Meine Woche mit dem Russian Media Monitor

russische Talkshows Patriotische Journalisten oder Kreml-Sprachrohre? Überraschendes und Erwartbares aus der Welt russischer Polit-Talkshows

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Dieser Blog-Artikel ist vor allem eine Antwort auf den Vorschlag von Mitforisten phillip9x, russissche mit deutschen Talkshowformaten anhand einer einwöchigen Laienstudie unsererseits zu vergleichen. Mir fiel dabei das zweifelhafte Vergnügen zu, einen deep-dive in die Welt der Solowjows, Skabejewas, Popows, Schejnins und Simonjans zu machen. Die Eindrücke und Erkenntnisse aus dieser Erfahrung waren etwas zu umfangreich um sie einfach in einen weiteren Kommentarpost eines seit 5 Tagen toten Feeds zu hängen. Und vielleicht interessiert es ja auch sonst noch jemanden.

Als des Russischen nicht mächtiger Hobby-Medienwissenschaftler war ich auf die Hilfe von Experten angewiesen. Einen ersten Überblick verschaffte ich mir mit Christophe Trontins Artikel aus der le monde diplomatique, der die russische Talkshowwelt der Vorkriegszeit einer kritischen aber auch nicht ganz unfreundlichen Durchsicht unterzieht :

Solche Sendungen sind gewiss nicht objektiv. Sie sind von den staatlichen Fernsehsendern inszeniert, werden von patriotischen Starjournalisten moderiert und sind mit handverlesenen „Experten“ bestückt; der Verlauf der Diskussion lässt sich leicht voraussagen. Aber es ist ihr Verdienst, eine Form von Pluralismus zu schaffen und die Kritiker der Macht, auch Ausländer, zu Wort kommen zu lassen. Wie oft sieht man russische, chinesische oder iranische Gäste in einer europäischen oder US-amerikanischen Talkshow?“

Und Magdalena Kaltseis Analyse des Wandels der russischen Talkshows nach Kriegsaausbruch – erschienen im von mir sehr geschätzten Russlanderklärportal dekoder.org.

„Heute fungieren politische Talkshows in erster Linie als emotionale Unterstützung einer weitgehend entpolitisierten und bereits vorherrschenden Stimmung, die durch die politische Führung, das System unter Putin und entsprechende Nachrichten geschaffen wurde. Gleichzeitig haben sie in den letzten Jahren zunehmend eine didaktische und meinungsmanipulative Funktion eingenommen und beeinflussen somit maßgeblich die öffentliche Meinung. Das war jedoch nicht immer so.“

Interessant war für mich auch dieses Interview mit Felix Schulteß, einem deutschen Regisseur und häufigeren Gast in besagten Talkshows und seine Reflexion über seine Rolle, Funktion und Möglichkeiten in dieser Situation (auch dieses aus der Vorkriegszeit).

„Ich bin das Lackmuspapier, an dem man die eigene Wahrheit zu beweisen sucht. Aber dieser Schuss geht oft nach hinten los, davon bin ich überzeugt. Zumindest bei denen, die nachdenken. Sicher nicht bei den Hardlinern und sogenannten Patrioten. Aber die wirst du sowieso nicht für dich gewinnen.“

Ausgestattet mit diesen Voreindrücken und -überlegungen machte ich mich dann auf in die Videoplaylists des Russian Media Monitor (RMM). Dieser YouTube-Channel kann nun keinesfalls als neutrale Quelle bezeichnet werden. Vielmehr besteht seine Intention darin, ein westliches Publikum mit englisch untertitelten Talkshowausschnitten zu versorgen, um den Propagandacharakter des russischen Fernsehens nachzuweisen. Da aber erstens dieser Charakter auch von russischen Moderatoren überhaupt nicht bestritten wird - „Ich finde, die Regierung hat das Recht, ihren Standpunkt zu haben und Propaganda dafür zu machen. Ich sehe nichts Schlechtes im Begriff Propaganda.“ (Zitat des Moderators Andrei Norkin aus dem verlinkten Trontin-Artikel) - zweitens die Ausschnitt-Sammlungen des RMM auf Grund ihrer schieren Größe einen sehr umfangreichen Blick in die russische Medienwelt gewähren und drittens auch sehr unterschiedliche Perspektiven auf diese Welt zulassen, kann der RMM dennoch eine lohnende Quelle für einen halbwegs unvoreingenommen (und auf englische Untertitelung angewiesenen) Blick in die russische Medienwelt sein.

Meinem Blick bot sich nun folgendes: Russische Talkshows scheinen tatsächlich in einem für mich ungewohnten und sicher nicht erwartetem Maß Wert auf kontroverse Meinungen zu legen. Es finden sich unzählige Ausschnitte, in denen sich Studiogäste und Moderatoren heftig widersprechen, sich gegenseitig anschreien, beschimpfen und bedrohen. Dabei werden auch Meinungen geäußert, die durchaus den offiziellen Kreml-Verlautbarungen widersprechen:

Hier wird dem Politikwissenschaftler, der äußert, er selbst habe (anders als sein Mitdiskutant) kein Interesse daran, in einem Nuklearkrieg zu sterben, allerdings recht unverholen gedroht, er würde einen solchen wohl sowieso nicht mehr erleben.

Hier macht der israelische Gast den Moderator darauf aufmerksam, dass das von ihm ausgegebene Ziel „Kiev und Charkiw von der Landkarte zu tilgen“ „obszön und kriminell“ sei.

Und hier fährt der aufgebrachte Moderator einem Studiogast in die Parade, der die Meinung vertritt, Russland könne auch ohne westliche Technikimporte gut existieren.

Viele dieser Meinungsverschiedenheiten mögen inszeniert sein. Viele der Träger kontroverser Meinungen mögen vor allem dafür eingeladen und aufgestellt werden, um ihre Meinungen vor laufender Kamera zu diskreditieren und auseinanderzunehmen. Aber diese Stimmen kommen dennoch im staatlichen russischen Fernsehen vor. Und sie offenbaren damit einen gewissen Mut zur Auseinandersetzung - denn auch wenn ich den ukrainischen Blogger nur als Watschenaugust einlade, besteht ja immer die Möglichkeit, dass er vor der Kamera trotzdem eine gute Figur macht. Ein Selbstverständnis, von dem sich die oft sehr zahmen deutschen Kollegen vielleicht ein Scheibchen abschneiden könnten.

Aber nur ein bis zwei Scheibchen. Denn die zweite Auffälligkeit russischer Talkshows war für mich: Sie formulieren oft hanebüchenen Unsinn, sind brutal und bedienen sich regelmäßig einer menschenverachtenden Sprache.

Ob, wie hier eine geburtenfreie Welt prophezeit wird, sollte sich der Westen mit seinen Hormontherapien durchsetzen, hier fröhlich über atomare Erstschläge auf europäische Städte sinniert wird (welche nehmen wir zuerst?), hier Ratten- und Kakerlakengift zur Anwendung an ukrainischen Politikern empfohlen oder hier das Ertränken von Kindern mit der falschen politischen Einstellung propagiert wird.

Die Gründe für diese in deutschen Fernsehformaten und selbst in den finstersten Ecken von Fox-News nicht vorstellbaren sprachlichen Verrohungen (vielleicht noch bei Alex Jones, aber der ist Internet) mögen unterschiedliche sein. Neben der naheliegenden Entmenschlichung des Gegeners mag auch die schon vor Kriegsbeginn einsetzende Gopnikisierung der Talkshows eine Rolle spielen. Aber besonders aus meiner deutschen Perspektive lassen mich die oben gezeigten Sprachbilder erschauern und erinnern an eine Zeit, in der genau solchen mörderischen Phrasen (völker-)mörderische Taten folgten. Die Frage, was es mit einer Bevölkerung macht, über einen längeren Zeitraum mit solch menschenverachtendem Dreck bespielt zu werden, wurde hier in Deutschland schon einmal beantwortet.

Zusammengefasst war meine Woche mit dem RMM also in mehrerer Hinsicht überraschend. Ich habe Dinge gesehen, die ich gerne wieder loswerden würde (das Video, in dem Margarita Simonjan die Hammerexekution des Wagner-Überläufers erst zeigt und dann rechtfertig, habe ich hier bewusst nicht verlinkt). Ich habe aber auch meine „aus dem Bauch“-Einschätzung, bei russischen Talkshows handele es sich um simple und lahme Propganda-Tröten korrigieren können. Das Selbstverständnis russischer Talkshows geht über ein reines Herunterbeten und Bestätigen der Kreml-Linie hinaus. In ihnen wird sehr wohl dosierter und sicher auch instrumenteller Raum für Kritik an dieser Linie geboten. Oft gehen diese Shows in ihrem Ukraine- und Westhass oder ihren Weltenbrandfantasien aber auch noch weit über die Position eines schon reichlich abgedrehten Medwedew hinaus. Die Frage nach dem warum hinterlässt bei mir ein etwas flaues Gefühl. Im besten Fall ist es ein Wettbewerb um den Titel Superpatriot. Im schlechteren Fall reizen die Talkshows hier in staatlichem Auftrag einen Raum des Denk- und Sagbaren aus, der von staatlicher Seite noch (!) nicht betreten werden soll.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Grego Lasuk

"Mir gefällt die Demokratie. Man braucht jemanden, dem alle misstrauen. Weil... Dann sind alle zufrieden." Terry Pratchett

Grego Lasuk

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