Sechs Wochen nach der bedingungslosen Kapitulation des „Dritten Reichs“ feierte sie ihren 19. Geburtstag. Fünf Jahre später schloss sie ihr Studium mit einer Dissertation über Martin Heidegger ab. Ihr erster Lyrik-Band Gestundete Zeit wurde 1953 mit dem Preis der Gruppe 47 ausgezeichnet. Ihr zweiter Lyrik-Band Anrufung des Großen Bären erschien 1956, da wurde sie 30 Jahre alt. Seit 1977, heuer im 41. Jahr, wird in Klagenfurt der Ingeborg-Bachmann-Preis verliehen, ein Preis für literarische Prosa. Seither verwandelt sich die Stadt, anfangs für sieben, später nur noch für fünf Sommertage, meist in brütender Hitze und von Gewittern überschattet, in einen Literaturzirkus mit großem Tross aus Lektoren, Kritikern, Agenten, Berichterstattern, als dessen Wurmfortsatz in diesem Jahr fünfzehn Autorinnen und Autoren aus einem noch nicht veröffentlichten Werk etwa eine halbe Stunde vorlesen.
1977 urteilten 13 Kritiker, darunter mit Gertrud Fussenegger eine einzige Frau, und mit Hans Weigel ein zeitweiliger Liebhaber Bachmanns, über die Texte von 23 Autoren, darunter sechs Frauen. Die überhitzten Fernsehübertragungen aus dem ORF-Studio haben selbst Geschichte geschrieben. Seit 1997 ist das Setting eingedampft. Nur mehr sieben Kritiker urteilen über die Werke von bis zu 15 Autoren. Die Texte werden den Mitgliedern der Jury vor dem Bewerb zugänglich gemacht. Damit verschwand ein Element aus der Dramaturgie, das gewiss die größte Zumutung für alle Beteiligten war: das Zustandekommen von Kritik als rhetorischer Echtzeitwettbewerb. Wer verfügt über das schärfste Besteck, ist in der Lage, aus der Hüfte heraus zu urteilen, Einwänden standzuhalten, die eigenen Schützlinge vor Schaden zu bewahren. Oder auch nicht.
Wo kommt Ihr Material her?
Was hat dieser circus maximus mit dem Werk Ingeborg Bachmanns zu tun? Wie weit entfernt es sich von dem Betrieb, der in ihrem Namen veranstaltet wird? Wie formt sich in einer Welt vernetzter Dependenzen eine unabhängige Stimme? Wie klingt Eigensinn, in den nicht ein ganzer Chor abgelegter Müdigkeiten eingeschrieben ist? Wie notwendig wirken die Texte von heute? Geben sie Auskunft darüber, was aussprechbar ist, was es heißt, in der Welt zu sein?
Wie formuliert sich Zweifel am Wissen, ohne im Obskuren zu versanden? Wissen es die Autoren, die in Klagenfurt eingeladen sind? Fragen wir sie doch: Wie markieren Sie Grenzen des Sagbaren? Wie gelangen Sie zu einer Idee von Wahrheit? Ist Wahrheit überhaupt noch Thema, wenn ja, warum, wenn nein, warum nicht? Wie verschieben Sie Grenzen des Zumutbaren? Wie verwandeln Sie Ihr Material? Wo kommt es her? Welches Schweigen, welches Nichtsprechenkönnen schwingt in Ihren Texten mit? Vertrauen Sie Ihrer Sprache? Warum weichen Sie dieser Frage aus? Finden Sie zu einem Ton eigener Härte? Was formt den Ton? Wie hart darf es sein? Ein bisschen härter vielleicht? Was wissen Sie von Tod und Vernichtung, was von der Sehnsucht danach, spurlos zu verschwinden?
Wie unbehaust sind Ihre Texte? Von wo nehmen Sie Anlauf, von wo gehen Sie fort? Wohin? Was lassen Sie hinter sich? Wie zeigen Sie sich offen für Unbekanntes? Was wissen Sie von den letzten, was von nächsten Katastrophen? Was macht Sie so zart? Wissen Sie, was es heißt, befristet zu sein? Können Sie Böhmen als Wüste denken? Was bringt Sie auf die Idee, dass Rettung möglich sei? Wie vergewissern Sie sich, dass Sie nicht in einem Tunnel stecken? Gibt es darin noch Licht? Warum? Was fügen Sie den Landkarten dieser Welt hinzu, was nehmen Sie endlich weg? Glauben Sie an Globuli? Sind Sie immer sicher gelandet? Können Sie sich das auch als Problem vorstellen? Was sagt Ihre Vollkasko dazu? Könnten Sie mit Donald Trump Alban Berg singen? Was macht Sie staunen? Warum? Worüber wollen Sie nicht reden? Machen Sie Ungesagtes hörbar? Verfluchen Sie, wenigstens manchmal, Ihren Verstand? Kann es auch vier Ampeln von der Commerzbank entfernt sein? Oder müssen es sechs sein?
Warum sind die Kamele noch da? Ertragen Sie Tiere nur als Metapher? Wie viel Halbleiter tragen Sie mit sich herum? Schon welche implantiert oder warten Sie noch drauf? Was wissen Sie von der Zeit, die Sie noch haben? Würden Sie die Uhr gerne rückwärts ablaufen lassen? Lieber ins Glück oder ins Unglück? Na? Wissen Sie auch wirklich immer, wo der nächste Ausgang ist? Gibt es den tatsächlich, haben Sie das überprüft? Was sagt Ihre Vollkasko dazu? Wie nehmen Sie Einfluss auf Ihre Träume? Können Sie sie anhalten? Auch zurückspulen? Hält der Boden, von dem Ihre Texte Ausgang nehmen? Was macht Sie darin so sicher? Was, wenn Ihr Buch, das einzige Exemplar, in der Bibliothek der Menschheit falsch abgelegt würde? Sterben Sie lieber den Kältetod oder den Hitzetod? Na? Was sagt Ihre Vollkasko dazu?
Können Sie nur ohne Zorn schreiben? Denken Sie manchmal daran, sich nur teilkasko zu versichern? Wie unterscheiden Sie das Leibhaftige vom Liebhaftigen? Funkt Ihnen der Leibhaftige wenigstens manchmal dazwischen? Hätten Sie das gern, auch wenn Sie nicht wissen, was es mit Ihnen macht? Hätten Sie gerne Ihre Reset-Taste wieder zurück? Soll wirklich alles zurück auf null? Wie gut verstehen Sie sich mit dem Nullpunkt?
Dürfen Ihre Texte hinken?
Welche Zeiten lassen sich in Ihrem Werk unterscheiden? Gibt es ein Futur zwo? Wie denken Sie über Kausalität? Lieber nicht oder nur ganz heimlich, wenn keiner Ihnen dabei zuschaut? Haben Sie auch schon einmal alles in Modalsätze verwandelt? Können Sie zu Konjunktionen beten wie die Mayröcker? Welche Konjunktion ist Ihnen die liebste, welche alles andere als das? Träumen Sie wenigstens manchmal von der großen Einfachheit? Wachen Sie davon auf oder eher nicht? Stehen Sie mit dem Metronom auf dem Kriegsfuß oder haben Sie eine Vorliebe für Rhythmen, die ohne Metronom auskommen müssen? Dürfen Ihre Texte hinken? Was hielten Sie davon, wenn Ihre Texte auf einer Flugverbotsliste landeten? Würden Sie sich bei Air Austria beschweren?
Herrn Kurz konsultieren? Den Sicherheitsrat anrufen? Wie möbliert darf die Hölle bei Ihnen sein? Wenn Ihnen Ihre Texte leicht von der Hand gehen, macht Sie das glücklich oder bestürzt es Sie? Wäre es besser, Sie verdankten sie grauenerregenden Kraftakten? Wie viele davon trauen Sie sich zu? Was sagt Ihre Teilkasko? Was sagt Ihnen das Wort Honigraub? Pu der Bär von Harry Rowohlt? Dürfen Ihre Texte „engagiert“ sein? Oder lieber nicht? Arbeiten Sie beim Schreiben mit Zerstreuungslinsen? Hätten Sie gerne einen kleinen Astigmatismus? Wie ist es um Ihre Stimme bestellt? Wie viele Stimmen haben Sie? Sind es für Sie eher zu viele oder zu wenige, mal bitte ehrlich?
Denken Sie für Ihre Texte die Bühne mit? Welchen Ton finden Sie für das Beiseitesprechen? Und nun alles von vorn: Denken Sie sich und Ihre Leser bitte als Taubblinde: Wie fühlt sich Ihr Schreiben gelormt an? Merken Sie etwas? Müssten Ihre Texte wie von Erinnyen in die Haut gestriemt werden? Oder nur mit der Puderquaste? Luderquaste? Was? Wie viel Stummheit trauen Sie sich zu? Waren Sie auch schon im Niemandsland? Wie sind Sie dort hingekommen? Wie wieder weg? Wollen wir das fortsetzen? Lieben Sie Fortsetzungen? Wie viel Serien haben Sie sich einverleibt? Können Sie sich Ihr Werk als Serie vorstellen oder lieber nur als Episode? Wie kurieren Sie Fernweh?
Oder haben Sie lieber Nahweh? Wenn Ihre Texte in einem weltabgeschiedenen Tal im Himalaya entstanden wären, wer wäre Ihre liebste Übersetzerin? Wie gelangen Ihre Texte aus diesem Tal in die ferne Welt? Denken Sie die Ferne mit, wenn Sie schreiben? Warum halten Sie den Literaturbetrieb für eine Todesart? Wenn Max Frisch noch lebte, würden Sie mit ihm schlafen wollen? Oder nicht einmal davon träumen? Kennen Sie denn überhaupt Monika Rincks Begriffsstudio? Wo holen Sie Ihre neuen Worte her? Haben Sie ein Zwölferabo? Wie viele Wolken haben es Ihnen angetan? Träumen Sie wenigstens manchmal wie Gregor Samsa? Als was wachen Sie auf?
Ist Ihnen Land lieber, wenn es in Sicht gelangt oder lieber, wenn es endlich verschwindet? Welche Berge haben Sie erklommen? Lieben Sie mehr den Blick von unten nach oben oder den von oben nach unten? Was sagt Ihre Vollkasko dazu? Hilft Orpheus Ihnen dabei, das Ungesagte aus der Unterwelt zu holen? Wie unterscheiden Sie zwischen Sommer- und Wintergeld? Gibt es in Ihrem Optionsmenü Aussicht auf härtere Tage?
Können Sie Ihre literarische Arbeit mit bäuerlichen Metaphern beschreiben? Wo hapert’s, bei der Saat oder bei der Ernte, beim Düngen vielleicht? Welche Texte rechnen Sie zu den Eintagsfliegen? Schlagen Sie die tot oder denken Sie sich nichts dabei, weil sie eh von allein dahingehen?
Gegen wen führen Sie Krieg? Was für eine Idee haben Sie von Ihren Handlangern? Wenn von Brücken nur monumentale Pfeiler übrig blieben, ließen die sich anbeten? Scheuen Sie lieber den Tag oder die Nacht? Welche Farbe hat das Fieber? Wie viel Idiotie halten Sie für zumutbar? An welchen Pfahl sehen Sie sich gekettet? Oder sähen Sie da lieber andere? Wen? Warum? Haben Sie das Fürchten gelernt? Wen würden Sie gern Fallada nennen? Warum? Wie ziehen Sie Grenzen? Wo? Wer ist auf der anderen Seite? Was sagt Ihre Teilkasko dazu? Haben Sie Ihre Nächte lieber zottig oder zotig? Nimmt Ihr Leben einen Lauf oder kommt es eher einem Stillstand gleich? Was tun Sie dafür, was dagegen? Haben Sie noch Fragen?
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