern sie an farbenfrohe Blumen. Seine Diagnose jedoch erschüttert sie: Das Spray, mit dem sie die Frisuren ihrer Kundinnen in Form bringt, hat sie vergiftet. Die Friseurin wird an zu vielen Dauerwellen sterben.
Ihr bleibt nur eine kurze Frist, um sich einen letzten Wunsch zu erfüllen: das Kind zu finden, das sie als Teenager zur Adoption freigeben musste. Den Beamten, der sie schnöselig entmutigt, trifft brüsk eine Gewehrkugel, denn im Nebenzimmer geht der Selbstmordversuch des deg
ch des degradierten IT-Spezialisten Jean-Baptiste (Albert Dupontel) schief. In der entstehenden Panik entführt sie kurzerhand den Glücklosen, von dem sie sich Zugriff auf die Akten erhofft. Der blinde, aber hilfreiche Archivar Serge (Nicholas Marié) komplettiert alsbald das Außenseiter-Trio, das von der Polizei gejagt wird. Keiner der drei hat Grund, mit einer Welt versöhnt zu sein, in der namenlose Bürokratie und kalte Technologie herrschen.Riesenerfolg trotz PandemieAdieu les cons heißt die ruppige Tragikomödie im Original, die Dupontel auch geschrieben und inszeniert hat. Es ist der Film, der in Frankreich der Pandemie trotzte. Er startete im Oktober 2020, kurz vor Verhängung des zweiten Lockdowns. In den nur neun Tagen davor verkaufte er 700.000 Kinokarten und demonstrierte, dass auch unter rigorosen Einschränkungen – einer maximalen Auslastung der Säle von 35 Prozent, dem Wegfallen der entscheidenden Abendvorstellung dank Ausgangssperre – Zuschauerzahlen wie vor Corona durchaus möglich waren. Noch erstaunlicher als dieser Anfangserfolg ist freilich, dass die Lust auf den Film während des folgenden siebenmonatigen Winterschlafs nicht erlosch. In den ersten Wochen seines Neustarts avancierte Adieu les cons erneut zum Spitzenreiter der Charts. Die sieben César, die er zwischenzeitlich gewann, mögen die Neugier eines zusätzlichen Publikumssegments geschürt haben, das ohne diesen Prestigezuwachs womöglich nicht in ihn gegangen wäre. Adieu les cons erwies sich als ein Longseller, der am Ende seiner Kinoauswertung die Marke von zwei Millionen Eintritten nur knapp verfehlte. Sie entspricht dem Ergebnis, das Dupontels Regiearbeiten meist in Frankreich erzielen. Wie nur wenige französische Filmemacher versteht er es, einen Pakt mit dem Publikum zu schließen.Verblüffend, aber bisher fand keine von Dupontels acht Regiearbeiten den Weg in die hiesigen Kinos – nicht einmal Au revoir là-haut, die Adaption des mit dem Prix Goncourt ausgezeichneten Romans Wir sehen uns da oben von Pierre Lemaitre. Die Tragikomödie schlägt zornige Haken in das restaurative Klima der Jahre nach dem Ersten Weltkrieg und folgt einem Grundimpuls von Dupontels Kino: die Welt zur Rechenschaft zu ziehen. Auch als Darsteller ist Dupontel eine Figur der Krise. In Der perfekte Platz spielte er einen Starpianisten am Wendepunkt, der sich fragt, ob seine Berufung nicht in Benefizkonzerten für Kranke und Obdachlose liegt. Der Schriftsteller, den er in Odette Toulemonde verkörperte, flieht aus einer Lebens- und Schaffenskrise in die Obhut seines größten Fans. Eine seiner abgründigsten Darstellungen gelang ihm in Tage oder Stunden, wo er seinem Familien- und Berufsleben den Garaus macht, um den entfremdeten Vater zu suchen. Seine Charaktere stehen für die Sehnsucht, endlich die Reißleine zu ziehen.Eingebetteter MedieninhaltNun erfüllt sein flüchtendes Trio prächtig das Mandat, der Idiotie des Lebens die Stirn zu bieten. Nach langen Monaten des Hausarrests hatte das Kinopublikum gleich doppelt Grund, sich an seiner Eskapade zu erfreuen. Es ist nicht auszuschließen, dass die Schnittmenge mit jenen Fernsehzuschauern groß war, die zeitgleich die alten Filme des Rechtsanarchisten Louis de Funès zu Quotenrennern werden ließen. Die Burleske als Abwehrzauber gegen die Zumutungen der Wirklichkeit funktioniert in Frankreich nach wie vor. Mit de Funès’ Komödien, die auch oft auf dem Motiv des Ausreißens, der Lebensflucht, beruhen, hat Dupontels Film gemein, dass man seinen Witz zuweilen für albern halten mag, aber nicht umhin kann, zu bewundern, mit welchem Elan er hergestellt wird.Trottel an der MachtWas dein Herz dir sagt – Adieu ihr Idioten! ist ein Film, der nicht locker lässt. Die Schnitzeljagd des Trios kennt kein Innehalten, nur ein kurzes Atemholen. Stets führt ein neuer, tolldreister Zufall die Versprengten wieder zusammen. Ihr Ziel scheint unerreichbar, ist aber unwiderstehlich. Als Gesellschaftsanalyse ist der Befund, das System würde von anmaßenden Trotteln am Laufen gehalten, bestenfalls holzschnittartig. Und das Schreckensbild einer entmenschlichten Technologie schillert je nach Bedarf. Immerhin tragen Jean-Baptistes unerschöpfliche IT-Kenntnisse weitgehend zum Gelingen des Vorhabens bei. Gegen Ende, als ein Bürohochhaus zum Zweck der Liebesanbahnung aus den Angeln gehoben wird, entfalten sie gar Magie.Dupontel gibt sich als Märchenerzähler zu erkennen – ganz ungeniert, weil unverbrüchlich seinen Figuren zugeneigt. Er schickt sie auf eine sentimentale Reise der Erkenntnis. Virginie Efira gelingt es trefflich, zwischen herzig und empfindsam zu trennen. Suzes Satz „Ich lasse niemanden mehr im Stich!“ ist ein wahrhaft beglückendes Bekenntnis. Insofern darf man fast seinen Frieden schließen mit dem deutschen Verleihtitel. Er benennt immerhin die Doppeldeutigkeit des Films, der seine helle Freude daran hat, wie solidarisch sich sein Dreigestirn gegen die Welt verschwört.Placeholder infobox-1