"Impulse"

Festival Die Inspizientin sitzt im Federboa-Kostüm neben einem Monitor und einer Leinwand mitten auf der Bühne und versucht, den Überblick zu behalten. Das ...

Die Inspizientin sitzt im Federboa-Kostüm neben einem Monitor und einer Leinwand mitten auf der Bühne und versucht, den Überblick zu behalten. Das ist schwieriger als gedacht, denn allenthalben droht der Abend aus dem Ruder zu laufen. Die Relevanz Show der Gruppe She She Pop ist eine theatralische Selbstvergewisserung bei laufendem Betrieb. Autoren, Performer, Musiker quetschen sich dabei absurde Showeinlagen aus den Hirnwindungen, die relevante Aussagen über das Verhältnis von privat und politisch auf der Bühne zulassen. Von der Affektproduktion über Gier und Gagen, erotische Depression bis zur Nacktheit geht die ironische Suche nach der gesellschaftlichen Relevanz künstlerischer Produktion.

Nicht von ungefähr startete das Impulse-Festival mit dieser Produktion in der vergangenen Woche in Köln. Die Beschäftigung mit den Bedingungen des eigenen Mediums in einer performanceartigen Dramaturgie - im Tanztheater würde man von TanzTanz sprechen - spielte eine zentrale Rolle bei den neun deutschsprachigen und zwei ausländischen Truppen, die das neue Leitungsteam Tom Stromberg und Matthias von Hartz eingeladen hat. Seit Dietmar N. Schmidt 1990 die Impulse gegründet hat, gab diese Bestenschau der freien Szene immer auch Wasserstandsmeldungen für die Zukunft ab. Die sicherste Zukunftsaussage betrifft allerdings die bis heute prekäre Finanzausstattung, die nach der letzten Ausgabe unter Schmidts Leitung 2005 das Festival auf einen biennalen Rhythmus gesetzt hat.

Die beiden Nachfolger ließen sich davon nicht schrecken und haben zusammen mit der Auswahljury um Carina Schlewitt, Matthias Günther und VA Wölfl neue Schwerpunkte gesetzt. Dazu gehört vor allem die Entdeckung der Genrevielfalt innerhalb der freien Szene. So wurde das Puppentheater "Das Helmi" aus Berlin eingeladen, das mit knautschigen Schaumstoffwesen den Film Leon - Der Profi auf einem schwarz abgehängten Esstisch nachspielte. Die Story wird zwar drastisch und mit viel Ironie erzählt, doch die Truppe macht Figurentheater, das sich fast nur auf den Kopf anstatt den Bewegungsgestus der Puppe bezieht. Und das wird schnell langweilig. Ähnlich überraschend, aber weit überzeugender gelang das Musiktheater Fairy Queen oder hätte ich Glenn Gould nicht kennen gelernt von David Marton. In einem abgewrackten U-Bahnhof treffen sich neun Musiker, die von einer Aufführung der Purcell-Oper The Fairy Queen träumen. Verschnitten mit Textstellen aus Thomas Bernhards Roman Der Untergeher wird daraus eine romantische Phantasie über modernes Künstlertum, erotische Sehnsucht, musikalische Biographie und Alltagstrivialität. Purcells Sommernachtstraum-Plot infiziert, und seine fragmentarisch auf Instrumenten von Straßenmusikern dargebotene Musik wird zum Katalysator für eine traurig-komische Reflexion über das Dasein als Musiker und das Musikmachen überhaupt.

Auch die Organisation des Festivals hat die Leitung neu akzentuiert. Die Vorstellungen in den vier Städten Köln, Düsseldorf, Bochum und Mülheim wurden an Wochenenden konzentriert. Und für die teilnehmenden Truppen erhöhte sich die Attraktivität, insofern dem Festivalsieger die Teilnahme beim Berliner Theatertreffen, den Wiener Festwochen und dem Züricher Theaterspektakel sowie eine vom Goethe-Institut finanzierte Auslandstournee winkt. Eine solche ist für die zwei außer Konkurrenz teilnehmenden Gäste, die spanische Regisseurin Cuqui Jerez und den französischen Choreographen Jérôme Bel, längst selbstverständlich. Beide bildeten quasi einen Referenzpunkt für die Qualität freier Theaterarbeit im Ausland.

Vor allem Jérôme Bels Pichet Klunchon and myself erwies sich dabei als faszinierende Reflexion über den Tanz selbst. Dabei befragen sich thailändische Tänzer Klunchon und Bel auf der Bühne über ihre Arbeit und führen Tanz und sein Verstehen schnell als kulturell bedingt vor. Zugleich wird die kulturelle Verständigung selbst als theatralischer Akt vor Publikum präsentiert. Das führt zu einer atemberaubenden Komplexität, die jede noch so naive Zuschreibung von fremd oder eigen, von authentisch oder repräsentativ unterläuft. Sollte dies das Maß der Dinge sein, dürften die deutschsprachigen Gruppen noch einen weiten Weg vor sich haben.

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