"Meine Stunde Null"

Befreiung Ein DEFA-Film könnte verschüttetes Wissen über die DDR zu Tage fördern, sowie eine spezifische Widerstandstradition und die "deutsch-sowjetische Freundschaft" erhellen.

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Es gibt eigentümliche Zufälle. Vor wenigen Tagen schaute ich in Kreuzberg in einem der vielen Wohnungsauflösungsläden vorbei – in der Hoffnung, irgendetwas zu finden, was interessant sein könnte; schließlich schätze ich dieses ziellose Flanieren durch Läden, in denen irgendwelche Produkte liegen, die einmal für den Besitzer einen spezifischen Gebrauchswert hatten, denen als Ramsch jedoch kaum mehr ein vernünftiger als Preis erscheinender Tauschwert zukommt. Und tatsächlich erblickte ich in einer Kiste einen Stapel merkwürdiger DVDs einer Sonderedition „60 Jahre DEFA“ der SUPERillu - etliche waren bekannt, beispielsweise „Solo Sunny“ oder „Spur der Steine“, auch „Der Untertan“ war dabei oder die herrliche, ehekritische wie frauenemanzipatorische Liebeskomödie „Hostess“ mit Annekathrin Bürger. Von einem der Film hatte ich noch nie gehört: „Meine Stunde Null“ aus dem Jahre 1970. Regie führte Joachim Hasler, er soll ein paar populäre DEFA-Filme gedreht haben, die mir unbekannt sind. „Meine Stunde Null“ interessierte mich nicht nur wegen des Hauptdarstellers, dieser war Manfred Krug, sondern weil Jurek Becker das Drehbuch geschrieben hatte, das auf den Erinnerungen von Karl Krug, Manfred Krugs Vater, beruhte. Nichts schien mir passender, als diesen Film am Vorabend des Tags der Befreiung, also gestern, anzuschauen.

Auf wikipedia werden zwei zeitgenössische Zitate zum Film zitiert, eines stammt von dem Berliner Filmkritiker Heinz Kersten, der drei Tage vor Beginn des russischen Überfalls auf die Ukraine starb. Er kam aus der DDR, wurde von der Stasi drangsaliert, vom Westen freigekauft, baute kulturell Brücken zwischen der DDR und der BRD. Bis zuletzt blieb er links und der DDR kritisch verbunden. Zu „Meine Stunde Null“ fand er keine lobenden Worte: „Nichts gegen Humor und schon gar nichts gegen Entheorisierung, aber man scheint hier wieder einmal von einem Extrem ins andere zu fallen. Gerade zur Anwendung solcher Stilmittel gehört die vielbeschworene 'künstlerische Meisterschaft'. Daran jedoch fehlt es bei den jüngsten Produktionen.“ Derart vorgewarnt gestaltete sich der private Filmabend doch besser als erwartet.

Bereits der Vorspann bot ein wichtiges weiteres Detail: Niemand geringeres als Anton Ackermann soll bei diesem Film dem Regisseur beratend zur Seite gestanden haben. Vielleicht ist die Formulierung falsch und man müsste schreiben, dass er über dem ganzen Projekt als SED-Kulturfunktionär wachte. Neben diesem zählen noch der sowjetische Oberst Nikolai Surkow und der NVA-Offizier Job von Witzleben zu den Beratern des Films. Letztere dürften auch für die etwas länglichen Darstellungen von Kriegsszenen aus sowjetischen Nachrichten und Wochenschauen verantwortlich sein, die in der Filmdramaturgie dem gefangenen Berliner Arbeiter und Gefreiten der Wehrmacht Kurt Hartung (Manfred Krug) erklären sollen, dass die Rote Armee keinesfalls auf dem Rückzug sei, sondern nach Stalingrad die Oberhand gewonnen habe.

In diesen Passagen ist der Film nicht prinzipiell antimilitaristisch, sondern baut auf dem Faktischen auf: Die Deutschen verlieren den Krieg, überleg dir also gut, wo du stehen willst! Der sowjetische Oberleutnant Netrebin und einige andere Kriegsgefangene, die sich dem Nationalkomitee Freies Deutschland (NKFD) angeschlossen haben, vertiefen diese Erkenntnis in Gesprächen mit Hartung und geben ihr eine ethische Dimension. Diese Dialoge sind stark. So erklärt ein NKFD-Agitator, der Krieg sei kein Fussballspiel, man könnte nicht schlicht zuschauen und dann den Besseren beklatschen. Man müsse diesen Krieg so schnell wie möglich beenden helfen, indem man selbst an der Niederlage der deutschen Wehrmacht mitwirkt. Hartung ist Arbeiter, wenig verhetzt und ideologisiert, zählt also zu dem kleinen Teil der Wehrmachtssoldaten, die es laut Forschung an Soldatenbriefen oder Verhörprotokollen ja auch gab und die sich nicht zu Hitlers willigen Vollstreckern eigneten. In einer kurzen Szene, in der Hartung im Militärfahrzeug an niedergebrannten Dörfern und Erhängten vorbeifahren muss, kann er im Gegensatz zu ebenfalls im Film gezeigten sadistischen deutschen Offizieren seinen Abscheu gegenüber der Kriegsbarbarei nicht verhehlen. Bereits in der Anfangssequenz wird der unzuverlässige Arbeiter in Wehrmachtsuniform von seinen Vorgesetzten fahrlässig zum Entschärfen von Blindgängern abkommandiert. Man hätte ihn gerne los, der nicht begeistert bei der Sache ist. Doch der Film propagiert keineswegs eine simple Klassendimension von Kriegszustimmung und -ablehnung, wonach den Hitlerschen Offizieren die böse und den einfachen Soldaten die unschuldige Opferrolle zukommt. Hartung liegt mit einem durchaus vom Endsieg überzeugten Kameraden am Anfang des Films im Graben. Dieser bekommt dann aber auch eine sowjetische Kugel ab.

„Meine Stunde Null“ könnte etwas fahrlässig als DDR-Propaganda-Werk abgetan werden. Sicherlich ist der Film dies auch. Doch eben auch mehr. Der Streifen ist ein Dokument des Versuchs eine „deutsch-sowjetische Freundschaft“ zu stiften, die mitten im Zweiten Weltkrieg begann. Und der Film erinnert an eine in der DDR gepflegte Widerstandstradition, jene des Nationalkomitees Freies Deutschland, die verschüttet und vergessen ist. Vergessen sind auch alle Ansätze der frühen DDR, sich kritisch mit dem NS-Faschismus auseinanderzusetzen und eine andere Gesellschaft aufzubauen. Hier spielte Anton Ackermann eine wichtige Rolle. Sein Ziel, einen „deutschen Weg zum Sozialismus“ zu propagieren, musste er schließlich aufgeben. Dieser Autonomieanspruch musste von ihm sogar dementiert und öffentlich widerrufen werden. Die UdSSR, die abhängig moskautreue SED-Nomenklatura und die rasche Stalinisierung der Ostzone konnte keine eigenen nationalen Wege akzeptieren. Schon alleine wegen Tito nicht. So wie man auch die antideutschen Sonderwegstheorien von der „deutschen Daseinsverfehlung“ nicht akzeptieren konnte, die das SED-Mitglied Ernst Niekisch im Umstülpverfahren seiner ehemaligen nationalbolschewistischen Ideologien formulierte. Auch die antinationalen Überlegungen von Alexander Abusch, der als Kulturfunktionär eine wichtige Rolle bei der Ausrichtung der DDR-Literaturzeitschrift „Sinn und Form“ einnahm, sollten bald marginalisiert sein, ebenso wie die in frühen „Aufbau“-Heften vorgetragenen Thesen über Preußentum, Militarismus und eine nationalisierte Sozialdemokratie als Voraussetzung des Nationalsozialismus, die der Rätesozialist Willy Huhn formulierte.

Wir sind abgeschweift. Doch nicht zu weit, denn: „Meine Stunde Null“ erscheint im NKFD-Gewand mit einem urdeutschen Schauspieler wie Manfred Krug geradezu wie eine kleine späte Rache der Uridee des Anton Ackermann. Denn „Meine Stunde Null“ steht zumindest für einen deutschen Weg zum Antifaschismus. Der Film ist ein Beispiel der in der BRD nicht anzutreffenden und heutzutage verdrängten tief empfundenen Freundschaft Deutscher mit der Sowjetunion und den Russen. Schließlich musste dafür erst einmal die weitverbreitete Nazi-Ideologie vom „jüdischen Bolschewismus“ und vom „asiatischen Untermenschen“ abgestreift werden. Einige Historiker werden aktuell herumgereicht, um den Ostdeutschen „Putinversteherei“, irrational-autoritäre Russlandliebe, ewige SED-Ideologie und Antiamerikanismus zu unterstellen. Das passt zur Zeitenwende. Im Neuen Deutschland hat Ellen Brombacher von der Kommunistischen Plattform der Linkspartei in einem erhellenden Gespräch mit Karlen Vesper etwas anderes betont und auf die Hintergründe des Sowjetunion-Bilds in der DDR-Bevölkerung aufmerksam gemacht: „Da wirken ungezählte menschliche Begegnungen nach: die Freundschaftszüge in die und aus der Sowjetunion. Zehntausende hatten drüben studiert oder gearbeitet. Erinnert sei nur an die 'Druschba'-Trasse. Und wohl Hunderttausende haben ihren Urlaub in der Sowjetunion verbracht, mit unvergesslichen Erlebnissen. Der Großmut der sowjetischen Menschen uns Deutschen gegenüber war fruchtbarer Boden, in dem das Verständnis wachsen konnte, dass sowjetische Soldaten Befreier waren. Und das ist eben im Osten immer noch bei vielen präsent. Dem passt sich die AfD an, nicht umgekehrt.“

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Gerhard Hanloser

Kritische Analysen, Miniaturen und Reflexionen über linke Bewegungen, Theorien und Praxis

Gerhard Hanloser

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