Kleinigkeiten? Von Dienstwagen und vorweihnachtlicher Selbstbedienung

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Kürzlich geisterte durch die Randspalten der überregionalen Zeitungen die Meldung, dass Bundestagspräsidenten künftig nach dem Ausscheiden aus dem - sehr gut dotierten - Amt zwölf Jahre lang Anspruch auf einen Dienstwagen samt Fahrer, Büro und Sekretärin hätten. Bisher durften sie dieses Privileg „nur“ vier Jahre genießen. Initiiert habe die neue Regelung der gegenwärtige Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU). Man darf gewiss sein, dass es hier einen parteiübergreifenden Konsens gibt; möglicherweise gefällt das nur der Linken nicht.

Fast zeitgleich berichtete der „Kölner Stadtanzeiger“, dass die NRW-Landtagsabgeordente kurz vor Weihnachten sich schon mal selbst beschenkt haben: Sie erhöhten „einstimmig“, so der KSTA, die monatliche Erhöhung ihrer Altersversorgungsansprüche um sage und schreibe 500,-€. Einstimmig? Das hieße Gründe und Linke hätten dem auch zugestimmt.

Jetzt mag man, durchaus berechtigt, einwenden: Rege dich doch darüber nicht auf, es gibt schlimmere, weil weiter reichende Skandale im offiziellen Politikbetrieb. Hier handle es sich lediglich um Peanuts. Finanziell gesehen stimmt das. Aber wie vieles im Politikgeschäft drückt es die Selbstbedienungsmentalität, die Selbstgerechtigkeit und die Abgehobenheit der politischen Klasse aus. Solche Meldungen sind es, die maßgeblich die oft erwähnte Politikerverdrossenheit immer wieder neu beflügeln und viele Menschen mehr empören als die tatsächlichen wichtigeren Skandale und poltischen Entscheidungen. Aber bei dem Thema Selbstbedienungsmentalität von Politikern kann der Mensch sein Leben mit dem der sog. Volksvertreter vergleichen - und das ist weniger abstrakt als Berichte über z.B. internationale Verhandlungen zu verfolgen.

Bei der Verlängerung von vier auf zwölf Jahre geht es nicht um eine behauptete Notwendigkeit, sondern um die Angleichung an die Regelung für Kanzler und Bundespräsidenten - mithin ums Prestige, um eine Aufwertung. Politiker argumentieren gerne mit Verweisen auf Bezüge und Privilegien von Wirtschaftsmanagern, die ungleich gewaltiger sind. Die Frage ist, ob dieser Bezugsrahmen angebracht ist.Schaut man sich selbst die akademischen Berufe von Politikern an - Lehrer wie z.B. Sigmar Gabriel, Juristen wie sehr viele Politiker, Ärztin wie von der Leyen -, so muss man feststellen, dass sie in ihren erlernten Berufen in aller Regel nicht die Einkommenshöhe erreicht hätten wie als Abgeordnete und Minister. Viele Freiberufler und selbst mancher niedergelassene Arzt, von Krankenhausärzten ganz zu schweigen, würden sich freuen, kämen sie auch nur in die Nähe von Politikerbezügen, um gar nicht erst von deren späteren Versorgungsansprüchen zu reden. Anstatt zufrieden über das Erreichte und sich seiner privilegierten ökonomischen Stellung zu sein, geifern sie nach immer mehr, selbst dann, wenn der Job einmal erledigt sein wird, wie das Beispiel Lammert zeigt.


Vielleicht ist das eine Eigengesetzlichkeit, wenn man sich einmal in den Politikbetrieb begeben hat. Von Joschka Fischer ist der Ausspruch überliefert, man habe nach 68 den Marsch durch die Institutionen antreten wollen und irgendwann feststellen müssen, dass die Institutionen durch einen marschiert seien. Das war eine seiner wenigen selbstkritischen Einlassungen.

Das eigentlich Schlimme an solchen wie den eingangs zitierten Meldungen ist, dass sie die Politikverdrossenheit weiter verbreiten helfen, was dann dazu führt, dass sich viele Leute gar nicht mehr für Politisches interessieren. Stetig zurückgehende Wahlbeteiligungen oder zurückgehende Zuschauerzahlen von politischen Fernsehmagazinen sind Indizien dafür (wobei bei letzterem die Sender durch immer schlechter gewordene Platzierungen im Programm mit ihren Teil dazu beigetragen haben).

Eigentlich müssten Nachrichten wie die von Lammerts Prestigebedürfnis und der Selbstbedienung der NRW-Abgeordneten zu einem unüberhörbaren öffentlichen Aufschrei führen, aber man ist abgestumpft, erwartet von den Politikern schon lange nichts anderes mehr und richtet seine Aufmerksamkeit auf ganz andere Dinge. So wird einer Entpolitisierung Vorschub geleistet, die dieselben Politiker dann in Sonntagsreden beklagen.

Aber auch die Medien, voran das Fernsehen, lassen Politiker viel zu ungeschoren davonkommen. Wenn mal wirklich kritisch nachgefragt und ein Politiker wenigstens im Ansatz etwas in die Enge getrieben wird, kann man sich das im Kalender rot ankreuzen. So aber helfen die Medien mit, das Feuer der Empörung - der eigentlich notwendigen Empörung - niedrig zu halten.

Vielleicht liegt Jakob Augstein mit seiner in einem Interview geäußerten Ansicht richtig, das wir ein linkes Boulevardblatt bräuchten... Selten war ein lautes „Empört euch!“ - und nicht nur wegen Dienstwagen, Büro und Versorgunszuschlägen - so angebracht wie in diesen Zeiten.


Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

H.Hesse

"Wenn es nur eine Wahrheit gäbe, könnte man nicht hundert Bilder über dasselbe Thema malen." Pablo Picasso

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