Das amerikanische Mainstreamkino hat wenig Geduld mit Trauernden. Dem Verlorenen nachzuhängen, ist kein Akt, dem hinreichende Dynamik innewohnt. Diesem Kino ist an Aufbruch gelegen, weniger an Bewältigung. Steve McQueens neuer Film vereint beide Erzählimpulse: Widows ist Elegie und Thriller in einem.
Bereits die Exposition verrät diesen doppeldeutigen Ehrgeiz, indem sie den Zuschauer in ein Wechselbad von Ruhe und Chaos taucht. Rabiat blendet der Filmanfang von der Idylle einer letzten Zärtlichkeit voraus zum Furor einer Verfolgungsjagd, deren Ende das Scheitern eines Einbruchs explosiv besiegelt. Von diesem Nullpunkt aus wird der Film sich viel Zeit nehmen für beide Erzähltempi, das der Trauer und das der Selbstbehauptung. Schade nur, dass der deutsche Verleihtitel sich ohne Not ins Schlepptau einer unbarmherzig pragmatischen Mentalität begibt, indem er den Witwen das Adjektiv „tödlich“ beifügt, was ihr Wesen und Handeln nicht annähernd trifft.
Als ihre Männer nach dem letzten Raubzug von der Polizei gestellt und bei einer Explosion getötet werden, reißt das der emotionalen und wirtschaftlichen Existenz der vier Frauen den Boden fort. Schlimmer noch, Veronica (Viola Davis), die Witwe des Bandenchefs Harry (Liam Neeson), wird von Jamal (Brian Tyree Henry) bedroht, der der schwarzen Mafia Chicagos angehört und für einen Sitz im Stadtrat kandidiert: Bei der Explosion sind zwei Millionen Dollar verbrannt, die ihm Harry schuldete. Er setzt ihr eine Frist von einem Monat dafür, das Geld zurückzuzahlen. Veronica, die es bislang vorzog, nicht in die Machenschaften ihres Mannes eingeweiht zu sein, findet ein Notizbuch, in dem er genaue Anweisungen für einen Einbruch hinterlassen hat. Dieses Vermächtnis an Expertenwissen sollte sie eigentlich anderen Berufsverbrechern verkaufen, nun ist es für sie und die anderen Witwen die einzige Chance, zu überleben. Zwei von ihnen (Michelle Rodríguez, Elizabeth Debicki) willigen ein, bei dem Coup mitzumachen; die Vierte hat, wie sich später herausstellt, gute Gründe, dies nicht zu tun.
Widows beruht auf der gleichnamigen TV-Serie von Lynda La Plante aus den 80ern. Das Original gilt als triftiger atmosphärischer Befund der Thatcher-Ära, was nun dazu einlädt, seine Gültigkeit für das Amerika der Trump-Ägide zu überprüfen. In der Tat verleihen ihr McQueen und seine Co-Autorin Gillian Flynn eine lebhafte Aktualität, die einerseits im Mythenfundus Amerikas und andererseits in der Topografie des Handlungsorts Chicago verwurzelt ist. Der 18. Bezirk der Stadt, den der irischstämmige Mulligan-Clan seit Generationen als sein Lehensgebiet betrachtet, hat sich demografisch gewandelt. Nun wird er hauptsächlich von Schwarzen bewohnt, was die Wahl des nächsten Stadtrats erstmals zu einem offenen Rennen macht. Das alte Patriarchat, das sich vertreten durch Jack Mulligan (Colin Farrell) behaupten will, könnte durch ein neues ersetzt werden. Üblicherweise fiele diesem das Mandat des Idealismus zu, aber Jamal und sein Clan sind ebenso zynisch, habgierig und korrupt wie ihre Gegenspieler.
Es nimmt dem politischen Aspekt des Films nichts an Dringlichkeit, dass er mit dem vertrauten Erzählmodell des heist movie verknüpft wird, jenes Genres also, das einen Raubüberfall aus Sicht der Täter nachverfolgt. McQueen unterzieht es einer vielschichtigen Revision. Der sprichwörtliche letzte Coup, der den Weg in den Ruhestand sichern soll, wird nun von Amateurinnen ausgeführt. Er gibt der aus den Fugen geratenen Existenz der Witwen eine, wenn nicht tröstliche, so doch auf die Zukunft gerichtete Struktur: Sie folgt einem Plan, der Wachsamkeit und Zuversicht verlangt. Als Schaustück weiblicher Ermächtigung funktioniert er zunächst nur unter Vorbehalt (schließlich liegt ihm eine „männliche“ Blaupause zugrunde). Aber es bereitet immenses Vergnügen, zuzuschauen, wie die Witwen dieses fremde Terrain zuerst einkreisen und dann erobern.
Keine Idee wird vergeudet
Ihre Souveränität ist keine plakative genderpolitische Behauptung, sondern erwächst mit beiläufiger Selbstverständlichkeit aus den Figuren und Situationen. McQueens Körperkino, dessen Kernthema des Martyriums sich durch Hunger, Shame und 12 Years a Slave zog, wird hier zum Spielfeld des Zugewinns an Fertigkeiten und Macht. Er filmt seine exzellenten Darstellerinnen mit einer Agilität, die ausschert aus den Konventionen. Der Triumphalismus, der sich am Ende minderer heist movies einstellt, ist zwar wehmütig gebrochen, steht aber auch unter dem überraschenden Vorzeichen der Verantwortung für Familie und Gemeinwesen. Beweggründe und Personenkonstellationen erschließen sich dabei oft erst im Nachhinein; keine Idee wird jedoch vergeudet. Die Handlungen aller erweisen sich als eng gebunden an die jeweilige Identität als Ehefrau, Bruder, Vater oder Sohn. Dabei ist keiner von ihnen gegen Verrat gefeit.
Info
Widows – Tödliche Witwen Steve McQueen Großbritannien/USA 2018, 129 Minuten
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