von Dolsperg hätte den NSU stoppen können

V-Mann Tarif Der ehemalige Neonazi und V-Mann Tarif des BfV, Michael von Dolsperg, bestätigt erneut, dass der Verfassungsschutz die NSU Terroristen hätte festnehmen lassen können.

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V-Mann Tarif:Michael von Dolsperg hätte den NSU stoppen können

In der heutigen Ausgabe der Welt zitieren Stefan Aust und Dirk Laabs aus dem Expose der ehemaligen Top Quelle des BfV für sein Buch "Enttarnt – Ich hätte den NSU stoppen können", in dem dieser den Anruf des Thüringer Neonazis und NSU Unterstützers André Kapke beschreibt:

" Er fragt nach einem Versteck für die drei. Ob ich nicht irgendetwas wüsste, wo man sie sicher unterbringen könne. Ich sage, ich müsse nachdenken und würde mich melden, sobald mir etwas einfalle (…) Die drei wurden wegen Sprengstoffdelikten gesucht, und so rufe ich umgehend meinen V-Mann-Führer Alex an und informiere ihn über das Gespräch. Schließlich spricht nichts dagegen, meine Wohnung zu nutzen. Doch der gibt mir nur die Instruktion, falls Andre K. noch einmal anrufen würde, zu sagen, dass ich kein Versteck für die drei wisse. (...) Ziemlich sicher ist, dass man das NSU-Trio damals in meiner Wohnung hätte aufgreifen können – und zwar bevor diese begannen, unschuldige Menschen zu ermorden. Doch offenbar waren die Interessen anders gewichtet ..."

Michael von Dolsperg, ehemals Michael See, hatte diesen Vorwurf bereits im Februar dieses Jahres gegenüber dem Spiegel geäußert. Der Verfassungsschutz schredderte, schwieg und es schien nichts in den Archiven mehr auffindbar:

"André K. bestreitet die Schilderung von Dolsperg, der Verfassungsschutz will sich zur Sache offiziell nicht äußern. Sicher scheint jedoch, dass es in den Archiven des Geheimdienstes keinen Hinweis gibt, wonach die Möglichkeit bestanden hätte, über Dolsperg an die drei Gesuchten heranzukommen. Allerdings ist im November 2011, unmittelbar nach dem Auffliegen des NSU, die Originalakte "Tarif" vom Verfassungsschutz im Rahmen einer größeren Schredderaktion vernichtet worden."

Die Details der größeren Schredderaktion schildern Aust und Laabs heute erneut:

" Nur Stunden nachdem sich Beate Zschäpe am 8. November 2011 gestellt hatte, ließ ein hochrangiger Beamter des BfV mit dem Arbeitsnamen Lothar Lingen Akten über Tarif heraussuchen. Wenig später drängte Lingen eine Archivarin, die Akten zu schreddern. Lingen ließ Wochen später noch weitere Tarif-Aktenteile vernichten, nachdem er zunächst behauptet hatte, dass die Schredderung der anderen Dokumente zuvor ein Fehler gewesen sei. In einem Bericht eines Sonderermittlers, den das Bundesinnenministerium eingesetzt hatte, heißt es lapidar: ein Teil der Akten, darunter Treffberichte des V-Manns Tarif, seien nicht zu rekonstruieren. In diesen Berichten fasst der V-Mann-Führer Inhalt, Umstände und gegebenenfalls Aufträge zusammen, die ein V-Mann bekommen hat."

Es überrascht kaum, dass nun offensichtlich doch mehr Akten über seine Arbeit als Spitzel im Bundesamt für Verfassungsschutz vorhanden sind, als bislang außerhalb des Dienstes bekannt war:

"Aus Sicherheitskreisen heißt es, dass man vonseiten des Bundesinnenministeriums gegenüber dem Bundestag zugegeben habe, dass das BfV alle "Quellenberichte" des V-Manns Tarif im Archiv lagere. Welche und wie viele Berichte das genau sind, sei noch unklar. Mitglieder des Bundestags-Untersuchungsausschusses weisen aber darauf hin, dass die rekonstruierte Akte Tarif, die man ihnen vorgelegt habe, nachdem die Schredder-Aktion bekannt geworden sei, nur aus einem einzigen Ordner bestanden habe. Die Berichte des V-Manns Corelli, einer der wichtigsten Quellen des Bundesamts, der über 17 Jahre berichtete, verteilen sich mit allen Anlagen beispielsweise auf 220 Ordner – Tarifs Erzählungen dürften Dutzende Akten gefüllt haben."

Unnötig zu erwähnen, dass Bundesanwaltschaft und das BKA dem Spitzel nicht glauben, dass sein V-Mann Führer die Geschichte dementiert.

Nur wer glaubt der Bundesanwaltschaft noch, einer Anklagebehörde, die in sogenannten Hintergrundgesprächen Kritik an der Berichterstattung bestimmter Medien übt und über einen Opferanwalt herzieht, wie Thomas Moser berichtete. Deren These, der NSU sei eine singuläre Vereinigung aus drei Personen gewesen, mittlerweile sogar von den Mainstreammedien angezweifelt wird. Die Behauptung, Zschäpe, Böhnhardt und Mundlos seien zwischen ihrem Abtauchen 1998 und dem 4.11.2011 unauffindbar gewesen und das Kürzel NSU sei in den Dokumenten der Verfassungsschützer nicht existent, ist längst widerlegt. Das Vorgehen des Verfassungsschutzes lasse sogar „den Verdacht gezielter Sabotage und des bewussten Hintertreibens eines Auffindens der Flüchtigen zu“, erklärte der NSU-Untersuchungsausschuss des Thüringer Landtags in seinem Abschlussbericht. Darüberhinaus gibt es nach Ansicht des Ausschusses Indizien gegen die „Suizidthese“. So seien keine Rußpartikel in den Lungen von Böhnhardt und Mundlos gefunden worden, obwohl einer der beiden vor dem Selbstmord das Wohnmobil angezündet haben soll.

Gab es also eine Verschwörung ? Haben die Sicherheitsbehörden die drei geschützt ?” fragte der Bericht aus Berlin am 14.4.2013.

In den vergangenen zwei Jahren waren sich deutsche Journalisten nicht zu schade, mittels des negativ konnotierten Begriffes Verschwörungstheorie, an der Vertuschung des NSU-Komplexes mitzuwirken. Bestes Beispiel hierfür sind die medialen Kommentare zumMord an Halit Yozgat in Kassel am 6.4.2006. An diesem Tag hielt sich zum Zeitpunkt des Mordes am Tatort der ehemalige Verfassungschützer Andreas T. auf. Dieser kooperierte als V-Mannführer mit dem V-Mann Benjamin Gärtner, welcher sowohl Kontakt zur Kasseler rechten Szene, aber auch nach Thüringen hatte und dort 2001 bei einer Aktion des Thüringer Heimatschutzes (THS) in Eisenach festgenommen worden.

Die Anmoderation von Moderatorin Anja Reschke in der Panorama Sendung vom 5.7.2012 ersetzte Fakten durch Desinformation:

” Die Geschichte rund um die rechtsextreme Terrorzelle NSU und den Verfassungschutz. Nicht nur, dass unser Nachrichtendienst jahrelang nicht mitgekriegt hat, dass es dieses rechte Trio überhaupt gibt, nicht nur, dass Akten über die NSU geschreddert wurden, aus Versehen. Nein, jetzt liest man auch noch: hat ein Verfassungsschützer selbt einen NSU-Mord begangen. Steht heute in der renommierten Zeitung “die Zeit” und ebenfalls in Bild. Oha. Das klingt wie Hollywood. Zu doll um wahr zu sein. Panorama und die Süddeutsche Zeitung haben sich schon lange sehr ausgiebig mit diesem Fall beschäftigt und festgestellt, dass vieles was man zu so einer Verschwörung zusammenreimen kann, wohl eher reiner Zufall war.”

Was der Panorama Beitrag verschwieg: Das vom heutigen hessischen Ministerpräsidenten Volker Bouffier (CDU) seinerzeit geführte Innenministerium in Wiesbaden verhinderte eine Befragung des rechten V-Mannes (laut SZ/Tanjev Schultz ein “ziemlich kleines Licht” ) und anderer Informanten. Er untersagte es der Polizei, die V-Leute selbst zu vernehmen. Das ” Wohl des Landes Hessen “ sei gefährdet. Die Quelle wurde später lediglich durch den Landesverfassungsschutz selbst vernommen, nachdem Fragen der Polizei übersandt worden waren. Diese Vernehmungen erbrachten jedoch „keine weiterführenden Erkenntnisse“, berichtete die Staatsanwaltschaft. Eine Vorgesetzte von Andreas T. rieft den vom Dienst freigestellten Mitarbeiter an, um ein Treffen auf einem Autobahn-Rasthof zu vereinbaren.

Anstatt solche Hintergünde zu beleuchten präsentierten Panorama Redakteure am 13. Juli 2012 eine reißerische Abhandlung zum Thema Verschwörungstheorien mit der Überschrift “NSU-Morde: Fakten und Fabeln” :

” [Bildunterschrift: Trenchcoat, Lederhandschuh und Aktenkoffer gehören zu fast jeder guten Verschwörung. ]Nichts regt die Phantasie so schön an, wie die Beschäftigung mit dem Geheimen: Deswegen blüht in der Literatur das Genre des Agentenromans, und in unserem journalistischen Gewerbe das Genre der Verschwörungstheorie. Im Agentenroman ist immer alles möglich, auch und gerade das Undenkbare. Gerne werden auf den letzten zehn Seiten aus Helden Bösewichter, aus Regierungen kriminelle Organisationen – eine völlig neue schillernde Welt entsteht. Das ist sehr unterhaltsam, ebenso wie die journalistische Verschwörungstheorie immer unterhaltsam sind. Denn nichts ist banal, nüchtern und langweilig – alles ist wahnsinnig merkwürdig und atemberaubend unglaublich. In Zeiten der NSU-Affäre etwa werden aus langweiligen Verfassungsschutzbeamten mordende Zombies, aus katastrophaler Unfähigkeit wird bösartige Vertuschung, aus Dummheit Verschwörung. Dafür gibt es viele Beispiele aus jüngerer Zeit. Mittlerweile – siehe unsere Umfrage – ist das entsprechende Gedankengut auch schon Allgemeingut. Alle Verschwörungstheorien folgen übrigens demselben dramaturgischen Muster: Vermeintliche Ungereimtheiten bei Nebensächlichkeiten werden grotesk überhöht, die naheliegenden Hauptfragen geschickt umgangen.”

Alles ausermittelt! Meint ein weiterer NSU-Experte. Befragt nach der Ermordung des Kasseler Internet-Cafe-Besitzer Halit Yozgat und dem Umstand, dass der ehemalige, hessische Verfassungsschützer Andres Temme der zur Tatzeit am Tatort war und vom Mord nichts bemerkt haben will, erklärte der Investigativjournalist Hans Leyendecker aufgebracht:

” Das is ausermittelt. Das ist nun wirklich damals ausermittelt, das ist jetzt noch mal ausermittelt. Der saß da, das is auch ne Figur wie eigentlich aus ‘nem Roman, hat früher Mein Kampf intensiv gelesen. Es passte scheinbar alles. Aber es ist ausermittelt, er hat mit dieser Tat, wenn Sie gucken, die Mörder kamen aus Dortmund, es wäre möglich gewesen, dass sie in Münster gemordet hätten, dass sie woanders, er hat mit dieser Tat nicht zu tun gehabt. (…) Was ausermittelt ist und das ist ausermittelt. Und dann kann ich nicht mit ‘ner Verschwörungstheorie noch mal um die Ecke kommen.”

Das Nachplappern behördlicher Stellungnahmen ist aber kein Journalismus, Herr Leyendecker.

Glenn Greenwald:

" Das Prinzip der vierten Gewalt soll Transparenz innerhalb der Regierung und eine Kontrolle gegen staatliche Übergriffe gewährleisten. (...) Eine wirksame Kontrolle gibt es aber hier nur, wenn Journalisten den politischen Machthabern gegenüber eine kritische Haltung einnehmen."


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Gold Star For Robot Boy

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