Brückner und die Friedensfähigkeit

Dissidez revisited Gegen Jahresende drückt das schlechte Gewissen. Publizistisch aktive Zeitgenossen haben „Rezensionsschulden“. Manchmal liegt aber auch eine Rezension ewig bei einer Redaktion. Diese zu Peter Brückner ist gut ein Jahr alt.

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2022 hätte Brückner-Jahr werden können. Denn im Mai 1922 ist der kritische Psychologe in Dresden geboren wurden, im April 1982 verstorben. Er muss zu den wichtigsten intellektuellen Sprecher der 68er-Revolte gezählt werden. Nach mehreren gegen ihn laufende Disziplinarverfahren als Hochschullehrer und schrillen medialen Denunziationskampagnen, die ihn als RAF-Sympathisant markierten, versagte ihm in Nizza das Herz.

Etwas verspätet könnte man sagen, widmet sich nun eine kleine Aufsatzsammlung dem radikalen Denker Peter Brückner. Der Band aus dem Wagenbach Verlag präsentiert einen interessanten, aufs Heute zu befragenden Zeitgenossen. Nicht nur sind die Aufsätze und Textteile gut gewählt, sie sind auch allesamt kundig und aktualisierend kommentiert. Man muss dann mit Ulrich Bröckling nicht einverstanden sein, wenn er etwas abgeklärt Brückners Selbstverortung kritisiert. Mehr als eine „angestaubte Pathosformeln“ war es schon, wenn Brückner sich als Teil einer „gegen den Mainstream opponierenden Dissidenz“ definierte. Brückner war auch zu selbstkritisch mit sich und seinen Revolt-Genossen, als dass man ihm einen „heroischen Selbstentwurf“ vorwerfen müsste. Aber immerhin verweist Bröckling auf heutige Anti-Mainstream-Bewegungen wie die „Querdenker“ und stellt die richtige Frage, wie angesichts der „Tyrannei des Wettbewerbs“ eine Zivilcourage der Verbundenheit und nicht der Absonderung aufzubauen ist. Bei Brückner ist dazu allerdings viel mehr zu finden als eine bloße Geste des Abseitsstehens. Schließlich zeigen andere Texte aus dem Buch, dass es dem Kommunisten Brückner, immer um die kollektive Dissidenz und Vergesellschaftung von unten ging. Dies wird besonders deutlich in seiner kritischen Beschäftigung mit der Kommune-Bewegung. Eine subversive Theorie, die antiautoritäre Praxis vorwegnimmt, müsse sich vom orthodoxen Marxismus verabschieden. Die Sozialpsychologie war für Brückner die entscheidende Erweiterung, wie Christine Kirchhoff in einem Kommentar verdeutlicht. Natürlich dürfte auch eklektizistisch Foucault zitiert werden. In einem weiteren Aufsatz extrapoliert Wolfgang Essbach, dass Brückner nicht nur dem K-Gruppen- und Militanzszene-Jargon vom revolutionären „Volk“ nicht traute, sondern tatsächlich als ein „Leidender an Deutschland“ gesehen werden muss, der in Deutschland den Volksbegriff als hoffnungslos durch die Nazis kontaminiert ablehnte. Essbach schildert, dass ihm darin breite Teile der deutschen Linken bis heute folgten, womit der Begriff „Volk“ auch mit seinem anti-elitären Inhalt weitgehend den Rechten überlassen ist und der Linken das dürre Wort „Klasse“ bleibe.

Der Berliner Historiker Götz Aly erklärte anlässlich des 68er-Jubiläums 2008, dass alle Texte der Revolte für ihn tot und anachronistisch wirkten und er sich ernsthaft fragen würde, welches Schriftstück er seinen Kindern oder Enkeln denn geben könne. Der erste im Buch präsentierte Text Brückners ist von 1967, heißt „Ist der Mensch zum Frieden reif?“ und stellt genau das dar, was Aly vermisst. Brückner schildert als Antimilitarist, wie durch die Zerstörung der Unbefangenheit, der Konstruktion eines radikal Anderen, die Enthumanisierung durch autoritäre Erziehung, Kaserne und eine Ideologie des Todes die Friedensbereitschaft systemisch unterlaufen werde. Ein wichtiger Schritt in der Verhinderung unserer Reife zum Frieden, schreibt Brückner, bestehe in der Heroisierung des Tötens. Und er schließt mit der nicht nur marxistischen Einsicht, dass es die ungleiche Verteilung aller Güter, von Besitz, Bildung, Chancen, Herrschaft ist, die viele Menschen daran hindert, reif zum Frieden zu sein.

Das unbefangen Menschliche - Peter Brückner lesen, Verlag Klaus Wagenbach 2022, 192 Seiten, 15 Euro

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Geschrieben von

Gerhard Hanloser

Kritische Analysen, Miniaturen und Reflexionen über linke Bewegungen, Theorien und Praxis

Gerhard Hanloser

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