Von kulturellen Wegbegleitern und etwas Wehmut

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Es berührt mich immer wieder, wenn ich erfahre, dass wieder jemand gestorben ist, der für mich überdauernd oder in bestimmten Lebensphasen so etwas wie ein kultureller Wegbegleiter war. So wie kürzlich Franz Josef Degenhardt oder Ludwig Hirsch. Degenhardt war für mich in den späten 60ern und in den 70ern bedeutsam. Beinahe reflexhaft fallen mir bei solchen Gelegenheiten die Namen all‘ derer ein, die da mal waren oder noch sind, aber bereits so alt sind, dass ihre Zukunft nicht mehr allzu lang sein kann. In diesen Momenten werde ich wehmütig.

Dieser Tage hörte ich ein Stück von der demnächst erscheinenden neuen CD von Leonard Cohen. Der geht stramm auf die 80 zu und strahlt auf der Bühne immer noch eine Vitalität und ein Charisma aus, das ich einfach nur faszinierend finde. Cohen war und ist für mich vom ersten Moment des Hörens an - das muss Anfang der 70er und ich 18 gewesen sein - ein Erlebnis. Ich verstand wenig von den Texten, fühlte mich aber von allem - seiner Stimme, der nur scheinbar monotonen Musik, von den Arrangements - schwer beeindruckt, mehr: in den Bann gezogen. Irgendwann verlor ich ihn für lange Zeit aus den Augen bzw. Ohren, bis ich in den späten 90ern auf Livemitschnitte von seinen Tourneen stieß und sofort war die alte Faszination wieder da, gebar sich neu und stärker als je zuvor.

Und so gibt es einige große Namen, die für mich wichtig waren: Nikos Kazantzakis mit seinen Romanen („Alexis Sorbas“ dürften viele kennen, sei es als Film), Heinrich Böll, Sartre, Beauvoir, Siegfried Lenz, Christa Wolf, Theodorakis (auch den muss man live erlebt haben!), Filmemacher wie Truffaut, Bunuel, Alain Tanner usw. Oder der frühe Klaus Hoffmann, Ludwig Hirsch, Degenhardt, wie gesagt. Dethardt Fissen fällt mir noch ein, seinerzeit (bis Anfang der 90er) Jugendfunk-Chefredakteur beim NDR, der drei Jahrzehnte den vorzüglichen „Abend für junge Hörer“ erstens sehr hörenswert und zur Kultsendung einer Generation gemacht hatte. Er stand für einen anspruchsvollen, auch politischen Hörfunk und konnte auch im Gespräch sehr beeindrucken. Noch heute bedauere ich es, dass ich, weil als junger Mensch zu ungeduldig, zu sehr die Mühen des Handwerks scheuend nicht konsequenter war, so blieb es bei gelegentlichen Manuskripten bzw. Kurzbeiträgen für ihn.

Vieles davon fällt in die 70er Jahre, ist also schon lange her, aber immer noch und immer wieder fällt es mir ein oder greife ich zu dem einen Buch, der anderen DVD oder CD und suche und finde (meistens) den Zugang wieder. Das der eine oder die andere nicht mehr lebt und seine oder ihre Stimme nicht mehr neu erheben kann, betrübt mich besonders stark, wenn wieder jemand gehen musste, wie jetzt Degenhardt und Hirsch, Christa Wolf.


Grass, Lenz, Walser: sie sind alle schon über 80 und werden in nicht allzu ferner Zukunft nur noch durch ihre Bücher und nachzulesenden Reden leben. Und ich frage mich, wer an ihrer Stelle und mit ihrem Gewicht treten wird, in Zeiten wie diesen, die laute und deutliche Einmischungen verlangen. Im Grunde war die letzte wirklich laute und oft vernehmbare intellektuelle moralische Instanz Heinrich Böll für mich. Unvergessen ist sein Essay im „Spiegel“, in dem er mit der Springer-Presse abrechnete: „Will Ulrike Gnade oder freies Geleit?“ Man unterstellte ihm fälschlicher-, aber böswilligerweise Sympathien für die RAF. Jedenfalls fehlt ein sich vielfach und vernehmlich einmischender, deutliche Worte findender intellektueller Mahner wie er.


Vielleicht hängt die Wehmut über den zunehmenden Weggang solcher „Weggefährten“ auch damit zusammen, dass man sich in solchen Momenten wieder einmal bewusst wird, wie viel Zeit ins Land gegangen ist und man selbst auch deutlich älter geworden ist, mithin auch die eigene Zukunft geringer ist als die eigene Vergangenheit. Kästners Gedicht vom „Eisenbahngleichnis“ kommt mir in den Sinn, in dem er den Zug der Zeit beschreibt, aus dem dann und wann die Toten aussteigen. Das Gefühl des Verlustes von Menschen bzw. ihren Werken, die mich auf die eine oder andere Art geprägt bzw. beeinflusst haben, paart sich mit dem Eindruck von der davon eilenden Zeit, dem Tempo ihres Laufs. Es ist aber auch ein schönes Gefühl, seine ganz persönliche „kulturelle Schatzkiste“ mit sich herumzutragen, aus der man sich jederzeit bedienen, aus der man Erinnerungen hervorholen kann.



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Geschrieben von

H.Hesse

"Wenn es nur eine Wahrheit gäbe, könnte man nicht hundert Bilder über dasselbe Thema malen." Pablo Picasso

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