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die aussichten, sofern nicht von werbung verstellt, oder auch von stadtmauern, scheinen für dieses wochenende gar nicht schlecht. die natur tapeziert sich frisch und beruhigend grün, das wetter ist freundlich, die leute manchmal auch, sie lassen sich anstecken, wenn sie nicht gerade im stau stehen.

und udo singt dazu: hinterm horizont gehts weiter...
unterm horizont west gab es vor exakt einem jahr den knall auf der ölplattform deepwater horizon. es folgte die ölung des golfs von mexiko.
unterm horizont ost knallte es vor wenigen wochen so, dass nicht nur die nahen japaner zusammenzuckten.
unterm horizont süd hört es seit wochen nicht auf zu knallen, und flüchtlinge aus nordafrika gehen im mittelmeer unter und in der eu-politik.
unterm horizont nord ist die ozonschicht dünner geworden wie auch das eis auf dem polarmeer.

wenn die medien uns nicht den ganzen jammer der welt ins bewusstsein kippten, könnte das frühlingswochenende so ungetrübt schön sein.
stimmt die grafik nicht mehr, die vor knapp 40 jahren im Bericht des Club of Rome zur Lage der Menschheit die Aussichten skizzierte? da hieß es noch, die meisten menschen hätten nur einen eng begrenzten horizont, räumlich wie zeitlich. ist die globalisierung der köpfe mittlerweile dank medienentwicklung schon so weit fortgeschritten, dass ein ereignis auf der andern seite der erde hierzulande wahlen entscheidet und regierungsprogramme wendet?

die menschen sind genervt und innerlich weichgeklopft durch schlagzeilen wie klimawandel, finanzfiasko, umweltkatastrophe und atomarer GAU. die serie der autounfälle vor der eigenen haustür wirkt dagegen fast harmlos, irgendwie überschaubar, wenn es einen auch selbst bei nächster gelegenheit erwischen könnte.

dass gerade die möglichkeiten des glücksspiels generös erweitert werden, hellt die aussichten nicht sonderlich auf; na ja, der ertrinkende freut sich über jeden strohhalm, der ihm gereicht wird.

sind unsere aussichten eher deshalb düster, weil wir apokalypse-blind sind, wie günther anders meinte, oder ist unsere strukturblindheit schuld an den unschönen vorfällen, wie johan galtung sagte.
weil ich kein apfelbäumchen mehr pflanzen muss, sondern die blütenfülle des apfelbaums vor meinem fenster mich heiter und optimistisch stimmt, will ich nicht kleinlich sein und beide thesen gelten lassen.

wenn die menschen in japan und überall sonst in der welt sich nicht an den glauben klammerten, dass nicht sein kann, was nicht sein darf, wenn sie im gegenteil das restrisiko genauer unter die lupe nähmen, bliebe ihnen manches unglück erspart.
und wenn die menschen in japan und überall sonst in der welt nicht durch gewohnheit, unkritische haltung, mangelnde aufklärung und das gefühl der ohnmacht daran gehindert wären, die gesellschaftlichen strukturen und die dadurch bestimmten entscheidungen in frage zu stellen, sondern im gegenteil den grenzenlosen möglichkeiten der technischen phantasie mindestens ebenso viel gesellschaftliche kreativität gegenüberstellten, wären die aussichten der menschheit schon frühlingshaft.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

h.yuren

buchveröffentlichung 2017, KRAH - das rabentagebuch, 350 S., 8 fotos ISDN 978-3-945265-45-1; Tb. 15,-

h.yuren

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