Die Arroganz der Gläubigen

Religion Eine Reaktion auf roswitha (1) und Jan Dieckhöfer (2) mit der Frage: Wer verunglimpft eigentlich wen?

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

Nach Einsicht der Psychoanalyse projizieren Eltern auf ihr Kind oft unbewusste Wünsche, die in Wahrheit ihrem eigenen Selbst gelten. Das Kind soll entweder ihr Abbild werden oder das gerade Gegenteil davon. So erklärt sich, dass sie in meinem Fall Pläne für mich entwickelt hatten, die nicht nur dem damaligen Zeitgeist zuwiderliefen, sondern auch ihrer eigenen Mentalität, denn sie waren Opportunisten durch und durch.

Einer ihrer Wünsche hatte es sogar bis in ihr Bewusstsein geschafft: Sie hatten beschlossen, mich nicht "taufen" zu lassen. Obwohl sie selbst passive Mitglieder einer Kirche waren, sollte ich selbst bestimmen können, ob ich einer solchen angehören will. Später, wenn die Fähigkeit zu dieser Entscheidung gegeben sein würde.

In meinen ersten zwölf Lebensjahren war dann das Auftreten der Gläubigen derart abschreckend, dass mich "keine zehn Pferde" in irgendeinen "Konfirmationsunterricht" hätten zerren können. Vor allem das penetrante Missionieren, respektive Missioniertwerden ist mir von jeher zuwider. Ob Religionslehrer, Traktat-Verteiler, oder das Wort zum Sonntag: Immer diese selbstgerechte Dreistigkeit, anderen einen "Glauben" unterschieben zu wollen! Und immer dieses peinliche Einschleimen am Anfang und nach einer Minute die rhetorische Wende zum lieben Gott. Wie ein Versicherungsvertreter, der drei Sätze lang menschelt und dann schnell die Unterschrift verlangt, um eine fette Provision zu kassieren.

Vor einiger Zeit klingelten sie bei mir. Man wisse zwar, dass ich "meine Ruhe wollte" weil ich ja "gerade erst nach Hause gekommen" sei, wolle aber dennoch "die Aufmerksamkeit mal auf die Bibel lenken". Ist das zu fassen? Nicht nur, dass sie ungebeten in die Privatsphäre anderer eindringen, um ihnen ihren Gott aufzuschwätzen! Nein, sie wissen auch, was man tut und was man will.

Offenbar glauben Klerikale, eine Art Besitzrecht an den Menschen zu haben. Daher wahrscheinlich auch der landläufige Ausdruck "Schäfchen". Naive, nahezu willenlose Geschöpfe, denen nur daran liegt, zu grasen und zur Herde zu gehören. So scheinen diejenigen, die sich im Besitz "ewiger Glaubensgewissheiten" wähnen, uns zu sehen.

Schon das herablassende Etikett "konfessionslos", das sie mir und meinesgleichen so gerne ankleben, zeugt von entsetzlicher Arroganz. Als wären wir defizitäre Wesen, die aufgrund einer "Verblendung" vom "einzig wahren Glauben abgefallen" sind. Leute, die an sprechende Schlangen, "Wunderheilungen" oder die "Entrückung" glauben, unterstellen anderen, verblendet zu sein!

Unvorstellbar, dass wir vielleicht nie einen Gott gewollt haben könnten, unvorstellbar, dass Menschen bewusst konfessions-frei sind und sein wollen. "Wer Gott nicht kennt, dem fehlt etwas", behaupten sie. Mir hat nie etwas gefehlt. Außer der Angst vor einer "ewigen Verdammnis" oder Schuldgefühlen wegen unterlassenen Kirchgangs. Darauf konnte ich zeitlebens bequem verzichten.

Aber schlimmer geht immer, wie mit der Anmaßung eines Papst Benedikt, der verkündete, die Ureinwohner Amerikas hätten "ihre Christianisierung herbeigesehnt". Fast schon ohne Worte, oder? Die von Wissenschaftlern, wie beispielsweise Tzvetan Todorov auf bis zu 70 Million geschätzten Todesopfer dieser "Christianisierung" sind mit einem Satz mal eben weggewischt.

Ich selbst bin von keinem Pfaffen missbraucht und von keinem Mixa misshandelt worden, aber das unvorstellbare Ausmaß an Leid, dass Religion, auch und gerade das Christentum im Namen angeblicher "Nächstenliebe" über die Menschheit gebracht hat, macht mich fassungslos vor Entsetzen (ja, ich weiß, auch die Islamisten haben ihre Leichengasse, durch die sie die ganze Welt ins "Paradies" treiben wollen).

Wenn es einen Wissenschaftler gibt, auf den man in Deutschland stolz (bitte ohne "national") sein sollte, dann Karlheinz Deschner, der mit seiner Kriminalgeschichte des Christentums ein großartiges Lebenswerk vollbracht und einen wesentlichen Teil christlicher Verbrechen aufgedeckt hat.

"Es muss ein eigenartiges Vergnügen sein, von Jahrhundert zu Jahrhundert im Blut der Menschheit zu schwimmen, und 'Halleluja' zu rufen...Wo sonst noch gibt es diese atemverschlagende Mischung aus Wolfsgeheul und Friedensschalmei, Weihnachtsbotschaft und Scheiterhaufen..? Das Ganze heißt nicht 'Geisteskrankheit', das Ganze heißt 'Christentum'". Wer sie noch nicht gesehen hat, dem sei hierzu die sehr schöne Dokumentation von Ricarda Hinz empfohlen: Die hasserfüllten Augen des Herrn Deschner (7 Teile).

So wird es niemanden wundern, dass mich auch Richard Dawkins Buch Der Gotteswahn begeistert hat ("methodologische" Debatten über Dawkins' Vorgehensweise kann führen, wer will). Besonders gefallen hat mir die Darstellung all der vielen logischen Fehler der Religion, über die ich mir nie Gedanken machen musste, und vor allem die Kennzeichnung dieser Ideologien als Wahn.

Heute bin ich sehr froh über die, vergleichsweise gegebene Säkularität in Europa, darüber, dass Menschen rothaarig, unverheiratet oder schwul sein können, ohne von Glaubensfanatikern verbrannt zu werden. Ich bin froh, dass es ein Blog wie hpd gibt. Ich habe im Juni 2009 voll grimmiger Genugtuung eine Stadtrundfahrt im Gottlosen-Bus mitgemacht und wenn ich Zeit habe, schreibe ich böse Leserkommentare zu jedem Franziskus-Jubelartikel in der FAZ (Gregor).

Von mir aus kann jeder glauben, was er will. Er soll aber andere damit in Ruhe lassen. Ja, ich kann es mir schon denken: Jetzt kommt wieder der Teil mit ich würde doch "missionieren". Halt, Leute! Das genau sind Eure dreisten Verdrehungen und Euer – gemessen an der gepredigten "Demut" – peinlicher Narzissmus: Ihr haltet Euch für sowas von wichtig, dass Ihr Euch immerzu "verfolgt" glaubt.

Ich kann Euch versichern: Ihr könnt Euch mit Hostien vollstopfen, Messwein trinken und Weihrauch schnüffeln, so viel Ihr wollt. Aber bitte, bitte: Macht das beim Abendmahl, macht es in der "Jungschar" oder beim ökumenischen Tanztee und verschont den Rest der Welt mit Eurer altbackenen Rhetorik von der "Erbsünde", vom "jüngsten Gericht" und mit Eurer Angst- und Schuldgefühlserweckung.

Um eine Vorstellung vom Missioniertwerden zu erhalten, können sich mutige Christen (jedoch nur die wirklich Mutigen, klar?), einen kleinen, bösen Film ansehen: 10 Fragen, die jeder gebildete Christ beantworten muss. Aber Achtung! Hier wird der Missionierungs-Spieß dann wirklich einmal umgedreht.

(1) https://www.freitag.de/autoren/roswitha/plaedoyer-fuer-ein-kirchenfreies-christentum

(2) http://www.zeit.de/community/2014-10/religion-kritik-atheismus-positives-weltbild

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden