Blütenlese an der Saale

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Rechtzeitig zur Leipziger Buchmesse ist im Universitätsverlag Halle-Wittenberg ein neues Buch erschienen. Eine Jury um die Herausgeberin INGEBORG VON LIPS wählte für ihre "Hallesche Anthologie" Texte von 17 Autoren aus, presste sie zwischen zwei Buchdeckel und den Überbegriff "Stadt der Wissenschaften": WILHELM BARTSCH zeichnet das Schicksal des Mathematikers Georg Cantor nach, JULIANE BLECH denkt sich im Gedicht einen Dichter. "Zeit"-Texter CHRISTOPH DIECKMANN hat eine seiner Sonntagsreden von 2008 beigesteuert. ELKE DOMHARDT und GÜNTER SCHENK erinnern an den fast vergessenen Philosophen Johannes Vaihinger. RONALD GRUNERs Rabe erfährt die Folgen übertriebener Hinwendung zur Philosophie und seine "Kollegen Elektromonteure" sind wirklich frech. JÖRG KOWALSKI besucht das Geiseltal-Museum, CHRISTOPH KUHN muss einem Ausbruch aus dem Propaganda-Gefängnis bundesdeutscher Erinnerungs-Unkultur tatenlos zusehen.
DORIS CLAUDIA MANDEL wälzt im "Zweifingersyndrom" Geschlechterfragen um, RALF MEYER singt von und in Kneipen. ERIK NEUTSCH folgt den Spuren des Malers Matthias Grünewald. MICHAEL PANTENIUS schreibt an einem Roman um den Arzt Johann Jakob Lerch, der 1731 nach Russland auswanderte. MARGRET RICHTER steuert schließlich die bisher schmerzlich vermisste Prise Erotik bei und klärt, weshalb an der vergoldeten Kugel auf dem Roten Turm zahlreiche vergoldete Zacken nach oben weisen: weil in vergangenen Jahrhunderten immer wieder Hexen und Teufel oben auf der Kugel heißen Sex gehabt haben sollen! Die schöne Marktfrau Hanna hatte es zuletzt 1694 auf der Folter gestanden. Da haben die Stadtväter nicht lange gezögert: damit nie wieder eine Hexe dort oben mit dem Teufel buhlen kann, ließen sie 246 spitze Zacken auf der vergoldeten Kugel anbringen.
DIETMAR SIEVERS erzählt von dem Syrakus-Wanderer Seume und seiner Meinung zum Teuerungstumult von Halle im Jahre 1805. BERNHARD SPRINGs pedantischer Bibliothekar hat auch seine privaten Bücher mit Signaturen versehen. Band Nr. W3-34 bringt ihn ins Grübeln. THOMAS STEIN schreibt von Kunsthyänen, Partylöwen und Galeristen-Geparden in der Ruhe vor dem Sturm. DANIEL TAUTZ erzählt von Außerirdischen, deren Expedition durch Halle tragisch endet. LOTHAR VOGELs Zeitkapsel schließlich ist ein Dokumenten-Behälter in einem Denkmal von 1871, der 2007 geborgen wurde. Doch die Kapsel ist längst korrodiert, der Inhalt von Mäusen zernagt. Die eifrigen Honoratioren von 2007 finden nur einen Papierstreifen mit der Aufschrift „Gerechtigkeit“ und fühlen sich ermahnt, endlich ein wenig Gerechtigkeit in ihr Handeln zu bringen.
Die „Hallesche Anthologie“ hat 164 Seiten und kostet 12,- €. (ISBN 978-3-86977-046-8)

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Geschrieben von

hadie

Was die Arbeitnehmer jetzt brauchen, ist ein Rettungsschirm für die Portemonnaies. (Frank Bsirske)

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