Fiktive ungehaltene Bundestagsrede

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Ihre Freitag-Redaktion

Meine Damen und Herren,

schön, dass ich als Autor zu Ihnen sprechen darf. Gestehen muss ich, dass ich lange überlegt habe, ob ich es tun soll, denn Sonntagsreden will ich nicht halten und ob ernst gemeinte Worte bei Politikern Anklang finden, habe ich zumindest angezweifelt. Schließlich legen unzählige Reden Ihrer Zunft dafür ein beredtes Zeugnis ab. So möchte ich die Gelegenheit nutzen, Ihnen mein Unbehagen an der Politik, besser gesagt: an den Politikern schildern. Wobei ich unverschämterweise davon ausgehe, dass ich es mit vielen Menschen außerhalb dieser Glaskuppel teile.

Das heißt, ich werde über Sie sprechen, leider angesichts der Kürze der mir zur Verfügung stehenden Zeit nur in fragmentarischer und sehr selektiver Form. Ich werde Sie mit meiner Politikverdrossenheit, die eigentlich eine Politikerverdrossenheit ist, konfrontieren.

Auch aus eigener familiärer Erfahrung weiß ich, dass Politikerreden ungern oder gar nicht zugehört wird. Man nutzt sie für den Gang zum Kühlschrank, für die Pinkelpause oder man zappt gleich zum nächsten Kanal rüber. Den Leuten, die Ihnen vorm Fernsehschirm zuhören, spielen Sie doch Theater vor: Ist es doch parlamentarischer Usus, dass wichtige Reden vorab per Manuskript verteilt werden. Bei Ihnen ist live selten live. Mit anderen Worten: Sie zelebrieren hier Rituale, fieser, aber ehrlicher gesagt: Sie inszenieren was fürs Fernsehen. Hält Kollege X eine Rede, die z.B. die Kanzlerin empört, was sie hier im Plenum auch zeigt, ist das dann nur noch eine hohle Geste, hat sie die Rede doch schon am Vorabend bekommen. Wer das weiß, nimmt die Übertragung nicht mehr ernst.

Und genau das ist es - neben den Inhalten der Politik, über die sich die Leute „draußen im Lande“, wie Sie sie immer so herrlich distanziert und scheinbar fürsorglich nennen -, was die Menschen spüren und was sie abstößt. Sie ahnen oder wissen um dieses Theater, das hier oft inszeniert wird. Auf diesen Schlips müssen Sie sich, quer durch alle Fraktionen, getreten fühlen.


Es fängt doch schon banal an: Kaum einer von Ihnen ist in der Lage, eine freie, manuskript- und spickzettelfreie Rede zu halten. Es wird, meist auch noch schlecht, abgelesen. Von daher kommen auch kaum originelle und vor allem überraschende, von einer Augenblickserkenntnis gespeiste Gedanken vor. Die Sprache, die Ihnen immer wieder vorgehalten und von Kabarettisten bespöttelt wird, ist langweilig, leer, phraselogisch und oft von einer hohlen Selbstgewissheit, die Zweifel, Selbstzweifel, die eine Bitte ums Mitdenken, Mitringen nicht enthält: Ich sage euch, wie es ist, statt auch mal zu fragen: Das waren meine Ideen, wie sehen eure aus?- Es wird nicht wirklich um die besten Ideen und Konzepte gerungen und über sie debattiert. Nein, es geht um den „Sieg“ der jeweiligen Regierungs- oder Fraktionslinie. Und wehe jemand von der SPD klatscht begeistert, wenn mal einer von der CDU etwas Vernünftiges vorschlägt - oder umgekehrt, erst recht, wenn die Fernsehkameras dabei sind. Selbst in Lokalparlamenten kann man das zur Genüge beobachten: Ein noch so vernünftig erscheinender Antrag wird von den anderen abgelehnt, weil er von der gegnerischen Partei gestellt worden ist. Wer das einige Male erlebt oder erzählt bekommen hat, kann sich nur angewidert abwenden. So entsteht Verdrossenheit.

Spricht mal einer gegen die Linie der eigenen Fraktion, äußert er sich sehr angetan zu einem Vorschlag aus den Reihen der anderen Partei, läuft er oder sie Gefahr, nicht mehr aufgestellt zu werden. Da sind dann die Fraktionsvorsitzenden vor.

A propos aufstellen: Manchmal muss ein Abgeordneter, wenn er entweder nicht zur ersten oder noch zweiten Garnitur gehört, bei den sog. großen Debatten darum ringen, auf die Rednerliste zu kommen. Die Alphatiere haben immer Vorrang, mag ihr Gerede noch so inhaltsarm sein. Unvergessen ist Franz Münteferings unverhohlene Drohung vor einer wichtigen Abstimmung, die Abweichler sollten es sich gut überlegen, es gäbe ja auch mal wieder Kandidatenaufstellungen für die nächste Wahl, dann wüsste man noch, wer wie abgestimmt und geredet habe. Tolles Demokratieverständnis! Aber so etwas gibt es auch von den anderen Fraktionsspitzen zu berichten. Selbst die einst so rebellischen Grünen können da leider mithalten. Die sind hinsichtlich inhaltsleerer Floskeln und parlamentarischer Rituale von den anderen nicht mehr zu unterscheiden, von sehr wenigen Ausnahmen abgesehen. Aber über Bevormundung in Diktaturen regt man sich gerne auf...

Ich will das Stichwort von der Politikverdrossenheit noch einmal aufgreifen und nur ein paar weitere Anhaltspunkte dafür benennen. Dieser Tage genehmigten sich Ihre Kolleginnen und Kollegen des NRW-Landtages kurz vor Weihnachten - das Fest der Bescherung eben! - eine Erhöhung ihrer Diäten um monatlich 500,- Euro. Davon haben sie jetzt zwar nicht direkt etwas, das Geld kommt ihrer Altersversorgung zugute. Es hagelte im Lande Kraft Proteste, aber die saß man fast fraktionsübergreifend aus. In seltener Eintracht machten nur die Linke und die FDP nicht mit, letztere wahrscheinlich nur, um ihre miesen Umfragewerte aufbessern zu wollen. Wortreiche Girlanden wurden von SPD, Grünen und der Union zur Begründung geflochten, die aber von jedem, der zu hören und zu lesen verstand, zerkrümelt werden konnten.

Ihre Diäten, die Minister- und Kanzlerbezüge sind im Vergleich, der von Ihnen ja auch immer wieder bemüht wird, zu denen der Wirtschaftskapitäne eher niedrig. Aber ist der Vergleich berechtigt? Und zum zweiten leben Sie von Steuergeldern! Und drittens wäre es ehrlich und würde vielleicht viel eher akzeptiert, wenn Sie sagen würden, öffentlich wohlgemerkt: Ja, wir verdienen sehr gut, wir gehören nicht zu den Armen im Lande, aber das, was wir uns zugestehen, finden wir in Ordnung. - Darüber könnten die Leute dann immer noch streiten und anderer Meinung als Sie sein, aber es wäre ein ehrliches Eingeständnis. Was ich aber gar nicht mehr in Ordnung finde, sind Ihre üppigen Übergangsgelder und Ihre Altersversorgung! Diese Sachen sind es, die im Gedächtnis der Leute haften bleiben und zu dem vernichtenden Urteil über Sie führt. Jeder Normalverdiener, jeder Hartz4-Empfänger muss doch die eiskalte Wut kriegen, wenn er liest, was ein Berliner Senator nach elf Amtstagen (!) an Übergangsgeld bekommt. Und brauchen - nein, für den Lebensunterhalt brauchen wird er dieses Geld bestimmt nicht, anders als es ein Arbeitsloser brauchen könnte. Schmeißt seine Firma ihn raus, gibt es keine dicken Summen als Entschädigung, dann wartet die „freundliche“ Jobagentur auf ihn und nach einem Jahr eine hochnotpeinliche Überprüfung all‘ seiner Lebensverhältnisse. D a s schafft Wut und Entfremdung bei uns Bürgern. Wer das nicht versteht, ist nicht nur hartherzig, der ist auch arrogant und blind für gesellschaftliche Realitäten.

Ein anderes Beispiel dafür, dass Sie vielfach nicht mehr ernst genommen werden: die Klimakonferenz in Durban. Wie man weiß, war sie eine teure Pleite. Aber unsere Euro-Fighterin Frau Merkel und ihr selbsternannter Umweltretter Herr Röttgen verkündeten nach der Konferenz, dass sie doch alles in allem ein schöner Erfolg gewesen sei. Das glaubt denen keiner, ich weiß nicht einmal, ob sie selbst den von ihnen verkündeten Schwachsinn glauben... Selbst Niederlagen, Nullergebnisse werden beschönigt, nach dem Motto: Wir haben die Wahl nicht gewonnen, aber auch nicht verloren.


Anderes Beispiel: die Politikerstatements etwa in der „Tagesschau“: leere Worthülsen, Begrifflichkeiten, die die meisten Zuschauer nicht verstehen, Sätze ohne Erkenntniswert. Kurzer,knapper Klartext ginge auch, aber genau der soll es ja nicht sein. Ich vermute, Sie wollen gar nicht verstanden werden, weil Sie wenn schon nicht lügen, so doch nicht sagen, was Sie wirklich meinen, was wirklich ist. Vielleicht können Sie auch gar nicht mehr normal sprechen, weil der Betrieb hier jeden mit der Zeit verbiegt. Um wirklich zu erfahren und zu verstehen, Hintergründe aufgezeigt zu bekommen, müssen wir Politikopfer und -konsumenten dann gute Zeitungen kaufen und lesen. Ich betone: gute.

Schröder hat während seiner Kanzlerschaft gesagt: um zu regieren brauche er „Bild“, „Bams“ und „Glotze“. So hat er auch geredet, ich meine, auf einem solchen Niveau. In Wirklichkeit hat er wahrscheinlich die „kleinen Leute“, die sich dieser Medien bedienen, verachtet und ihnen seinen Cohiba-Qualm ins Gesicht gepustet.

Es fällt auf, dass selbstkritische Töne von (Spitzen-)Politikern, wenn überhaupt, fast nur nach dem Ablauf ihrer Amtszeit zu vernehmen sind. Dann wird auch mal zugegeben, das es beinahe einen innerparteilichen Putsch gegeben habe, während man vorher getönt hatte, „kein Blatt Papier“ passe zwischen einem und dem Kollegen; dann wird ehrlicherweise zugegeben, man könne den „Leuten draußen“ nicht immer alles sagen. Stimmt wahrscheinlich manchmal, aber warum kann man das erst gestehen, wenn man nichts mehr zu verlieren hat?


Sie merken vielleicht: Ich habe bisher kein Wort über die Inhalte der Politik und der jeweiligen hier vertretenen Parteien verloren. Da gäbe es zu jeder Fraktion eine Menge zu sagen, von der Politik der Regierung gar nicht erst zu reden. Aber mir geht es hier um Elemente der politischen Selbstdarstellung, um Eigenheiten des politischen Betriebs, die nichts mit der jeweiligen Coleur zu tun haben, sondern die für uns alle hier symptomatisch sind und die „draußen“ auch so wahrgenommen werden: nämlich als Negativmerkmale Ihrer Zunft und die dazu führen, dass viele Menschen von vornherein Ihnen nicht mehr zuhören, nicht mehr zu den Wahlen gehen und abgestumpft reagieren, wenn mal wieder ein Skandal über kostenlose Flüge, unziemliche Verbandelungen undsoweiter herauskommt. Und dass sie sich leider generell nicht mehr für Politik interessieren, weil sie sie nicht als ihre Sache auffassen. Und das liegt mit in Ihrer Verantwortung! Wir kennen doch alle die Sprüche, die man in jedem Dorf, jeder Stadt hören kann: „Die machen doch ohnehin was sie wollen.“ „Die denken doch zuerst und vor allem an sich selbst.“ „Die reden doch so, dass sie keiner verstehen soll.“ „Vor der Wahl versprechen sie uns das Blaue vom Himmel und hinterher bescheissen sie uns.“

Das Schlimme ist: Für alle diese Behauptungen gibt es leider Beweise ohne Ende. Unvergessen ist etwa der Ausspruch vom schon erwähnten Müntefering, dass es „unfair“ sei, einem die vor der Wahl abgegebenen Versprechen vorzuhalten. Arroganter und selbstentlarvender geht es nicht mehr. So ein Satz hätte in der „Tagesschau“ gesendet werden müssen!

Aber das wäre dann ein anderes Thema, genannt das Medientrauerspiel.


Ich danke für spärlichen Beifall und die vielen Buhs und Pfiffe und befolge ihre Bitte und höre jetzt auf.





Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

H.Hesse

"Wenn es nur eine Wahrheit gäbe, könnte man nicht hundert Bilder über dasselbe Thema malen." Pablo Picasso

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