Ich kann sie nicht mehr sehen...

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

Ich kann sie nicht mehr sehen


... die glatten, wie gebügelt wirkenden Gesichter all‘ der Werbeikonen. Vor allem die Gesichter der Frauen trübt nicht der Hauch auch nur einer Falte, eines Augenringes (selbst die angeblich modellos gewordene „Brigitte“) präsentiert uns weiterhin überwiegend schlanke, jugendlich wirkende Frauen) Man sieht den Bildern auf den ersten Blick an, dass sie bearbeitet worden sind - dass sie lügen. Schlimm daran ist die Annahme der Auftrag gebenden Firmen und Werbeagenturen, wir Konsumenten könnten solche Aufnahmen schön und vor allem kaufanreizend finden. Wer glaubt, die Antifaltencreme XY verhelfe einem zu einem makellosen Gesicht wie dem des abgebildeten Models, muss schon sehr naiv sein und hat vielleicht wirklich nichts anderes verdient, als dass ihm oder ihr das Geld aus der Tasche zieht.

Nein, bei mir erzeugen diese mir allüberall begegnenden Aufnahmen nur einen heftigen Widerwillen. Es ist wie mit den immergleichen Formaten und Gesichtern im Fernsehen: Ich will sie irgendwann nicht mehr sehen, verspüre stattdessen den starken Wunsch nach etwas anderem, nach neuen, unverbrauchten Gesichtern, nach Schauspielkunst statt nach hohlen, stereotpypen Gesten. Wer zweimal z.B.Veronica Ferres oder Til Schweiger hat schauspielern sehen, muss sich weitere Filme mit ihr oder ihm nicht mehr ansehen: Das Ausdrucksrepertoire der Dame und des Herrn ist begrenzt. Wer zehn „Tatorte“ gesehen hat, kann sich ausmalen, wie die nächsten 95 aussehen: flachsende Kommissare, schöne Dienstlimousinen, vorhersehbare Plots. Man ist freudig überrascht, wenn denn doch mal eine Folge herausragt, sowohl kameraästhetisch als auch von der Handlung und der Schauspielkunst her. Wir werden überschwemmt mit dem Immergleichem, und das ist auch noch im Fall des Fernsehprogramms schlecht oder wie im Fall der auch nur angeblich schönen Modelgesichter öde, langweilig und gelogen. Es ist eine Welt des schön sein sollenden Scheins.

Um den Schein, ums Erscheinen geht es auch bei der Inszenierung, mit der uns die Politiker via TV entgegentreten. Auch hier in aller Regel: die ewig gleich dreinschaunenden ausdruckslosen Gesichter, die verschwurbelte, nicht wirklich etwas sagende Sprache. Sie glauben, damit am besten bei uns Normalos anzukommen und ahnen gar nicht, wie sehr so manch‘ einer von uns sich mal einen wütenden, einen resignierten oder ratlosen Politiker im Fernsehen oder im Parlament wünscht, der alles das auch zeigt und offenbart. Das wäre Authentizizät! Doch genau die soll vermieden wären, weil sie - die Werbung, die Medien, die Politiker - annehmen, Echtheit und Wahrheit würde nur etwas kosten, weil sie nicht vermittelbar, nicht konsumfördernd sei. Dass Authentizizät zumindest mittelfristig sehr wohl mehr einbringen als kosten dürfte, ist in der vorherrschenden Denkweise nicht vorgesehen.

Auf der Verlustrechnung steht die Glaubwürdigkeit und die Vielfalt dessen, was Leben ausmacht. So aber serviert man uns Einheitsbilder, Einheitsgesten, eine von aller Lebendigkeit und Ausdrucksvielfalt gereinigte Einheitssprache. An diese Surrogate scheinen sich gar zu viele Menschen gewöhnt zu haben, denn außer gelegentlich in den Feuilletons ist gegen diese allumfassenden Täuschungen nicht wirklich etwas zu vernehmen. Halten wir das Falsche für das Echte oder wissen wir nicht wohin mit unserer Enttäuschung, unserem Ärger über das, was man uns tagtäglich meint antun zu müssen?

Man male sich mal aus, was passierte, wenn ein massenweites „So nicht mehr!“ erschallen würde... Was wäre, wenn ein Spitzenpolitiker massenmedial eingestehen würde, jetzt auch mal nicht weiter zu wissen... Wenn statt der glattretouschierten jungen Modelgesichter ausdrucksstarke, aber wer weiß wie faltige, nach (markt-)gängigen Kriterien nicht so schöne Gesichter werben würden... Gäbe es einen Aufschrei der Empörung? Nach dem Motto: Ein Minister oder Kanzler müsse immer wissen, wo es langzugehen habe, und: alt und runzling sind wir schon selbst, da wollen wir in den Illustrierten und im Fernsehen wenigstens schöne Körper und Gesichter sehen...? Wollen wir belogen und getäuscht werden?

Es scheint einen breiten Konsens in dieser Frage zu geben, sieht man sich die Einschaltquoten der allabendlichen Flachsinnssendungen der Privaten und der Öffentlich-Rechtlichen an. Natürlich haben diese mit dazu beigetragen, dass dieser breite Konsens entstehen konnte, was zumindest die Verantwortlichen der Öffentlich-Rechtlichen beharrlich leugnen. Mit der Verflachung des Programms auch und gerade von ARD und ZDF seit der 1984 exekutierten Einführung des Privatfernsehens haben sie mit zu dem vorherrschenden Geschmack breiter Massen beigetragen. Sie haben Bedürfnisse schaffen geholfen, deren Befriedigung sie jetzt meinen grenzenlos nachgeben zu müssen, schließlich wollten die Leute nichts anderes. Nur genau dafür haben sie nach Kräften gesorgt.

Dem gegenüber steht die Zahl der zunehmenden, aber immer noch miniotären massenmedialen Verweigerer. Die Zahl der nicht oder wenig Fernsehenden nimmt in dem Maße zu, wie die Qualität der Programme abnimmt, was die Legitimität der Zwangsgebühren irgendwann doch vielleicht ernsthaft gefährden könnte. Das heißt, es vollzieht sich oder besteht bereits neben der sozio-ökonomischen auch eine kulturelle Spaltung unserer Gesellschaft. Die ihrerseits erneut dazu führt, dass nur noch der mainstream bedient und alle anderen Interessen entweder gar nicht bedient oder in Nischen abgedrängt werden, was wiederum auch auf die ganze Gesellschaft und ihre Bewußtseinsbildung zurückwirkt. So gut wichtig es ist, dass etwa eine Sendung wie die tägliche „Kulturzeit“ zur besten Sendezeit auf 3sat läuft: eigentlich gehört so eine Sendung auch ins Hauptprogramm.

Aber dort ist der vorgeblich schöne Schein die Hauptwährung.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

H.Hesse

"Wenn es nur eine Wahrheit gäbe, könnte man nicht hundert Bilder über dasselbe Thema malen." Pablo Picasso

Avatar

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden