Angela Merkels jüngstes Interview mit "Die Zeit" im Lichte des aktuellen Krieges

Vertragstreue ist ein kostbares Gut. Es sollte nicht beschädigt werden, damit zukünftige Verhandlungen möglich bleiben.

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Angela Merkel hat am 07.12.2022 der deutschen Wochenzeitung "Die Zeit" ein Interview gegeben. Darin wurde sie auch auf ihre Rolle bei den Verhandlungen zu Minsk 2 und dessen Implementierung angesprochen. Darauf komme ich weiter unten zurück.

Aus der Ukraine wissen wir, dass dort nie die Absicht bestand, diese Verträge einzuhalten. Man hat nur zugestimmt, um eine drohende Niederlage zu verhindern, wie die beiden nachfolgenden Zitate belegen.

2019 sagte Dmitry Yarosch, einst Chef des Rechten Sektors auf dem Maidan und heutiger Berater des Generalstabs der ukrainischen Armee, in einem Interview wörtlich:

"Yarosch: Das Minsker Format - und das sage ich immer wieder - ist eine Gelegenheit, die AFU hinzuhalten, aufzurüsten und zu den besten globalen Standards im nationalen Sicherheits- und Verteidigungssystem überzugehen. Es ist eine Gelegenheit zum Manövrieren. Aber nicht mehr als das. Die Umsetzung der Minsker Vereinbarungen ist der Tod unseres Staates. Sie sind keinen Tropfen des Blutes der Jungen und Mädchen, Männer und Frauen wert, die in diesem Krieg gestorben sind. Nicht ein Tropfen.
Und das muss man verstehen. Poroschenko hat in Minsk gespielt - und gut gespielt. Tatsache. Er hat auf Zeit gespielt.
Während dieses diplomatischen Spiels konnten wir uns besser auf eine mögliche groß angelegte russische Invasion vorbereiten.
- Glauben Sie, dass es an der Zeit ist, das Minsk aufzugeben?
Yarosch: Ganz genau."
"Yarosch: Zelensky sagte in seiner Antrittsrede, er sei bereit, seine Einschaltquoten, seine Popularität und seine Position zu verlieren... Nein, er wird sein Leben verlieren. Er wird an einem Baum auf Chreschtschatyk hängen, wenn er die Ukraine und die Menschen, die in der Revolution und im Krieg gestorben sind, verrät.
Und es ist sehr wichtig, dass er dies versteht. So wie es aussieht, hat Zelensky alle Aussichten, ein guter Präsident und ein kämpferischer Oberbefehlshaber zu werden."

Petro Poroschenko, der ehemalige Präsident der Ukraine betonte im November 2022:

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"Ich möchte Sie nur ganz kurz daran erinnern, was Minsk bedeutet. Minsk war die Garantie für die territoriale Integrität und Souveränität der Ukraine, der Abzug aller russischen Truppen aus der Ukraine - das ist der Satz mit der Unterschrift von Putin. Lassen Sie alle Geiseln frei. Abzug der schweren Artillerie und der Waffen, einfach alles.

Warum war es so wichtig, damals das Minsker Abkommen zu unterzeichnen? Aus zwei Gründen. Erstens, um der ganzen Welt zu zeigen, dass Putin ein Lügner ist, und zweitens, um mir zu helfen, bewaffnete Kräfte zu schaffen. Denn als ich zum Präsidenten gewählt wurde, hatten wir überhaupt keine Streitkräfte.

SESTANOVICH: Herr Präsident, darf ich diesen Punkt aufgreifen? Sie haben angedeutet, dass die Minsker Vereinbarungen für die Ukraine tatsächlich nützlich waren. Sie haben Ihnen einige Vorteile verschafft. Und die Frage ist nun, ob ein diplomatisches Forum auch Vorteile bringen würde.

Ich erwähne dies, weil der Widerstand der Ukraine gegen Verhandlungen von vielen so gesehen wird, dass Sie in die Defensive gedrängt werden. Man muss erklären, warum man gegen Gespräche ist. Und die Russen sagen: "Nun, wir sind nur für bedingungslose Gespräche. Das verschafft ihnen zumindest in der Öffentlichkeitsarbeit einen gewissen Vorteil.

Gibt es einen Weg, wie die Ukraine den Vorteil in dieser diplomatischen Frage besser ausnutzen kann?

POROSHENKO: Zunächst einmal ist das ein Missverständnis. Ich bin absolut nicht gegen die Verhandlungen. Mehr noch, ich bin für Verhandlungen. Aber diese Verhandlungen sollten von einem sehr professionellen, sehr effizienten, wahrscheinlich besten Verhandlungsführer der Welt geführt werden. Und wir haben diesen Verhandlungsführer. Kennen Sie seinen Namen? Bewaffnete Streitkräfte der Ukraine. (Gelächter.)"

Es ist daran zu erinnern, dass der Vertrag von Minsk 2 vom UN-Sicherheitsrat begrüßt und gebilligt worden ist. In diesem UN-Dokument sind 13 Punkte aufgeführt, die von der Ukraine und den abtrünnigen Republiken realisiert werden sollten. Nach der Waffenruhe und dem Abzug der schweren Waffen ging es in den folgenden Punkten im wesentlichen um die Aufnahme von Gesprächen zwischen diesen beiden Seiten, freie lokale Wahlen in den Republiken, den Abzug aller ausländischen Truppen und Söldner und um eine Verfassungsreform der Ukraine, die den Republiken einen Sonderstatus innerhalb der Ukraine gewährt. Das Dokument ist oben auf deutsch verlinkt.

Die Ukraine hat bis heute keine Gespräche aufgenommen und die Verfassungsreform verweigert.

Weder Russland noch Frankreich oder Deutschland werden in diesem Vertrag erwähnt. Ihre einzige Rolle bestand darin, die Einhaltung der Vereinbarungen zu garantieren. Angela Merkel engagierte sich als deutsche Bundeskanzlerin in den darauffolgenden Jahren und versuchte zwischen Russland und der Ukraine zu vermitteln. In der Rückschau legte sie im Interview mit "Die Zeit" am 7.12.2022 ihre Intentionen offen:

"…Oder schauen wir auf meine Politik in Bezug auf Russland und die Ukraine. Ich komme zu dem Ergebnis, dass ich meine damaligen Entscheidungen in einer auch heute für mich nachvollziehbaren Weise getroffen habe. Es war der Versuch, genau einen solchen Krieg zu verhindern. Dass das nicht gelungen ist, heißt noch nicht, dass die Versuche deshalb falsch waren.

ZEIT: Man kann aber doch plausibel finden, wie man in früheren Umständen gehandelt hat, und es angesichts der Ergebnisse trotzdem heute für falsch halten.

Merkel: Das setzt aber voraus, auch zu sagen, was genau die Alternativen damals waren. Die 2008 diskutierte Einleitung eines Nato-Beitritts der Ukraine und Georgiens hielt ich für falsch. Weder brachten die Länder die nötigen Voraussetzungen dafür mit, noch war zu Ende gedacht, welche Folgen ein solcher Beschluss gehabt hätte, sowohl mit Blick auf Russlands Handeln gegen Georgien und die Ukraine als auch auf die Nato und ihre Beistandsregeln. Und das Minsker Abkommen 2014 war der Versuch, der Ukraine Zeit zu geben.

Anm. d. Red.: Unter dem Minsker Abkommen versteht man eine Reihe von Vereinbarungen für die selbst ernannten Republiken Donezk und Luhansk, die sich unter russischem Einfluss von der Ukraine losgesagt hatten. Ziel war, über einen Waffenstillstand Zeit zu gewinnen, um später zu einem Frieden zwischen Russland und der Ukraine zu kommen.

Sie hat diese Zeit hat auch genutzt, um stärker zu werden, wie man heute sieht. Die Ukraine von 2014/15 ist nicht die Ukraine von heute. Wie man am Kampf um Debalzewe (Eisenbahnerstadt im Donbass, Oblast Donezk, d. Red.) Anfang 2015 gesehen hat, hätte Putin sie damals leicht überrennen können. Und ich bezweifle sehr, dass die Nato-Staaten damals so viel hätten tun können wie heute, um der Ukraine zu helfen."

Es gibt jetzt aus meiner Sicht zwei Möglichkeiten:

  1. Merkel sagte 2015 die Wahrheit und lügt heute.
  2. Merkel log 2015 und sagt heute die Wahrheit.

Beides beschädigt aus meiner Sicht die Reputation Deutschlands als vertragstreuer Partner. Wer will mit einem solchen Land Vereinbarungen treffen?

P.S. Man vergleiche das UN-Sicherheitsratsdokument mit der Anmerkung der Redaktion ("eine Reihe von Vereinbarungen für die selbst ernannten Republiken Donezk und Luhansk), die ganz klar eine Irreführung der Leser ist.

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