Parabel oder Farce? Eugen Ruges Gleichnis „Pompeji oder Die fünf Reden des Jowna“
Lehrstück Eugen Ruges „Pompeji oder Die fünf Reden des Jowna“ erzählt in seinem neuen Roman, wie Menschen von Mächtigen geblendet, getäuscht und betrogen werden. Was will er dem Leser damit sagen? Und: ist sein Lehrstück auch ein Lesevergnügen?
Ist die Gefahr nur ein Gerücht? Irgendwann schafft der Vulkan Fakten
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Es gab immer schon Menschen, die die Gefahr geleugnet haben, ob aus ideologischen Gründen oder aus Profitinteresse, Motive gibt es bekanntlich reichlich. Für sie scheint Eugen Ruge seinen dritten, gerade erschienenen Roman geschrieben zu haben, für sie oder gegen sie. Sein warnendes Gleichnis liefern ihm die Vulkanleugner von Pompeji.
Mit seinem späten Debüt In Zeiten des abnehmenden Lichts gewann Ruge 2011 auf Anhieb den Deutschen Buchpreis. Sein teils autobiografischer Rückblick auf die DDR traf wunderbar die Balance, nichts zu beschönigen, aber auch Humor zuzulassen. Metropol (2019) benutzte die Geschichte seiner Großmutter im Moskau der Terrorjahre 1937/38. Eine literarische Leistung mit der Ruge, der 1954 in der Sowjetunion geboren wurde, zu rech
union geboren wurde, zu recht höchste Anerkennung fand. Der Handlungsort Pompeji seines aktuellen Romans ist nun überraschend sowie die Handlungszeit, aber Ruge hat den Stoff so angefasst, dass er viel mit Politik von heute zu tun hat. Pompeji oder Die fünf Reden des Jowna gehört zum Genre derer, die mehr das Heute meinen als das Gestern.Der Erzähler in „Pompeji oder die fünf Reden des Jowna“ will keine Miesmacherei betreibenDie Erzählung der Jahre zwischen dem großen Beben und dem größten Beben im Jahr 79 liefert ein Chronist, der aus der damals für Chronisten verbreiteten Wir-Perspektive auf achtzehn Rollen Bericht gibt. Dass es sich beim „Wir“ möglicherweise um den in der Linguistik aus dem Lateinischen bekannten „soziativen Plural“ handelt, ist nur ein Beispiel der historischen Genauigkeit, mit der Ruge seinen Text entwickelt. Die Figur, die vieles ins Laufen bringt, ist Jowna, alias Josse. Von ihm heißt es zu Beginn des Romans, er sei ein Dahergelaufener ohne Schulabschluss, antriebslos und demzufolge mit viel Leerlauf. Sein Vater stammt aus den römischen Ostprovinzen, war das, was man einen zugewanderten Migranten nennt. Als Metzger in Pompeji ging er pleite und rutschte danach als Sackträger sozial nach unten durch. Josse, wenn er nicht nachts die Touristen beklaut, geht ins Sportstudio, was im Roman bedeutet, dass er an sportlichen Ertüchtigungen vormilitärischer Art teilnimmt, bei denen er das Prügeln lernt.Seine Neugier und die seiner Kumpels zieht der Vogelschutzverein an. Nicht weil sie sich denen anschließen wollen, die hier zusammen kommen, weil sie mit der politischen Situation unzufrieden sind, sondern weil sie hoffen, dass auch junge Frauen dabei sind. Als die Clique sich zum Beobachten in Stellung bringt, schnappt Josse Bruchstücke aus dem Vortrag eines Experten auf, der die toten Vögel in der Umgebung mit austretenden Gasen erklärt. Pompeji liege am Fuße eines Vulkans. Was den Einwohnern übrigens nicht so unbekannt gewesen sein dürfte, wie sie tun, denn immer noch liegen Trümmer des letzten Erdbebens in der Stadt herum, was der Roman geflissentlich übersieht. Josse nutzt die Unwissenheit über Vulkane und formt den messianisch klingenden Satz, der später seine erste große Rede genannt werden wird: „Da der Berg sich kaum von der Stelle bewegen wird, bleibt uns wohl kaum etwas anderes übrig, als uns selbst von der Stelle zu bewegen“.Damit ist das Handlungsprogramm des Romans benannt: Es entsteht eine Kommune vor der Stadt an einem idyllischen Ort, den die Kommunarden „Fenster des Meeres“ nennen. Josse zählt zu den Gründern und steht der Neu-Siedlung vor. Als eine Gegenbewegung von Vulkanleugnern formiert wird, die zum Bleiben in Pompeji auffordert, wechselt Josse bedenkenlos die Seiten und übernimmt auch hier die Spitze. Er ist, das zeigt sich bald, Wachs in den Händen derer, die sich vom Auszug aus Pompeji etwas versprechen oder vom Bleiben. Am Bleiben sind die Bauunternehmer und Immobilienhaie interessiert, männliche und weibliche. Sie sind es, die im Hintergrund die Fäden ziehen, dass ihre Kassen überlaufen.Josses Bereitschaft, sich durch die Welt zu lügen, zeigt sich bald ebenso skrupellos wie die seiner Lehrer. Mitten hinein in die Hybris des kleinen Aufsteigers feuert der Vulkan Asche und Steine. Dem Chronisten bleibt nur noch, vom Ende Pompejis und einiger der gierigsten Hauptakteure dieser Geschichte zu berichten. Weil dem Chronisten klar war, dass sein Bericht über die beklagenswerte Geschichte des Vulkanvereins den Überlebenden nur als Miesmacherei gelten wird, hat er ihn für die Nachwelt in Amphoren verwahrt. Und mit dem Understatement des klugen Schreibers hofft er, den Nachgeborenen wenigstens ein Lesevergnügen bereitet zu haben.Eugen Ruge erzählt, wie Menschen von Mächtigen getäuscht werdenIst der Roman ein Lesevergnügen geworden? Eugen Ruge hat sich in Pompeji vorgenommen davon zu erzählen, wie Menschen von Mächtigen geblendet, getäuscht und betrogen werden. Es geht mit rhetorischem Schwung in die Chronik hinein, weil man die Hauptfigur gern auf ihren Abenteuern begleitet. Solange er ein Held wider Willen bleibt, geht das auch, aber als andere ihn lenken und er vom Kommunarden nahezu übergangslos zum bloßen Werkzeug wird, der das Gegenteil von einst vertritt, ist er als Figur aufgebraucht. Ein Held, bei dem sein Autor vom Aktiv zum Passiv wechselt, ist keiner mehr. Auf der Seite der Mächtigen sind eigentlich alle nur gewissenlose Profiteure, einzig unterschieden im Grad ihrer Dummheit und Gier. Der kleine Held vom Anfang ist bald nichts weiter als ihr gelehriger Schüler.Nun mag diesen Einwand entlasten, dass in Eugen Ruges Roman die Geschichte unter dem Label der Farce läuft und allzu Feines gar nicht verlangt ist. Aber irgendwann wird das Grobe eintönig. Zwar beruft sich der Autor auf die historischen Fakten, aber verbindet sie – zum Zwecke der Bezüglichkeiten zu unserer Gegenwart – etwas sehr deutlich nach seinem Plan. Und der will eben weniger erzählen, sondern etwas zeigen. Das einzige Beruhigende ist, dass am Schluss auch die meisten von denen, die im Hintergrund die Fäden gezogen haben, unter den Toten sind.Placeholder infobox-1