beischlaf.

coitus. zum guten ton der großeltern-generation gehörte es, mit gästen auf keinen fall über politik oder religion zu reden. das sei zu streitgefährlich.

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

das thema sexualität wurde erst gar nicht erwähnt. das ging überhaupt nicht. das gehörte unter den dicksten teppich gekehrt. bis heute sind die geburtenraten bewährt niedrig geblieben, aber es ist beinahe täglich zu hören, dass jemand etwas sexy findet oder es als solches anpreist. beischlaf war und ist bis heute noch tabu, wenn man nicht ganz falsch verstanden werden möchte.

in jeder hinsicht die entsprechung zum lemma "Beilager", nur ist der beischlaf noch nicht veraltet, wenngleich auf dem rückzug, erhält aber vorerst asyl im juristendeutsch.
wie schon beim archaismus beilager lassen die dudentlichen auch hier den hinweis auf die verschleierungsabsicht vermissen; das wörterbuch der ddr bringt dagegen wiederum den fälligen vermerk: "verhüll."


der scheele blick auf das "lager" im einen fall, auf den "schlaf" im anderen ist das ergebnis der langen christlich- abendländischen sehschule, motto: mädchen, schlagt die augen nieder, denn es geht ein mann vorüber, nicht einmal ein nackter.
doch auch in der redaktion des ddr-lexikons brachte man keine unanständige silbe über die lippen. das christliche abendland hörte, wie man sieht, trotz vieler anders lautender meldungen eben nicht an der elbe auf.
und hüben wie drüben kennt und gebraucht man darum auch gesonderte worte für das vorkommnis der animalischen "Paarung, Begattung, Kopula", um derart distanz zu wahren zur tierischen parallel-aktion.

während der langen dauer der christlichen blick- und seelenverbiegung ist die prostitution aus den vorchristlichen tempeln umgezogen ins rotlichtmilieu und ins schlafzimmer der ehelichen pflichtübungen. ein historischer faktor, der noch gar nicht in die bangen berechnungen des geburtenrückgangs eingegangen ist.

die kühlen kühnen aus dem norden hierzulande haben sich alle mühe gegeben, mit der prüderie und verklemmtheit etwas aufzuräumen. doch so ganz ist ihnen das nicht gelungen. schon das wort beischlaf ruft sogleich das bild des deutschen michel auf. die schlafmützigkeit in person. das lateinische ist da doch um vieles treffender, wenn vom coitus die rede ist, abgeleitet vom verb coire = zusammengehen. immerhin ist mensch beim gehen schon mal wach.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

h.yuren

buchveröffentlichung 2017, KRAH - das rabentagebuch, 350 S., 8 fotos ISDN 978-3-945265-45-1; Tb. 15,-

h.yuren

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden