Wie wünsche ich mir (m)eine Zeitung?

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Ich bekenne: Ich bin seit meiner Jugend ein Zeitungsleser. Von wem ich das habe, weiß ich nicht, vielleicht von meinem Großvater, der mir das Zeitungslesen täglich vorgemacht hat. Als Junge habe ich so manches gelesen, was ich eigentlich gar nicht richtig verstanden habe, noch gar nicht begreifen konnte. Aber ich liebte es, eine Zeitung in der Hand zu halten, das Rascheln des Papiers beim Umblättern zu hören, fremder Leute Gedanken zu erfahren. Dabei gehörte unser ostfriesisches Provinzblättchen nicht zur Speerspitze eines guten Journalismus, aber ab und an fand sich dann doch ein interessanter Kommentar, ein guter Bericht, ein schönes Bild von der nahen Nordsee.

Diese Nähe, diese Beinahe-Liebe zur Zeitung ist geblieben. Andere Blätter kamen dazu: die „Frankfurter Rundschau“ der 70er Jahre, die damals ihre beste Zeit hatte, der „Spiegel“, die „Zeit“ und, wenn ich unterwegs war, die Zeitung des Ortes, in dem ich gerade war. Letztere Eigenschaft habe ich bis heute beibehalten und kaufe mir die Zeitung meines Urlaubsortes. Als Schüler und Student begann ich dann gelegentlich für Zeitungen zu schreiben, aber ohne die nötige Geduld und Ausdauer, die man braucht, um eine Sache wirklich ernsthaft und besser werdend betreiben zu können, schade, aber wahr. - Heute lese ich besonders gerne das Feuilleton der „FAZ“, die sonst nicht meine Sache ist, auch wenn sie nicht mehr das beinahe reaktionäre Blatt von einst darstellt und die „Süddeutsche“, die im Wirtschaftsteil leider nicht mehr frei von neoliberalem Gesülze ist.

Dann habe ich im letzten Jahr den „Freitag“ für mich entdeckt und dafür mein „Zeit“-Abo gekündigt. Auch wenn mir nicht jeder Beitrag gefällt, ich mir manches noch wünsche, habe ich den Eindruck, im Ansatz „meine“ Zeitung gefunden zu haben.

Was macht nun ,meine‘ wirklich ideale Zeitung aus, wie müsste sie annähernd aussehen? Natürlich, eine fundierte und hintergründige aktuelle Berichterstattung muss sein. Und dazu gehören ebenso selbstverständlich fundiert-differenzierte Reportagen, die hinter die Kulissen des Aktuellen schauen. Kommentare haben für meinen Geschmack in Deutschland einen zu hohen Stellenwert, mir ist eine ausführliche und differenzierte Berichterstattung wichtiger. Da wo ein Kommentar etwas zusätzlich erhellt, Alternativen diskutiert und dann auch noch gut und zugespitzt formuliert ist, ist er mir willkommen. Nichts ist langweiliger als ein fade geschriebener Leitartikel, wie man sie oft auf der Titelseite etwa der „Zeit“ findet.

Für meinen Geschmack stimmt auch, was Jakob Augstein mal in einem Interview gesagt hat: was auf den ersten Seiten der Zeitungen steht, geht an der Lebenswirklichkeit der meisten Menschen vorbei, ist aus der Sicht von Parteien, Verbänden etc. geschrieben, orientiere sich an denen und der Berichterstattung über deren Treiben. Ein Stück weit muss das so sein, aber die Frage ist doch, welche Gewichtung dem beigemessen wird und was sonst noch in den Vordergrund gerückt werden müsste. Mir geht es zusehends so, dass ich immer öfter die ersten Seiten meiner „Süddeutschen“ nur überfliege, weil mich das ganze offizielle Polit-Theater immer weniger interessiert: wer gerade gegen wen intrigiert oder mit wem schachert, welcher Skandal, welches Skandälchen sich wer mal wieder geleistet hat - eigentlich müsste man nur Namen und Datum austauschen, es ist halt letztlich immer gleich.

Das gilt auch und in besonderem Maße für den innenpolitischen Teil des „Spiegel“, wie es der Journalist und Autor Tom Schimmeck sehr treffend in seinem Buch „Am besten nichts Neues“ beschreibt:„Selbst der innenpolitische Teil des Spiegel funktioniert letztlich nach dem Prinzip einer Seifenoper á la Dallas, präsentiert uns allwöchentlich eine eng begrenzte Schar von Chargen, in immer neuen Konstellationen das alte Repertoire von Liebe bis Hass bespielend, sich gegenseitig in den Sattel helfend oder sich böse Fallen stellend, einander umgarnend und küssend, beschimpfend, übertölpend und in den Dreck zerrend.“ Wie wahr, wie langweilig, wie anwidernd, was Schimmck beschreibt. So etwas man nicht immer lesen.


Nein, viel lieber möchte ich stilistisch bemerkenswerte, gut recherchierte Reportagen, kluge Essays, Hintergrundgespräche lesen; Berichte, die mir die Vielfalt der Welt, des Erlebens, des Denkens und auch Alternativen zu Bekanntem aufzeigen. Ausführliche Hintergrundinterviews, subjektive Rezensionen von Romane, Filmen etc., die mir das Besprochene anschaulich machen, auch wenn es Verrisse sind. Kurzum, eine Zeitung nach meinen Wünschen muss mich neugierig, entdeckungsfreudig machen bzw. diese Lust am Leben erhalten, meine Nase in alles Mögliche hinein stupsen. Wenn sie im Wesentlichen meiner politischen Richtung, meine Art, die Welt zu sehen entspricht, reicht mir das, sie muss meine Meinung nicht eins zu eins abbilden. Sie darf mich durchaus mal provozieren. Ja, eine Zeitung ist auch verpflichtet, kritisch mit denen umzugehen, sie kritisch zu beleuchten, denen sie prinzipiell nahesteht. Ich erinnere mich mit Grausen an die Anfangsjahre der „TAZ“, als selbsternannte Ajatollahs in Gestalt mancher Setzer und Leser jede Abweichung von ihrem Meinungsbild als Verrat und eingeschobene Setzerbemerkungen für Journalismus hielten. Fürchterlich!


Hajo Friedrichs hat postuliert, ein Journalist solle sich mit keiner Sache gemein machen, sei sie noch so edel und gut. Dazu hat Klaus Bednarz, wie ich finde: richtigerweise, bemerkt: aber eine Haltung solle er schon haben. Bezogen auf sein Verhältnis zu Parteien fügte Bednarz hinzu, er stehe keiner Partei nahe, „nur unterschiedlichen Parteien unterschiedlich fern“.


Meine Zeitung soll mir also nicht nach dem Munde reden: alle und alles - außer rechten Autoren und Texten, die den Grundkonsens des Menschlichen verlassen - sollen in meiner Zeitung schreiben und diskutieren dürfen. Nichts gefällt mir weniger, als Verlautbarungsjournalismus und Meinung ohne Substanz, als ein Stil ohne persönliche Erkennbarkeit. Jedes Blatt sollte ein, zwei Schreiber haben, deren Stil ihm sein unverwechselbares Gesicht geben, so wie das früher Herbert Riehl-Heyse und der „Süddeutschen“ z.B. der Fall war. Im „Freitag“ waren bzw. sind das für mich Tom Strohschneider und Jakob Augstein.

Deshalb stehe ich unkritischen Übernahmen von Blog-Beiträgen in die Zeitung bzw. einer allzu engen Verzahnung von Community und Zeitung skeptisch gegenüber (um nicht missverstanden zu werden: meine Beiträge sind da einbezogen). Wie Jakob Augstein in dem Gespräch mit Calvani sagte: Gute Beiträge finden ihren Weg in die Zeitung. Ein Forum wie die „Freitag“-Community ist unglaublich wichtig, aber die eigentliche Zeitung sollte denen primär vorbehalten bleiben, die das Handwerk gelernt haben und es beherrschen.

Was mir im „Freitag“ fehlt, sind Reportagen aus der Vielfalt der Arbeitswelt. Im „Alltag“ könnte dafür der eine oder andere Beitrag aus der Welt des Pop entfallen. Was mir besonders gefällt, ist die Fotodoppelseite. Von mir aus könnte eine Ausgabe mindestens zehn Seiten mehr haben (man wird ja noch träumen dürfen). Was ich dem „Freitag“ wünsche: mehr Auflage, damit das vielleicht mal Wirklichkeit werden kann.



Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

H.Hesse

"Wenn es nur eine Wahrheit gäbe, könnte man nicht hundert Bilder über dasselbe Thema malen." Pablo Picasso

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