Nach Machtmissbrauch, Sexismus, Mobbing nun also Rassismus. Der Düsseldorfer Skandal ist ein Aufprall mit Ansage. 2018 wähnte sich der Deutsche Bühnenverein auf der Höhe der Zeit und beschloss einen „wertebasierten Verhaltenskodex zur Prävention von sexuellen Übergriffen und Machtmissbrauch“. Zwar purzelten ein paar Intendanten und Regisseure wegen „toxischer Männlichkeit“ die Karriereleiter runter, doch an Rassismus dachten damals offenbar die wenigsten. So basisnah, sprich alltäglich wollte man sich die ästhetische Reflexionsmaschinerie Theater, die sich seit Jahrhunderten als Moralapostel für alle „Erniedrigten und Beleidigten“ aufspielt, dann doch nicht vorstellen. Das Düsseldorfer Schauspielhaus
Ein Lernprozess
Bühne Der Rassismus-Skandal am Schauspielhaus Düsseldorf zieht immer weitere Kreise. Was folgt jetzt auf die offenen Briefe?
aus führt nun den Gegenbeweis.Wer mit Wilfried Schulz spricht, spürt den enormen Druck, der auf ihm und dem Haus lastet. Fast flehentlich verweist der Intendant auf den Weg, auf dem man sich befinde: „Das, was passiert ist, ist noch mal ein Alarmruf, der uns ermahnt, diesen Prozess zu beschleunigen.“ Auslöser der Krise war ein WDR-Fernsehbeitrag vom 18. März, in dem der Schauspieler Ron Iyamu zahlreiche Fälle von Rassismus am Düsseldorfer Schauspielhaus öffentlich machte. Unter anderem habe ihn während der Proben zu Dantons Tod ein Regisseur (unschwer als Armin Petras identifizierbar) als „Sklave“ tituliert. Nach Dreharbeiten für Videoeinspielungen hielt ihm ein Kollege ein Messer an den Schritt mit der Frage: „Wann schneiden wir dem *N-Wort* eigentlich die Eier ab?“ Obwohl Iyamu die Vorfälle der Dramaturgie meldete, sie im Juni 2020 in einem Interview mit der Rheinischen Post erwähnte und im Herbst um Auflösung seines Vertrages bat, blieb die Reaktion des Hauses eher beschwichtigend.Intendanz und das Ensemble haben sich inzwischen bei Ron Iyamu entschuldigt. Man habe „seine persönliche Betroffenheit, das Ausmaß der Verletzungen und vor allen Dingen die Aufarbeitung falsch eingeschätzt“, heißt es auf der Homepage des Theaters. Erstaunlich, dass den professionellen Seelenzergliederern dafür schlicht die Empathie fehlte. Der Vorfall um Ron Iyamu scheint nur die Spitze eines Eisbergs zu sein. „Es melden sich immer mehr Leute bei mir, die mir von Diskriminierungsfällen am Düsseldorfer Schauspielhaus erzählen“, sagt Iyamu. Drei Mitarbeiter:innen haben ihre Erfahrungen inzwischen ebenfalls öffentlich gemacht. Damit nicht genug: In einem offenen Brief solidarisierten sich 22 Schwarze Schauspieler:innen, die als Gäste am Schauspielhaus zwei Produktionen um die afrodeutsche Dichterin und Wissenschaftlerin May Ayim erarbeiten, mit Iyamu. Sie weigerten sich, die Produktionen „in einer staatlichen Institution auf die Bühne zu bringen, der Rassismus und Sexismus vorgeworfen werden“. Vom NRW-Kulturministerium und der Stadt Düsseldorf forderten sie eine eigene Bühne als Safe Space.Stegemann verschärft den TonEs wäre allerdings vorschnell, dem Schauspielhaus jedes Problembewusstsein abzusprechen. „Wir sind ein Haus, das sich nicht erst seit gestern mit Diversität in Veranstaltungen, in Workshops oder in Produktionen beschäftigt“, sagt Schulz. Das Haus verfüge über zwei Diversitätsbeauftragte, das Kollektiv „Schwarzes Haus“ organisiere Räume und Veranstaltungen für die Schwarze Community. Das Ensemble des Jungen Schauspielhauses, zu dem auch Ron Iyamu gehört, sei höchst divers; zahlreiche Veranstaltungen im Spielplan seien dem Thema Diversität gewidmet. Ron Iyamu stimmt dem zu, begrüßt die Projekte durchaus, sieht darin allerdings eher Strategien, mit denen „sich das Haus nach außen als divers darstellen kann.“ Diversitywashing sozusagen.Der Konflikt am Düsseldorfer Schauspielhaus verschärfte sich kurz darauf weiter. In einem Gastbeitrag in der FAZ sprang der Publizist und Dramaturg Bernd Stegemann dem bedrohten Intendanten und vor allem Regisseur Armin Petras bei. In professoralem Ton qualifiziert er Iyamu aufgrund eines Bewerbungsvideos als „unsicheren jungen Mann“ ab, „der im schauspielerischen Ausdruck blockiert ist“. Da Schauspieler auf Proben oft mit ihren Rollennamen gerufen würden, sei die Titulierung „Sklave“ durchaus nachvollziehbar (Iyamu spielte allerdings den Revolutionär und früheren Sklaven Toussaint Louverture). Die rassistische Entgleisung nach den Dreharbeiten begründete Stegemann mit dem Ausnahmezustand der Theaterprobe zwischen Spiel und Realität. Rassismus? Alles nicht so gemeint. Stegemann etablierte so über die Kunstfreiheit quasi einen rechtsfreien Raum im Theater.Der Gegenwind ließ nicht lange auf sich warten. In einem Kommentar auf nachtkritik.de distanzierten sich Stegemanns Kollegen am Berliner Ensemble von ihrem Gastdramaturgen. Kurz darauf kamen 1.400 kritische Stimmen dazu. So viele unterzeichneten einen offenen Brief, den unter anderem Thomas Schmidt, Professor für Theatermanagement, die Regisseurin Angela Richter und der Schauspieler Mehmet Ateşçi lancierten. Ein Brief zwischen pointierter Kritik, überheblichem Moralismus und insistierend bekundeter Dialogbereitschaft. Warum 1.400 Menschen allerdings lieber mit Bernd Stegemann sprechen wollen anstatt mit Ron Iyamu, Wilfried Schulz oder Armin Petras, bleibt ihr Geheimnis.Während die Debattenmaschinerie auf Hochtouren läuft, wird in Düsseldorf harte Politik gemacht. Dass die Träger des Schauspielhauses, das Land NRW und die Stadt Düsseldorf, beide CDU-regiert, diesen Konflikt nicht gebrauchen können, ist verständlich. Die Daumenschrauben sitzen bei Wilfried Schulz eng. Seit Januar 2020 würgt das Haus an einer Neufassung seiner Betriebsvereinbarung herum. Jetzt soll es schnell gehen. Partizipativ will Schulz die Vereinbarung „um einen Code of Conduct zu den Themen Diskriminierung und Rassismus ergänzen und noch vor den Ferien in Kraft setzen“. Orientieren will man sich dabei an der Anti-Rassismus-Klausel, die die Dortmunder Intendantin Julia Wissert und die Rechtsanwältin Sonja Laaser entworfen haben. Sie soll Beteiligte vor rassistischen und diskriminierenden Äußerungen und Übergriffen durch Kollegen schützen. Workshops und Fortbildungen sind geplant. Zudem werde man „alle Vorfälle von einer Person von außen nochmals genau recherchieren und dokumentieren lassen und die Ergebnisse dann dem Aufsichtsrat vorlegen“, so Schulz. Im Juni muss der Intendant dem Düsseldorfer Kulturausschuss Rede und Antwort stehen. Der Wind weht derzeit eisig in Düsseldorf.In der Umkleide, auf der ProbeSchließlich will man sich mit der Frage nach dem „strukturellen Rassismus“ der Institution Theater auseinandersetzen. „Wir sprechen“, sagt Schulz, „mit dem Aufsichtsrat und dem Betriebsrat über die Gründung eines Gremiums, das darüber diskutieren soll, wie das Haus in Zukunft strukturell aufgestellt sein wird“. Wie substanziell diese Debatte verläuft, dürfte von den Akteuren abhängen. Schulz sieht das Haus in der Grundstruktur eher gut aufgestellt. Iyamu dagegen kann sich da Vieles vorstellen: Von einer mehrköpfigen „Team-Intendanz“, stärkerer Mitbestimmung des Ensembles, mehr Einfluss der Diversitätsbeauftragen auf Spielplan und Ensemble bis zu einer Diversitätsquote. Unverkennbar, dass zwischen den Vorstellungen von Schulz (Jahrgang 1952) und Iyamu (Jahrgang 1991) mehr als eine Generation liegt.Ron Iyamus Vertrag läuft noch bis 2022. Ob er ihn verlängert, will er davon abhängig machen, ob das Haus versucht, „nachhaltig Veränderungen zu schaffen“. Mit dem Schauspieler, der ihn bedroht hat, gab es kein klärendes Gespräch, mit Armin Petras allerdings schon. Der Regisseur schrieb ihm zudem eine Mail, die der Bremer Intendant Michael Börgerding auf der Homepage seines Hauses veröffentlichte und die ziemlich nachdenklich macht: „Es reicht heute nicht mehr, nur kein Rassist zu sein, es geht darum, sich antirassistisch zu verhalten und das so auch permanent zu kommunizieren. Mit Worten, Gesten, Bildern, eigenem Verhalten und zwar egal wo, genauso in der Umkleide wie am Kaffeeautomaten oder auf der Probe. In diesem Lernprozess befinde ich mich zurzeit.“Placeholder authorbio-1