Knollen, die die Welt erleuchten

Energieversorgung Ein einfacher Schulversuch könnte bald Vorbild für eine billige Stromversorgung von Menschen sein, die weitab von zentralen Stromnetzen leben.

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Im Chemie- oder Physikunterricht wurde wohl fast jeder einmal mit Äpfeln oder Kartoffeln konfrontiert, in die brutaler Weise Kupfermünzen und Eisennägel gedrückt wurden und die dann, gerne auch in Reihe geschaltet, eine Leuchtdiode zum Leuchten brachten. Ja klar, unedle Metalle, elektrochemische Spannungsreihe, Dielektrikum, Erzeuger, Verbraucher – noch Fragen Siebtklässler?

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Um 2010 untersuchten Wissenschaftler der Hebräischen Universität Jerusalem unter Leitung von Prof. Haim Rabinowitch, wie die Leistung dieser Versuchsanordnung gesteigert werden könnte. Sie entschieden sich für zwei gleich große Elektroden (9 x 5 cm) - eine negative Anode aus Zink und eine positive Kathode aus Kupfer. Vier bis fünf solche Elemente wurden in Reihe geschlossen. Ganze und rohe Kartoffelstücke haben zwar einen höheren internen Widerstand, sind aber als Dielektrikum weniger leistungsfördernd. Durch einfaches Kochen der Kartoffeln für acht Minuten wurde deren Gewebe aufgeschlossen, was für freiere Bewegung der Elektronen sorgt und wodurch mehr Energie entsteht. Durch Hacken oder grobes Pürieren der Kartoffelmasse konnte die Energieabgabe bis auf das 10-fache gesteigert werden, nur ganz „zermatscht“ durften sie nicht sein. Die erzeugte Niederspannung reicht aus für kleine Punktbeleuchtungen, Radios, Mobiltelefone, Tabletts, Laptops usw. Eine „Kartoffel-Batterie“ erzeugt mobil nutzbare Energie für geschätzte 9 $ pro Kilowattstunde. Das ist 50-mal billiger als eine typische 1,5-Volt-AA-Alkaline-Zelle oder ein D-Zellen-Akku, der 49 bis 84 $ pro Kilowattstunde kostet. Im Jahre 2013 veröffentlichten die Forscher ihre Resultate und hofften auf die 1,2 Milliarden Menschen auf der Welt, die keinen Zugang zu zentralen Elektrizitätsversorgungen haben.

Doch das gesellschaftliche Echo war eisig, Politiker und NGOs scheuten davor zurück, ein weiteres Nahrungsmittel zur Energiegewinnung anzupreisen. Zuckerrohr-„Bio“-Sprit und Palmöl-„Bio“-Diesel waren abschreckende Beispiele. Die Forscher durften sich böse Vorträge über den Hunger in der Welt anhören, über zerstörte lokale Nahrungsmittelmärkte und neoliberale Schein-Innovationen.

Auch in Sri Lanka sind die lokal verfügbaren Kartoffeln knapp und teuer. Ein Wissenschaftler-Team der Universität Kelaniya entschied sich deshalb, mit dem Mark aus Stängeln abgeernteter Kochbananen-Stauden zu experimentieren. Die Physiker um Prof. Jayasuriya fanden heraus, dass Abkochen und grobes Pürieren die Effizienz des Stängelmarks als Dielektrikum fast genau so steigerten wie bei Kartoffeln. Mit dem gekochten Stängelmark konnten sie eine LED mehr als 500 Stunden mit Strom versorgen, wenn sie ihre Batterie vor dem Austrocknen schützten. Trotzdem blieben auch die Ceylonesen skeptisch gegenüber der Idee der „Kartoffel-Energie“: Wenn sich die Technik einmal durchgesetzt hätte, würde schnell nur noch der Markt über die Art der eingesetzten Stärkequellen entscheiden, Hunger und weitere Verelendung der Ärmsten seien vorprogrammiert.

Prof. Jayasuriya meint, das müsse nicht so sein, Batterien aus Bananenstängelmark seien auch unter marktradikalen Bedingungen immer noch kostengünstiger als eine Kerosinlampe. Eine Zinkelektrode hält etwa fünf Monate und ihre Erneuerung würde ungefähr das gleiche kosten wie ein Liter Kerosin, der Brennstoff, der einen durchschnittlichen Haushalt in Sri Lanka für zwei Tage erleuchtet. Lokale Marktforscher wenden ein, Stängelmark-Batterien hätten ein geringes Sozialprestige. Die Befürworter der Kartoffel- und Kochbananen-Batterie werden es weiterhin nicht leicht haben.

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Geschrieben von

hadie

Was die Arbeitnehmer jetzt brauchen, ist ein Rettungsschirm für die Portemonnaies. (Frank Bsirske)

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