„In die Welt“

Interview Stefan Weppelmann ist neuer Direktor des Museums der bildenden Künste in Leipzig. Er will das Haus künstlerisch lokal verankern, aber global blicken
Ausgabe 01/2021

Leipzig ist als Sitz der 1764 gegründeten Hochschule für Grafik und Buchkunst eines der deutschen Kunstzentren. Nach der Zerstörung des Gebäudes im Zweiten Weltkrieg musste sich das Museum der bildenden Künste viele Jahre mit Provisorien behelfen. 2004 wurde der Neubau eingeweiht. Mit über 10.000 Quadratmetern Ausstellungsfläche zählt das Kunstmuseum zu den größten in Deutschland. Stefan Weppelmann ist seit Januar der neue Direktor des Hauses. Sein Vorgänger Alfred Weidinger hinterlässt ihm einiges: Er hat das MdbK in Leipzig in die kulturelle Mitte der Stadt zurückgeführt, aber auch die Etats überzogen.

Zur Person

Stefan Weppelmann wurde 1970 in NRW geboren. Von 2003 an war er als Kurator mit Schwerpunkt Renaissance für die Gemäldegalerie in Berlin tätig. 2015 wurde er Direktor der Gemäldegalerie des Kunsthistorischen Museums Wien

der Freitag: Herr Weppelmann, was reizt Sie nach zwölf Jahren Staatliche Museen zu Berlin und fast sechs Jahren Kunsthistorisches Museum Wien an Leipzig?

Stefan Weppelmann: Berlin und Wien besitzen großartige Gemäldesammlungen. Diese sind allerdings nicht ohne Weiteres anschlussfähig an gegenwärtige Diskurse. Hier wie dort geht es stark um Tourismus und um Repräsentation. Das MdbK ist dagegen als städtisches Haus das Werk der Bürger*innen. Es zeigt die bildenden Künste medienübergreifend unter einem Dach und es sammelt aktiv. Schließlich stehen gegenwartsbezogene Themen und ein lokales Publikum im Mittelpunkt. Diese Aktualität und Lebendigkeit haben mir bei der Arbeit für die größeren Museumsverbünde etwas gefehlt.

In Leipzig zählt die Kunst, die heute entsteht oder noch aus der DDR-Zeit herüberreicht: Lassen Sie sich für die Leipziger Gegenwartskunst in die Pflicht nehmen?

Gerade die Werke, die in den Jahren der Teilung entstanden, jene, die aus ihr herausführen, reflektieren Momente der Unruhe und Umbrüche, die für diese Stadt, aber auch für unser Land, von großer Bedeutung sind. Das MdbK wird aufmerksam sein und die Kunst dieser Zeit weiterhin adäquat repräsentieren. Das Museum ist aber kein alleiniger Archivraum der jüngeren Vergangenheit.

Fürchten Sie den Druck der öffentlichen Erwartungen, Weidingers großartige Offensive gegenüber der Leipziger und der ostdeutschen Kunst fortsetzen zu müssen?

Die Kunst Leipzigs und Mitteldeutschlands wird das MdbK prägen, alles andere wäre nicht vertretbar. Aber die Bildgeschichte der Leipziger Kunst beginnt ja nicht erst 1970: Zu ihr gehören auch der Humanismus der Cranach-Werkstatt oder der Barockbildhauer Caspar Friedrich Löbelt; ich denke dann etwa an die Malerin Juliane Wilhelmine Bause, die im 18. Jahrhundert mit Goethe und Schiller verkehrte, an Größen wie Carus oder Schnorr von Carolsfeld, an Klinger und Beckmann, aber auch an spannende Künstlerinnen, wie die viel zu wenig bekannte Malerin Olga Costa, die 1925 mit ihrer Familie nach Mexiko emigrierte. Ein solcher Blick, der zurückreicht, ermöglicht anderes, nicht Erwartetes wahrzunehmen, und er führt zugleich in die Breite, in die Welt. Das wäre eine wirkliche Offensive für die Leipziger Kunst.

Sie haben in ersten Statements zu Ihrer Berufung nach Leipzig erklärt, dass Sie die junge Leipziger Kunst ins Haus holen wollen. An wen denken Sie da?

Ich meine junge Menschen, die in Leipzig Kunst, vor allem Fotografie und Malerei, studieren oder gerade studiert haben, denn das ist ihr Museum. Zunächst werde ich mal ankommen, die Arbeiten dieser jungen Leute kennenlernen, mich mit ihren Ideen auseinandersetzen. Welche Formate eignen sich für solche Präsentationen?

Der Kunsthistoriker Frank Zöllner sagte über die vielen Ausstellungen Ihres Vorgängers: Ein Museum ist kein Zirkus! Aber kommt man heutzutage noch anders in die kulturelle Mitte der Stadt?

Frank Zöllner hat 2019 selbst mit seinen Studierenden in einer gelungenen Ausstellung zum variationsreichen Programm des MdbK beigetragen. Mit seiner Bemerkung dürfte er wohl meinen: Es bedarf nun der Rückbindung der Einzelzutaten an eine strategischere Ausrichtung eines Programms, das übergreifende Fragestellungen und Themen haben sollte, das einen erkennbaren Rhythmus von größeren Anker-Projekten und kleineren Ausstellungsreihen bzw. Bildungsformaten aufweist; dabei sollten auch die Museumsaufgaben Vermittlung, Forschung und (Online-) Dokumentation tragende Rollen übernehmen und budgetär relevant sein. Die von Ihnen zitierte „kulturelle Mitte“ ist wesentlich, aber ebenso sind es die Ränder, es muss ja um die künstlerische Vielgestaltigkeit gehen.

Sind Blockbuster allein durch Qualität zu gewinnen?

Es wird gerade vor dem Hintergrund der Pandemie vielen Menschen klar, wie wichtig eigentlich das gemeinsame Erleben ist. Insofern ist eine sehr gut besuchte Museumsausstellung auch eine wünschenswerte Erfahrung von kollektivem Erleben, von Verbindung und von Mitteilen. Die Qualität der Kunstwerke ist dabei sicher zentral, aber per se kein Garant dafür, dass ein Ausstellungsprojekt viel Aufmerksamkeit erfährt. Es müssen Fragestellungen hinzukommen, die spannend sind. Ich würde zum Beispiel gern eine Ausstellung machen, in deren Mittelpunkt Rembrandts Schüler stehen, sodass man den Meister als Lehrer erlebt. Das würde paradoxerweise mehr über Rembrandt selbst aussagen als so manche monografische Beschäftigung mit seinem Werk.

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