"Kunst der Aufklärung"

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so eine schöne überschrift hätte ich den teutonischen machern der ausstellung in peking gar nicht zugetraut.
es war schon ein besonderer kunstgriff, den chinesen die ideen der aufklärung (im engeren europäischen sinn) nahezubringen durch eine große ausstellung bildender kunst aus drei großen musseen (berlin, dresden, münchen). denn einerseits ist die bildsprache womöglich unmittelbar verständlich, über die grenzen der sprache und kultur hinweg; andererseits sprechen die artefakte aus den vergangenen jahrhunderten keine zu deutliche sprache, so dass sie dem ideologischen klassenfeind nicht zu viel zumuten.

was ich im internet über die ausstellung gelesen und an bildern gesehen habe, dürfte das gastland keine probleme mit den dargebotenen objekten haben. die ideen der europäischen aufklärung sind so gut verborgen, dass die chinesischen besucher/innen bestenfalls einen sehr verschwommenen eindruck von der aufklärung bekommen. das liegt z.b. an der geschickten auswahl der gemälde, die etwa schiller beim vorlesen in der weimarer hofgesellschaft zeigen. diese teutonische kunst der aufklärung kann die chinesische machtelite wirklich nicht schrecken. biedermeierliche musenfreunde, literaten und kunst als höfische tapete.

wahrscheinlich waren sich die teutonischen macher nicht einmal der zweideutigkeit des ausstellungstitels voll bewusst. was wunder bei der tradition hierzulande! war den höfischen und bürgerlichen teutonen die französische aufklärung doch von anfang an suspekt, meist aber ausdrücklich verhasst. der französischen radikalität, die konsequent zur französischen revolution führte, entsprach die teutsche reaktion, die im verein mit der britischen zuerst die revolution und dann auch die ideen der aufklärung erfolgreich niederschlug.
die wortschöpfung “Aufkläricht” ist bezeichnend für die teutsche einstellung. wie ebenfalls, wenn auch entgegengesetzt, der buchtitel des literaturkritikers heinrich vormweg: “Das Elend der Aufklärung”.

eine kunstausstellung mit diesem titel setzte auf der geberseite und auf der empfängerseite zu viel voraus. vom welthistorischen begriff der aufklärung gar nicht zu reden. mit ihm würde freilich nicht der chinesischen die westliche kunst kulturimperialistisch gegenübergestellt, sondern die gemeinsame aufgeklärte weltkultur propagiert und konkretisiert.

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Geschrieben von

h.yuren

buchveröffentlichung 2017, KRAH - das rabentagebuch, 350 S., 8 fotos ISDN 978-3-945265-45-1; Tb. 15,-

h.yuren

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