Finde den Schatz

Literatur Rebecca Makkai erzählt von einem vergessenen Maler und großer Liebe. Die Rahmenhandlung stört dabei eher
Ausgabe 21/2020
Was wir erlebten, war zum Weinen komisch, zum Lachen traurig
Was wir erlebten, war zum Weinen komisch, zum Lachen traurig

Foto: Jack Vincent Picone/Fairfax Media/Getty Images

In diesem Roman verbirgt sich ein Schatz, den seine Autorin nicht gehoben hat. Der Schatz wartet darauf, entdeckt und eines Tages verfilmt zu werden. Er erzählt von der Liebe einer amerikanischen Kunststudentin zu einem vergessenen Maler aus der Pariser Schule, ein Freund Modiglianis und Soutines. Sie lernen sich vor dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs kennen. Die Maler lieben Nora, diese verrückte Amerikanerin, die ihnen Modell sitzt und eigene Ambitionen hat, man könnte auch sagen: Sie hatte ein drittes Auge, aus dem ihre Liebe zu Ranko Novak blüht, der ihr so bald wieder genommen wird, aus dem Krieg verstört zurückkehrt und sich bald darauf umbringt. Nora träumt davon, dass die ihr überlassenen Bilder eines Tages an der Seite von Modiglianis Skizzen und Soutines Porträts ausgestellt werden, sodass ihre Liebesgeschichte unsterblich werde.

Der Stoff erinnert an zwei Filme: Der englische Patient und Himmel über der Wüste. Er lebt von Rückblenden aus der Erinnerung der nun über 90-jährigen Nora, die die ihr überlassenen Skizzen der berühmten Maler als Vorlass einer Universitätsgalerie in Chicago übereignen will. Der schwule Kurator Yale kümmert sich um die Sache, eine komplizierte Geschichte, weil die nächsten Angehörigen Noras die Bilder lieber versilbern würden und die Universitätsbürokratie dummerweise einen direkten Draht zu den neidischen Angehörigen Noras hat. Das Timing hat Qualitäten. Die frühen Jahre der Liebe in Paris, der junge schwule Kunstgalerist, dem Nora von ihrer Liebe erzählt und der selbst von Liebeskummer zerrissen ist, das hätte Chancen für einen epischen Kinofilm, in dem neben den Bildern vom Anfang des letzten Jahrhunderts das Aids-Drama in Zeitlupe sich entfaltet.

Den Auftakt gibt eine Trauerfeier für den jungen Comiczeichner Nico, ein Neffe Noras, einer jener Männer, die die ganze Welt verzaubern konnten, flamboyant, lebenslustig und mit so vielen Gesichtern, dass er sich jeden Tag für ein neues entscheiden konnte. So stelle ich ihn mir vor, weil ich in den frühen 80er Jahren in Berlin ähnliche Talente auf- und verblühen sah: Jürgen Baldiga, Eberhard Bechtle und Ronald Schernikau, um nur drei zu nennen.

Sollen sie doch krepieren

Die Trauerfeier für Nico lese ich wie die Choreografie einer tanzenden Kamerafahrt durch die Trauergemeinde. Aber leider fehlen der Autorin die dafür erforderlichen Gaben. Sie erzählt die Geschichte wie ein namenloser Archivgehilfe, der aus den großen Kisten voller Requisiten verständnislos Kram holt und mit der dürren Aufzählung so tut, als ließe sich damit eine Geschichte erzählen.

Was für eine Geschichte sich daraus erzählen ließe, das ist eine andere Geschichte. Nehmen wir nur die Parallele zu unserer heutigen Pandemie. US-Präsident Donald Trump scheint inzwischen verstanden zu haben, dass ihr bevorzugt solche Leute zum Opfer fallen, die ihn nie wählen würden. Sollen sie doch krepieren! Die kalte Parallele zu Ronald und Nancy Reagan liegt auf der Hand. Der Zorn der frühen Aktivisten darüber glüht noch heute. Aber Rebecca Makkai bleibt nur den Requisiten treu, um die sie mit viel Lokalkolorit aus Chicago und Paris ihre dürre Geschichte strickt. Ihre Übersetzerin muss erheblich gelitten haben, um dem farblosen Erzählen den entsprechenden indifferenten deutschen Ton zu verleihen. Der Roman stand auf der Shortlist des Pulitzerpreises und des National Book Award, aber das geschah wohl eher aus Respekt vor dem Stoff als seiner Gestaltung.

Wie fremd die Autorin der Welt ist, die sie in ein Schattenspiel verwandelt, kommt in einer Szene zum Ausdruck, in der sie ihren Figuren moralsaure Sätze anpappt, die nichts von der Trauer, der Angst und der Wut erzählen, die uns damals so wehtaten. Es wirkt so, als hätte Makkai aus einem Forschungsjournal Fallgeschichten mit Vornamen versehen.

Die Betroffenen, so nannte man sie damals, lebten und kämpften auf verlorenem Posten, sahen das Grauen in Zeitlupe näher kommen. Wer wollte ihnen verübeln, dass sie sich nicht testen lassen wollten? Was ist von einer Diagnose zu halten, die keine Therapie in Aussicht stellen kann, ohne zu lügen? Die Autorin, 1978 geboren, wurde in dem Jahr, in dem ihr Roman an Fahrt aufnimmt, sieben Jahre alt. Das ist kein Vorwurf, aber erklärt die Distanz zum Geschehen und die Chutzpe, mangels eigener Erfahrung das versierte Besteck uninspirierten Storytellings über die Requisitenkisten zu stülpen. Stimmungsbild kann man das nur mit übertriebenem Wohlwollen nennen. Die Liebe zwischen ihren Protagonisten klingt wie nach einer Sammlung von Fallgeschichten aus dem Gesundheitsamt Kreuzberg. Die Tragödien und Komödien, die wir damals erlebten, sahen anders aus, hörten sich anders an, waren komisch zum Weinen und traurig zum Lachen. In den Lonely-Hearts-Anzeigen der Stadtmagazine gab es Inserate, in denen Männer nach Sex mit HIV-Positiven suchten, um sich zu infizieren, eine Schattenseite des Sozialstaats.

Dazwischen platzen dann Sätze wie aus dem Kaffeekränzchen von Konsulin Weyer: „Wartet man nicht eigentlich permanent darauf, dass die Welt aus den Fugen gerät?“ Wären die USA aus dem Pazifik und dem Atlantik von Tsunamis „überrollt worden“, wäre der Mittlere Westen verschont geblieben. Kein Bild in diesem Roman wirkt stimmig, ein großer Schinken bürokratischen Kitschs.

Aber dann erinnert sich die greise Nora, verwandelt sich in die junge lebenslustige Kunststudentin in den frühen Jahren des letzten Jahrhunderts in Paris, an der Seite Modiglianis, Soutines und Brankos. Der ihr ergebene Kunsthistoriker Yale führt uns aus dem Zwielicht der eigenen Leidensgeschichte zurück in die Zeit vor dem Großen Krieg, da erklingt aus dem Roman eine glaubhafte Erzählerstimme und eine Liebesgeschichte, die danach flehen, verfilmt zu werden. Der Rest ist bloß Kulisse.

Info

Die Optimisten Rebecca Makkai Bettina Abarbanell (Übers.), Eisele Verlag München 2020, 624 S., 24 €

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