Wie ist mir

Monologe Die „Lange Nacht der Autorinnen“ ist eine Nacht der Selbstbespiegelung. Svealena Kutschke und András Dömtör holen am meisten dabei raus
Ausgabe 24/2019

Menschen monologisieren beziehungslos vor sich hin, sind festgefroren in Zuständen, die sich nicht mehr in Geschichten, also Veränderung auflösen lassen. Folgt man den drei jungen Dramatikerinnen, deren Stücke bei der „Langen Nacht der Autorinnen“ auf die Bühne kamen – Stücke von Männern schafften es nicht in die Auswahl –, dann hat sich das gesellschaftliche Klima weiter verschlechtert. Die Texte von Svealena Kutschke, Lisa Danulat und Eleonore Khuen-Belasi bildeten das Postludium der Autorentheatertage im Deutschen Theater Berlin.

Was die Nacht traditionell spannend macht: Zu sehen sind „richtige“ Inszenierungen, die sich im Spielplan beweisen müssen, keine von Regieassistenten eingerichtete Lesungen oder halbszenische Aufführungen. Wie das komplett schief gehen kann, zeigte Peter Kastenmüllers kurze, 60-minütige Uraufführungsinszenierung Entschuldigung von Lisa Danulat. Die erfahrene Autorin stellt zwei Frauenfiguren nebeneinander. Ingrid ist todunglücklich. Ihren tiefen Schmerz ummantelt halbwegs eine Alltagskonvention, das sind Telefonate mit dem Sohn, am Ende steht ein Selbstmord. Ihr gegenübergestellt ist Hannah, die in Schweden im Gefängnis sitzt. Sie soll ihren Ex-Geliebten Magnus gestalkt und die beiden Kinder von dessen neuer Lebengefährtin ermordet haben. Als Vermittlerin, Gesprächspartnerin beider Frauenfiguren, fungiert eine „Erzählerin“.

Danulats Text hat erhebliche Schwächen, ohne Zweifel. Man kommt den Figuren nicht nah, die Dramaturgie wirkt überästhetisiert. Doch Kastenmüllers Inszenierung vom Zürcher Theater am Neumarkt vergrößert dieses Manko noch durch Texteingriffe, Crossgender-Besetzungen und die Streichung von Figuren. Auch das Bühnenbild eines heruntergerockten Waldes mit Spiegelscherben und ausgestopftem Getier, das Assoziationen an Märchen und Klimakatastrophe aufruft, bleibt willkürliche Behauptung. Der Zugriff der Regie hat hier nicht die Spielbarkeit eines Textes demonstriert, sondern eher Willkür und Verwertungsdruck des Theatersystems unter Beweis gestellt.

Spucke soll helfen

Dass es auch anders geht, veranschaulichte dagegen die Grazer Uraufführung von Eleonore Khuen-Belasis Ruhig Blut. Das erste Stück der jungen Südtiroler Autorin folgt der österreichischen Tradition von Kraus bis Jelinek, Wirklichkeit über die Sprache und ihre Repräsentation zu analysieren. Die drei Protagonistinnen Agata, Teresia und Aurelia sitzen in Plastikstühlen auf dem Bürgersteig und nehmen mit steigender Erregung die sich bildenden Risse in der Straße wahr: Eine vom Zerfall bedrohte Gesellschaft, für deren Reparatur das Trio die Verantwortung zu übernehmen bereit ist. Spucke soll helfen, die Straßen wieder befahrbar zu machen. Das Trio „phraselt“ sich in höchste hysterische Höhen der Selbstermächtigung – bis der Straßenasphalt selbst die Stimme erhebt und zu einer wuchtigen Klage über seine Marginalisierung anhebt.

Ruhig Blut ist ein verblüffend „fertiger“ Erstling, den die Regisseurin Clara Weyde am Schauspiel Graz kongenial umgesetzt hat. In einem schräg gestellten Netz aus Seilen hängen vier schwarz gekleidete Phantasiegestalten mit Sumo-Ringer-Frisuren und galoppieren mit Tempo und Witz durch diese Sprachpartitur.

Hatte es mit Proporz zu tun, dass die Kooperationsbühnen der „Langen Nacht“ aus Zürich und Graz stammen? Neben einem dramaturgisch-überkonstruiertem Stück und einem sprachspielerischen steht schließlich der „realistische“ Text von Svealena Kutschke mit dem Titel Zu unseren Füßen, das Gold, aus dem Boden verschwunden. Ein Hinterhof in Pankow, fünf Personen, die um einen Stummen kreisen: Nabil, der syrische Geflüchtete, hat keine Stimme und fungiert dennoch als Katalysator des Protagonisten-Quintetts. Die Psychiatrie-Mitarbeiterin Darija mit großer Lust an Gewalt; sie lebt mit Kim zusammen, die in einem Späti arbeitet und nur Anzüge trägt; Ahmed wiederum ist Anwalt und trauert seiner Beziehung mit Sarah nach, die in Depressionen versackt ist und mit Nabil ins Bett geht. Fehlt noch der selbstkritische Alkoholiker Holm, Ex-Polizist, dessen Trauma dazu führen wird, dass er Nabil zusammenschlägt.

In wechselnden Monologen werden die Figuren von ihren Erinnerungen überschwemmt und offenbaren sich. Kutschkes Personal wirkt mitunter etwas zu gewollt beschädigt, nichtsdestotrotz lotet ihr Text tief in die Figuren und was die Autorin dort findet, ist von einer sprachlichen Brillanz, die die beiden anderen Texte weit überragt. Und Regisseur András Dömtör findet mit dem Stuhlkreis einer Selbsthilfe-Gruppe (Bühne: Sigi Colpe), aus dem die Figuren heraustreten, eine beeindruckende Raumlösung für die monologische Struktur des Textes.

Trotz dieser durchaus befriedigenden Ausbeute am Ende dieser „Langen Nacht“ bleibt die Frage, inwieweit die Vermeidung von Dialog und Handlung sowie die schier endlose Selbstbespiegelung der Figuren mehr Produkt des ästhetischen Vermögens der Autorinnen ist oder tatsächlich gesellschaftliche Wirklichkeit spiegelt – dann allerdings bestünde zu Hoffnung wirklich kein Anlass mehr.

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