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Birgit Klaus, Tier zuliebe

„Die Frage hat für die Menschen nicht zu lauten: Können Tiere denken? Sondern sie hat zu lauten: Können Tiere leiden?“ So lautet ein Zitat von Jeremy Benthon, das die Fernsehjournalistin und „Planet Wissen“-Moderatorin Birgit Klaus ihrem kürzlich erschienenen Buch „Tier zuliebe“ voranstellt. Darin beschreibt sie ihren Selbstversuch, zunächst für ein Jahr kein Fleisch mehr zu essen.Das Leid einer vor ihren Augen von zwei rücksichtslosen Autofahrern überfahrenen Katze wird für sie zu einer Art Initialzündung: „So wie das Kätzchen leiden andere Tiere Tag für Tag. Rinder, Schweine, Hühner. Nicht weil Autos sie versehentlich überfahren, sondern weil Menschen sie halten, um sie zu töten“, schreibt Birgit Klaus. Die keimende Absicht, Vegetarierin werden bzw. es probieren zu wollen, bekommt für sie eine sehr grundsätzliche Bedeutung. Nicht nur weil es gesünder und klimafreundlicher wäre, nein, sie sieht das Leid der Tiere im Vordergrund und die Tatsache, dass sie für unseren Spaß, unseren kulinarischen Genuss sterben und sehr oft leiden müssen. Zu Beginn ihres Versuchs nimmt Birgit Klaus sich vor, „mit offenen Augen durch die Welt zu gehen und Argumente für und gegen Vegetarismus zu sammeln, mit dem Ziel: aus Einsicht eines Tages ohne Mühe auf Fleisch verzichten zu können“.


Mit dem Vorsatz ist sie nicht allein: Nach geschätzten Zahlen sind zwischen 6 und 8% der Bevölkerung Vegetarierer. Etwa 1/3 der Vegetarier haben einen Hochschulabschluss. Der typische Vegetarier sei, zitiert die Autorin Untersuchungen, weiblich, gebildet, problembewusst und Städterin. Hauptschulabsolventen machten nur 2,5% der Vegetarier aus. Prof. Achim Spiller sagt in dem Buch, Fleisch drohe „zum Unterschichtprodukt zu werden“. Interessant auch die unterschiedliche Fleisch-Konnotation von Männern und Frauen: Für Männer habe Fleisch Symbolcharakter, es stehe für Kraft und Potenz; Frauen verbänden mit einer fleischlosen Ernährung Gesundheit.

Klaus fasst ihre„vier wesentlichen Gründe für den Verzicht auf Fleisch“ zusammen: „Das Töten von Tieren, die Massentierhaltung, die eigene Gesundheit und zuletzt den Klimawandel.“ Zu allen diesen Gründen trägt sie Informationen zusammen. Immer wieder finden sich im Buch Interview-Einschübe mit diversen Experten, bei denen sich Birgit Klaus Rat und Wissen abholt. Sie lässt ihre Leser an ihren Recherchen teilhaben, so dass ihre Motive für den Verzicht auf Fleisch klarer und nachvollziehbarer werden.


Wege weg vom oder zumindest hin zu weniger Fleischkonsum gibt es viele, man sehe sich nur die diversen Zeitschriftentitel an, die Informationen und vegetarische Rezepte anbieten. Bremen hat im Januar 2011 als erste deutsche Stadt in öffentlichen Einrichtungen wie Kitas, Schulen oder Kantinen einen fleischfreien Donnerstag eingeführt, an dem sich auch einige Restaurants beteiligen. Das Thema ist immer noch kein Massenthema und die Fleischkonsumenten bilden weiterhin die Mehrheit, aber es sind beileibe nicht mehr nur ein paar „spinnerte“ Außenseiter, die dem Trend zu weniger oder keinem Fleischkonsum folgen. Veröffentlichungen in jüngerer Zeit von Karin Duve, Jonathan Sfor und eben jetzt auch von Birgit Klaus sind ins Blickfeld einer interessierten Öffentlichkeit gerückt. In der „Zeit“ begründete vor wenigen Monaten die Literaturchefin des Blattes, Iris Radisch, in einem umfangreichen Artikel ihren Fleischverzicht. Jetzt hat sie zu dcem Thema auch ein Buch vorgelegt. In der WDR-Sendung „Das philosophische Radio“ erklärte sie dazu: „Ich esse nichts, was ein Gesicht hat.“


Birgit Klaus fällt ihr Verzicht anfangs nicht immer leicht, etwa wenn Bratendüfte ihre Nase umwehen und lukullische Erinnerungen sich durchaus noch zu Fleischsehnsüchten formen. Schließlich war es ja nicht so, dass Fleisch Birgit Klaus nicht mehr geschmeckt hätte, im Gegenteil. Aber es gelingt ihr durchzuhalten, was ihr mit der Zeit auch immer leichter fällt. Je mehr sie sich mit der Materie beschäftigt, je mehr sie in ihrer Küche ausprobiert, desto mehr kommt sie auf den Geschmack. Sie erlebt nicht mehr einen Verlust, sondern einen kulinarischen Zugewinn.

Birgit Klaus beschreibt gerade zu Beginn ihres Versuchs anschaulich ihre Ambivalenz und die immer wieder mal aufflackernden fleischlichen Sehnsüchte und auch ihre Unsicherheiten: Was tun, wenn sie zu einer Grillparty eingeladen wird? Wie dem Partner, wenn der von einer Reise zurück ist, die eigene Kehrtwende vermitteln? Es ist eben nicht damit getan, die guten Gründe für eine vegetarische Lebensweise zu erkennen, sondern die eigene Psyche muss sie auch akzeptieren und die Umsetzung im Alltag will selbstbewusst gelernt sein, wozu beispielsweise dann auch gehört, seine vegetarischen Zutaten mit zur Grillparty zu bringen und eventuelle hämische Kommentare auszuhalten.

Hinweisen auf den Kauf von Biofleisch entgegnet Klaus: „Fleisch essen mit schlechtem Gewissen ist mir jedenfalls sympathischer, als es sich mit Hinweis auf ,Bio‘ mit der größten Selbstverständlichkeit einzuverleiben, als hätte man sich mit dem Siegel auch moralisches Recht erkauft.“


Am Ende ihres Probejahres steht die Autorin selbstbewusst zu ihrer Entscheidung. In ihrer Schlussbilanz kommt sie zu sehr grundsätzlichen Überlegungen, die man als die Haupterkenntnis des Buches ansehen kann. „Verzicht und die Erfahrung, wie es einem damit geht, ist Teil der Metamorphose, an deren Ende man sicherer und stärker ist als vorher. Reduktion heißt der Trend.“ „Dass ich mich freiwillig entschieden habe, macht es mir leichter. Viel schwerer wiegt für mich aber die Erkenntnis, dass ich mich dadurch autark fühle.“ „Verzicht“, heißt es weiter, „ist in einer Welt des Überflusses wohl die einzig wirklich autarke Entscheidung, die wir treffen können.“ Ob es jedem so ergehe, der sich vom Fleischverzehr verabschiede, wisse sie nicht, schreibt Frau Klaus, aber gewiss sei, „dass Natur- und Tierschutz an sich viel mit Bescheidenheit zu tun haben“. Sie antwortet am Endes des Jahres auf die Frage, ob sie Vegetarierin bleibe, sie wisse es nicht, wolle es aber weiter versuchen: „Mir zuliebe.“

„Tier zuliebe“ ist ein sehr persönlicher, anschaulicher und auch mit Selbstironie geschriebener Erfahrungsbericht, dem jedweder missionarische Tonfall fehlt. Das macht ihn überzeugend.


Birgit Klaus, Tier zuliebe, München 2011

191 S., 14,99€


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Geschrieben von

H.Hesse

"Wenn es nur eine Wahrheit gäbe, könnte man nicht hundert Bilder über dasselbe Thema malen." Pablo Picasso

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