Zum Beispiel Murat

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Es muss noch im letzten Jahr gewesen sein. Da wollte jemand mit mir eine Umfrage machen. Alles streng wissenschaftlich und es geht um meine persönliche Meinung, sagte die Frau. Kein Problem, die kann ich Ihnen geben, um was geht’s denn. Um junge Leute heute und Deutschland und Religion und so. Die Fragerei dauerte eine halbe Stunde oder länger.


Ich hab bald gemerkt, eigentlich geht es nur um Muslime und Gewalt und ob ich Deutschland gut find. Irgendwas lief da nicht gut. Die wollte gar nicht wissen, ob ich überhaupt ein richtiger Muslim bin, mit Beten und Regelneinhalten und so. Auch sonst war ihr nicht wichtig, wer ich eigentlich bin, ob ich meine Eltern gern hab oder manchmal am liebsten abhauen würde. Ob ich gern mal dorthin fahren würde, wo meine Eltern aufgewachsen sind oder was ich hier vermisse. Ob ich türkisch kann oder ob ich gut Fußball spiel. Ich war für sie Muslim und fertig.


So gings grad weiter. Sie fragte, ob es in Deutschland gerecht zugeht oder ob ich mich mit Gewalt durchsetzen wollte. Überhaupt war ihr wichtig, wie das bei mir mit Gewalt ist. Also nicht: Ist das gut, wenn Deutschland Krieg macht in Afghanistan oder so. Sie hatte einfach keine Ahnung, wie es in der Welt zugeht oder sie wollte es nicht wissen. Fragen Sie doch mal, ob ich schon mal zusammengeschlagen wurde, sagte ich. Oder wann ich Angst haben muss, ohne meine Kumpel nach Hause zu gehen. Fragen sie doch, wann hast du zum ersten mal gemerkt, dass du anders bist als die Deutschen? Das war nämlich im Kindergarten, wo ich immer verspottet wurde und so weiter. Das darf sie nicht, sagte sie, die Fragen stehen nicht in ihrer Liste. Also so geht Wissenschaft. Aber das kenn ich schon. Überall bin ich Türke oder Muslim, nie einfach Murat oder ein Typ mit guten und schlechten Eigenschaften. Halt ein Mensch.


Meist machen sie es einem nicht leicht, sich hier einfach zu Hause zu fühlen. Neulich im Betriebspraktikum zum Beispiel. Da wollte mein Chef mal was besonders Freundliches sagen: Man merkt kaum, dass du Türke bist. Bei dem Fachkräftemangel hast du sogar Chancen auf einen guten Job. Ich hab darauf gar nichts gesagt und da war er gleich wieder stinkig, weil ich nicht dankbar war.


Also zurück zur Umfrage. Ich hab gar nicht mehr daran gedacht, da seh ich plötzlich in der Bildzeitung: SCHOCK-STUDIE! INNENMINISTER WARNT RADIKALE MUSLIME! JUNGE MUSLIME VERWEIGERN INTEGRATION! Und der Minister sagt, dass er keine fanatische Ansichten importieren will. Bin ich da nicht über den Tisch gezogen worden? Also der lässt junge Typen ausfragen, aber es dürfen nur ganz bestimmte Fragen gestellt werden. Dann steckt er ein paar ausgewählte Ergebnisse der Bildzeitung, damit die wieder abrockt und hetzt. Also so wird’s nix mit der Integration, das kann ich Ihnen sagen, Herr Minister. Kann es vielleicht sein, dass Sie die gar nicht wollen? Hier soll sich keiner zu Hause fühlen, höchstens er ist reich und in der richtigen Partei.


Ich kann das Geschwätz über die Muslime und Türken nicht mehr hören. Also ich seh das so: Gehen Sie mal in so ne Vorstadt mit großen Blocks. Jeder Dritte hartzt und die Hälfte der Jungen hat keine Arbeit oder jobbt für ein paar Euro. Und dann fragen Sie die mal, ob sie alles toll finden. Und dann sagen Sie ihnen, dass sie alle faule Assis sind. Mal sehen, ob Ihnen dann der Türke, der Deutsche oder der Russe zuerst in die Fresse haut. So viel zur Gewalt.


Wieso schreibt die Bild eigentlich nicht: Der gute Christ Wulff hat wieder abgezockt. Oder: Die katholischen Manager verdienen so viel wie etwa tausend Leute, die für sie arbeiten. Sie schreiben auch nicht: 90 Prozent der Soldaten in Afghanistan sind Christen und gut integriert. Und sie können auch schlecht schreiben, die Palästinenser sind in ihrer Heimat gut integriert. In der Schule hat jemand gesagt, an die 90 Prozent der Bevölkerung findet die Verhältnisse in Deutschland ungerecht. Da möchte ich mal den Minister in der Bildzeitung hören: Schock! Innenminister warnt radikale Banker! Bosse verweigern Integration!


Manchmal hab ich ne ganz schöne Wut. Integration hin oder her: Ich fühl mich dort zu Hause, wo ich Freunde hab. Wenn jemand zu mir freundlich ist, bin ich es auch. Wenn ich aber behandelt wird, wie der letzte Dreck, dann … Also ehrlich, ich weiß nicht. Wie würd es da Ihnen gehen?


Georg Rammer



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Geschrieben von

grammer

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