Neue Technik

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Eine gar nicht so visionäre Geschichte gegen die Gigantomanie des Airbus A 380

Unser Mann aus Madras hat einleuchtende Gründe für seine nicht so hohe Meinung von Philosophen. Und er weist es weit von sich, selbst ein Philosoph zu sein. Das schließt aber nicht aus, dass es ein Fest ist, mit ihm zu philosophieren.
Nachdem wir, Ravi und ich, uns medial einigermaßen kennen gelernt hatten, dachten wir auch bald daran, uns gegenseitig zu besuchen. Aber was gibt es da noch viel zu überlegen, wenn wir uns besuchen möchten? Ein Blick aufs Konto vielleicht und/oder auf den Terminkalender, dann noch ein kurzer Anruf im Reisebüro, und schon kann die Planung im Detail beginnen. Für die Flugreise, versteht sich. An den umständlichen Seeweg nach Indien und erst recht an den abenteuerlichen Weg über Land wird niemand einen Gedanken verschwenden.
Aber Ravi ist kein reiselustiger oder ruheloser Mittel-Europäer. Anders als Münchhausen fliegt so ein indischer Guru nicht mal eben, wenn's pressiert, auf einer Kanonenkugel um die Welt. Mag die Freiheit über den Wolken auch grenzenlos sein, Ravi würde nie ein Ticket bei einer Fluggesellschaft buchen. Per Jet um den Globus geschossen zu werden, entspricht nicht seiner Lebensweise. Das verbieten seine ethischen Koordinaten, die verkürzt besagen: Wahn und Gewalt = Ungestalt. Oder etwas minder elliptisch: Je entschiedener du Wahn und Gewalt in dir und der Welt einschränkst, desto mehr Raum gibst du der Menschheit in dir und ringsum.
Also haben wir mit Fug darüber nachgedacht, wie wir mit gutem Gewissen vernünftig reisen könnten. Denn auch ich, obschon von anderen Gedanken ausgehend, bin zu ganz ähnlichen Schlüssen über das Reisen gekommen wie Ravi.
Das Ergebnis unserer Beratung ließe nichts zu wünschen übrig, wenn es nicht einen Haken hätte: Die Maschine kann noch nicht gebucht werden, weil sie noch im Entwicklungs- oder Erprobungsstadium ist. Wir müssen uns noch ein, zwei Jahre gedulden, bis das Beförderungsmittel für Philosophen, ach, was sage ich, bis der Philosoph unter den Flugapparaten bereitsteht.
Du hast richtig gehört: Der Philosoph unter den Flugapparaten. Und womöglich auch längst vermutet, dass es sich um den Zeppelin neuester Technik handeln dürfte. Welches andere Transportmittel hätte eine solche Nähe zum Philosophischen wie der Zeppelin! Es war bestimmt kein Zufall, dass im Land der Philosophen die Begeisterung für den Zeppelin alter Technik so überwältigend war. Und es trifft sich gut, dass nun allenthalben von einer Renaissance der fliegenden Zigarren die Rede ist und dass Prototypen bereits fliegen.
Technisch perfekt aber wird die Metamorphose der alten Luftschiffe erst sein, wenn die neuen Zeppeline, von Helium getragen und von Solarstrom angetrieben, als Einheiten der Sonnenflotte die Vorboten eines neuen Zeitalters sein werden.
Wie beschwerlich und unwissend wanderten doch die Protagonisten in Platons Nomoi durch die Hitze der Insel Kreta! Wenn die drei nicht mehr sehr jungen Wanderer auf dem Weg zu einem Zeusheiligtum ein Luftschiff hätten vorüberschweben sehen können, hätten sie wohl voller Ehrfurcht zu ihm hinaufgeschaut in dem Glauben, Zeus persönlich zöge in seinem Sonnenwagen vorbei.
Beim Blick hinunter kann man nach gut 2000 Jahren resümieren: Es geht aufwärts mit der Philosophie und sogar mit den Philosophen. Nicht nur in dem schlichten Sinn, dass sie an Bord der neuen Zeppeline gehen werden und sich zu den Wolken hinauftragen lassen, sondern in dem welthistorischen Sinn, dass die Philosophen, diese Edeltagträumer, endlich und ein für allemal umkehren und den Blick wenden: nicht mehr von der Erde unten hinauf in die Wolken oder den gestirnten Himmel starren, sondern aus der Höhe, aus der Perspektive der Zugvögel zur Erde hinuntersehen. Die alte allzumenschliche Blickrichtung ist ihnen in der Gondel unter dem Luftschiff auf immer verwehrt.
In seinem Stück Ornithes (Die Vögel) hat Aristophanes schon vor 2400 Jahren den Wolkenraum als die ideale Position zwischen der elenden Menschenwelt und dem olympischen Götterhimmel beschrieben. Sein Vogelstaat Wolkenkuckucksheim ist eine um Jahrzehnte vorweggenommene Persiflage auf den platonischen Philosophenstaat und zugleich eine die Jahrtausende hinter sich lassende Apotheose der Luftschifferei.
Ein Solarzeppelin über Athen hätte Aristophanes nicht aus allen Wolken fallen lassen. Seine Komödie zwinkert ja dem glücklichen Zeitalter der Überwindung der Schwerkraft sympathisantisch zu aus der Erz-Erdenschwere Athens.
Was Ravi und mich betrifft, sind wir so verblieben, dass derjenige, der zuerst mit dem Zeppelin reisen kann, die Gelegenheit wahrnimmt.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

h.yuren

buchveröffentlichung 2017, KRAH - das rabentagebuch, 350 S., 8 fotos ISDN 978-3-945265-45-1; Tb. 15,-

h.yuren

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