Sprachliche Wurzeln für die Zukunft der Wissenschaft legen

Wissenschaftskommunikation Die Ampelkoalition wird ihrer Wortschöpfung „Innovationsökosysteme“ regionales Leben einhauchen müssen. Angesichts der in der Wissenschaft um sich greifenden Englisch-Monokultur bedürfen die dafür auch landessprachlicher Beatmung.

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Der Gebrauch des Englischen als Mittlersprache des weltweiten Wis­sensaustauschs hat sich in bestimmten Disziplinen längst erfolgreich etabliert. Man kann dieses weltweite - historisch gesehen - postkoloniale Erbe durchaus positiv bewerten.

Ein fester Bestandteil der „Internationalität“ von Deutschlands Hochschulen und Forschungseinrichtungen war jedoch stets auch die Akzeptanz der Mehrsprachigkeit von Forschung und Lehre. Die Erklärung von Bologna hatte sie erst 1999 wieder ausdrücklich beschworen.

Dennoch setzen immer mehr öffentliche und private Hochschulen auch Deutschlands nicht nur auf der internationalen Ebene der Kommunikation, sondern auch intern immer stärker nur noch auf English only. Bedenkliche Folgen dieser Entwicklung wurden und werden immer wieder benannt, etwa seitens der Hochschulrektorenkonferenz (HRK) oder des Wissenschaftsrates (WR).

In enger Rückkopplung mit dem Arbeitskreis Deutsch als Wissenschaftssprache e. V. (ADAWIS, www.adawis.de) hatte sich im vergangenen Sommer auch der Bundestagsausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung[1] dieses Problemfeld vorgenommen.

Bedenkliche Folgen von English only

Argumente des ADAWIS, der HRK und des WR gegen English only im Inland sind u.a.:

  • Einsprachigkeit in Forschung und Lehre behindert Rezeption und Transfer und sie beengt den Horizont möglicher Erkenntnis. Ein Wissenschaftssytem, welches die Diversität der Sprachen nicht auch als wertvolle Erkenntnisressource anerkennt, ignoriert eine seiner wichtigsten Propositionen. Daher muss auch das Deutsche der Wissenschaft als Sprache erhalten und entsprechend gepflegt werden.
  • Eine ausschließliche Verwendung des Englischen in der Wissenschaft erschwert das interkulturelle Verständnis und bringt Denktraditionen nicht-anglophoner Sprachräume zum Verschwinden.
  • Ausbildungsinhalte, die nicht auf Englisch verfügbar sind (z.B. Quellenmaterial, Verordnungen, Gesetze) geraten zunehmend aus dem Blickfeld; Betriebspraktika entfallen oft jetzt schon aus sprachlichen Gründen.
  • Gaststudierende und -wissenschaftler[2] laufen Gefahr, sozial und kulturell ausgegrenzt zu werden, wenn sie die Landessprache nicht ausreichend gut beherrschen.
  • Absolventen, die während des Studiums nicht (auch) die nötigen deutschen Fachsprachkenntnisse erworben haben, bleibt der deutsche Arbeitsmarkt besonders häufig verschlossen, obwohl sie oft hier bleiben wollen.
  • Der Erwerb von mehr oder minder umfangreichen Kenntnissen der deutschen Sprache liegt auch dann im Interesse Deutschlands, wenn die Absolventen nach dem Studium keine Berufstätigkeit in Deutschland anstreben.
  • Wissenschaftskommunikation, die auch im Inland den eigenen Ansprüchen genügen soll, ist nur denkbar in einer weiterhin wissenschaftstauglichen Landessprache. Dagegen würde English only in der Wissenschaft nicht nur deren Kommunikation mit der Öffentlichkeit und der Wirtschaft, sondern auch den inter- und transdisziplinären Erkenntnisaustausch verflachen lassen.

Weg vom Trend zur Einsprachigkeit

Europas sprachlich-kulturelle Diversität ist ein einzigartiger Standortvorteil nicht nur der EU, sondern auch Deutschlands, denn es grenzt an besonders viele „fremde“ Sprachgebiete. Die Beherrschung nicht nur von Deutsch und Englisch, sondern auch weiterer Nachbarsprachen besitzt deshalb für jede(n) Deutsche(n) einen besonders hohen kommunikatorischen, kognitiven und sozialen Mehrwert.

Folgende Maßnahmen könnten einen Politik- und Bewusstseinswandel einleiten:

  • Steuerfinanzierte Studiengänge in einer Fremdsprache (insbesondere auf Englisch) müssen möglich sein, aber nur neben fachlich gleichwertigen in der Landessprache Deutsch.
  • Nichtdeutsche Muttersprachler sind (in sämtlichen Fächern) durch verpflichtende Sprachmodule und verbindliche Leistungsziele an die deutsche (Fach-) Sprache heranzuführen.
  • Ebenso sind alle Studierwilligen auch im Hinblick auf die Fähigkeit zur wissenschaftlichen Kommunikation auf Englisch zu fördern; je nach Fach (auch) in anderen Fremdsprachen.
  • Bei nationalen, mit öffentlichen Mitteln geförderten Tagungen, namentlich solchen, die sich auch an ein Laienpublikum wenden, sind Beiträge in der jeweiligen Landessprache ausdrücklich zuzulassen, nötigenfalls mit Simultanverdolmetschung.
  • Die Diskussion über Wege und Ziele gelingender Wissenschaftskommunikation muss endlich auch deren kontextgerechte Sprachlichkeit thematisieren. Dies gilt insbesondere für den besonders wichtigen Kommunikationsbereich „akademische Lehre“, den jährlich fast 500.000 Menschen erstmals betreten. Die wenigsten von ihnen treten später eine wissenschaftliche Karriere an.
  • Wo immer möglich, ist in Forschung und Lehre auch die rezeptive Mehrsprachigkeit zu fördern und kommunikatorisch zu nutzen. Maschinelle Übersetzungssysteme eröffnen mehrsprachigen Kommunikationsnetzwerken neue Chancen. Die Erfahrung kultureller Diversität und einer fremdsprachigen Sozialisierung können sie allerdings nur unterstützen, nicht ersetzen.
  • Zur Förderung des internationalen Austausches bietet sich ein „Nachbarschaftsansatz“ an, in dem Partnerhochschulen ihre Curricula so aufeinander abstimmen, dass ein Austausch ohne Zeitverluste möglich wird.
  • Eine „Europäische Digitaluniversität“ ist als EU-weites mehrsprachiges Partnerschafts-Netzwerk bereits etablierter Hochschulstandorte und „Europa-Universitäten“ zu konzipieren. Dazu gehörte auch eine mehrsprachige Publikationsdatenbank der EU.
  • Die Schulen stimmen studierwillige Schüler auf mehrsprachige wissenschaftliche Netzwerke ein, indem sie (neben Englisch) andere europäische Nachbarsprachen als Erstfremdsprache anbieten. Das ohnehin unverzichtbare Englisch wird danach desto müheloser erlernt.

Innovationsökosysteme zur Sprache bringen

Laut Koalitionsvertrag (S. 20) will die Ampel-Koalition regionale und überregionale „Innovationsökosysteme“ schaffen. Insbesondere zur Förderung praxisnaher Forschung an kleineren Hochschulen für Angewandte Wissenschaft (HAW) will sie eine „Deutsche Agentur für Transfer und Innovation (DATI)“ gründen. Auch schreibt sie richtig „Wissenschaft lebt vom Austausch und der Kommunikation mit der Gesellschaft“ (S.24), und „wo Fortschritt entsteht, muss er auch gelebt werden“ (S. 22). Das kann aber nicht funktionieren, wenn die Wissenschaft aufhört, auch in der jeweiligen Landessprache zu leben.

Gerade die kleinen HAW drängen jedoch wesentlich stärker auf English only als große HAW oder Universitäten (https://www.hsi-monitor.de/themen/internationale-studiengaenge/). Statt den unübersehbaren Trend fast aller Hochschulen hin zu einer wissenschaftssprachlichen Monokultur weiterhin zu ignorieren, sollte der neue Bundestag deren bedenkliche Folgen nun ins politische Rampenlicht rücken. Er könnte dafür an die Überlegungen des Bundestagsausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung vom Sommer 2021 anknüpfen2. Und die neue Chefin des BMBF, Bettina Stark-Watzinger, wird dem Trend hin zu English only gerade an den HAW etwas entgegensetzen müssen (s. hierzu auch, den Gastbeitrag von Ernst Dieter Rossmann vom 09.12.21 (https://www.jmwiarda.de/2021/12/09/bettina-stark-watzinger-übernehmen-sie/ ).

Es wäre ein schwerer Fehler, dieses Feld politischen Kräften zu überlassen, die es womöglich mit nationalistischen Thesen besetzen würden.

[1] Beteiligte Ausschussvertreter: Dr. E.D. Rossmann (SPD), R. Röspel (SPD), Dr. W. Esdar (SPD), K. Gehring (Grüne), N. Gohlke (Linke), Dr. T. Sattelberger (FDP), K. Staffler (CSU). Das gemeinsame Protokoll ist beim ADAWIS erhältlich.

[2] Inhaltlich redundante Variationen von Personenbezeichnungen seien hier ausgespart im Vertrauen auf die Bereitschaft der Leser und Leserinnen, solche Bezeichnungen kontextgerecht aufzufassen.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

hahadi

ich halte mich für einen nachdenglischen Menschen. Ich denke gerne nach über Wissenschaftskommunikation, sprachliche Teilhabe, Gleichberechtigung

hahadi

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