Gibt es auf der Erde einen Punkt…?

Wenn ja, wie viele? @W. Endemann hat in einem Beitrag ein mathematisches Rätsel vorgestellt. Es ist ein sehr abstraktes Zahlenrätsel, welches sich aus meiner Sicht vor allem dadurch auszeichnet, dass es mit dem Alltag von Menschen wenig zu tun hat.

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Es ist eine Aufgabe, wie sie sich Mathematiker mit Vergnügen ausdenken, eine Aufgabe, die in ihrer Welt Sinn ergibt. Man kann damit seine eigenen Fähigkeiten zu abstraktem Denken testen und schulen. Man weiß hinterher, ob man zum Mathematiker taugt oder auch nicht.

In einer ersten Antwort kam auch sogleich ein Schuldeingeständnis, nicht über genügend mathematische Intelligenz zu verfügen. Kann man das aus solch einer Aufgabe wirklich ableiten? Ich glaube das nicht, weil es eine Aufgabe für Spezialisten ist, die auf einem Spezialgebiet arbeiten.

Mathematik durchdringt unseren Alltag. Trotzdem muss man immer wieder feststellen, dass viele Menschen Innumeraten sind. Der Mathematikunterricht an unseren Schulen vermag es nicht, die Schüler so zu erreichen, dass deren Interesse an Mathematik geweckt wird. Das liegt nicht nur an der Ausbildung der Lehrer, sondern hat tiefer liegende Ursachen, wie das folgende Zitat aus dem Buch "Lichtblick statt Blackout: Warum wir beim Weltverbessern neu denken müssen" von Vince Ebert:

"Vor einigen Jahren schrieb der Literaturprofessor Dietrich Schwanitz in seinem Bestseller »Bildung – Alles, was man wissen muß«: »Die naturwissenschaftlichen Kenntnisse tragen sicherlich einiges zum Verständnis der Natur, aber wenig zum Verständnis der Kultur bei. Naturwissenschaftliche Kenntnisse müssen zwar nicht versteckt werden, aber zur Bildung gehören sie nicht.«"

Dabei gibt es so viele Bücher, die Mathematik auf unterhaltsame und verständliche Art dem Leser nahebringen. Vielleicht fühlt sich der eine oder andere Leser ermuntert, sein Lieblingsbuch in der Diskussion kurz vorzustellen. Weihnachten steht vor der Tür, mancher kann sicher noch eine Geschenkempfehlung gebrauchen.

Aus der Vielzahl meiner Bücher möchte ich für Fortgeschrittene den amerikanischen Autor Raymond Smullyan empfehlen. In außergewöhnlicher Art und Weise verknüpft er Mathematik, Logik und Philosophie. Letzteres kann man in dem Buch "Das Tao ist Stille" sehr gut nachvollziehen. In ein Kapitel wird die Frage gestellt "Ist Gott Taoist?" Hier kurz der Beginn der Diskussion zwischen Gott und einem Sterblichen:

»STERBLICHER: Oh Gott, ich flehe dich an, wenn du auch nur ein Quäntchen Erbarmen für diese deine leidende Kreatur übrig hast, erlöse mich vom Zwang des freien Willens!

GOTT: Du weist mein größtes Geschenk an dich zurück?

STERBLICHER: Wie kannst du etwas, was mir aufgezwungen wurde, ein Geschenk nennen? Ich habe einen freien Willen, aber nicht aus freiem Entschluss. Ich habe den freien Willen nicht frei gewählt. Ich bin gezwungen, Willensfreiheit zu haben, ob ich will oder nicht!

GOTT: Warum würdest du lieber keinen freien Willen haben?

STERBLICHER: Weil Willensfreiheit moralische Verantwortung bedeutet, und moralische Verantwortung ist mehr, als ich verkraften kann!

GOTT: Warum findest du moralische Verantwortung so unerträglich?

STERBLICHER: Warum? Offen gestanden, kann ich gar nicht sagen, warum; ich weiß nur, dass es so ist.

GOTT: Also gut, wenn das so ist, nehmen wir einmal an, ich befreie dich von aller moralischen Verantwortung, lasse dir aber dennoch deinen freien Willen. Wärst du damit zufrieden?

STERBLICHER: (nach einer Pause) Nein, ich fürchte nein.«

Da ich selbst Ingenieur geworden bin, weil mir das Abstraktionsniveau der Mathematik nicht so besonders lag, möchte ich noch einen zweiten Autoren empfehlen. Werner Gilde hat mich mit seinen Büchern schon seit meiner Schulzeit begleitet. In seinen "Dienstreisen mit Augenzwinkern" berichtete er von fernen Ländern und wie die Menschen dort ticken. Anfang der 60er Jahre ging es bei einem Besuch in China darum, jedem Chinesen eine Zahnbürste zur Verfügung zu stellen. Gilde machte sofort eine Überschlagsrechnung und stellte fest, dass dafür die dreifache Jahresproduktion des gesamten Leunakombinates der DDR notwendig wäre. Dies beeindruckte mich so sehr, dass ich diese Überschlagsrechnungen verinnerlichte. Er berichtet auch von einer Szene auf einem dortigen Staatsempfang. Die Chinesen wollten den Deutschen etwas Gutes tun und stellten eine Schwarzwälder-Kirsch-Torte auf den Mittagstisch. Der Kellner kam zu Beginn des Essens mit der Suppe, sah die Torte und schlussfolgerte messerscharf, dass die Torte in die Suppe gehört. Gilde wurde vom Botschafter gerettet.

In seinem Buch "Seltsames um den gesunden Menschenverstand" bringt er eine Aufgabe, die ich im Nachbarblog schon teilweise gestellt habe.

»Daß die Orientierung auf einer Kugeloberfläche Probleme enthält, die das mathematisch-logische Denken geradezu herausfordern, zeigt auch folgende kleine Geschichte:

Ein Jäger geht von einem bestimmten Punkt der Erdoberfläche aus einen Kilometer nach Süden, von dort einen Kilometer nach Osten und dann einen Kilometer nach Norden. Danach ist er wieder an seinem Ausgangspunkt angelangt. Dort schießt er einen Bären. Welche Farbe hat der Bär?«

Das Fell ist natürlich weiß und der lebte am Nordpol. Da es heutzutage nicht mehr opportun ist, Eisbären zu schießen, kann man diese Bedingung auch weglassen. So ist die Aufgabe aber relativ einfach zu lösen und man kann darüber nachdenken, wie unser Alltagsverstand durch die Windrose mit den Himmelsrichtungen, die senkrecht zueinander stehen, genarrt wird. Wenn man das Koordinatensystem auf der Kugel richtig verstanden hat, weiß man auch, warum die Titanic so weit nördlich gefahren ist. Mit einem Gummiband auf dem Globus kann man nachvollziehen, wo die kürzeste Verbindung langgeht. Man kann dann auch die Frage beantworten, wie Gilde zu folgender Aussage kommt:

»Wir werden sehen, daß es außer dem bereits genannten Punkt (dem Nordpol) noch unendlich viele Punkte der Erdoberfläche gibt, die den "bärenfreien" Teil der Aufgabe erfüllen.«

Was müssen wir bedenken, wenn wir nach Süden, Osten und Norden gehen. Wir bewegen wir uns auf der Kugeloberfläche erst auf einem Längenkreis, dann auf einem Breitenkreis und schließlich wieder auf einem Längenkreis. Wenn man sich also in die Nähe des Südpoles begibt, dann geht man auf erst einem Längenkreis in Richtung Südpol. Man muss die Entfernung so wählen, dass der Breitenkreis, auf dem man ankommt einen Umfang von 1 km hat. Geht man nun auf diesem Breitenkreis nach Osten, trifft man nach 1 km auf den Längenkreis von dem man gekommen ist. Diesem braucht man nur noch 1 km nach Norden zu folgen und ist wieder am Ausgangspunkt. Da dieser Ausgangspunkt selbst auf einem Längenkreis liegt, kann man die Aufgabe von den unendlich vielen Punkten dieses Längenkreises erfüllen.

Es gibt aber darüber hinaus unendlich unendlich viele Punkte, die die obige Bedingung ohne Bären erfüllen. Viel Spaß beim Knobeln.

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