Volkers Stimme

Rhetorik „Rechts“ zu sein ist keine Krankheit, sondern eine bestimmte Art des Redens. Ein Buch gibt nun einen Leitfaden zur Gegenrede
Ausgabe 40/2017

Am Nullpunkt läuft alles darauf hinaus, die richtigen Worte dafür zu finden, warum der Start verschoben worden ist, ob das Ziel in der Ferne verschwindet und wie man sich ohne Gesichtsverlust aus dem Staub macht. Am 24. September 2017 hätte die Bundeskanzlerin auch sagen können, sie habe – von Gottes Gnaden – eine große Niederlage errungen.

Die Sätze spreizen sich. Der Sinn wird so lange gedehnt, bis er vor den Augen der Öffentlichkeit zerreißt. Läufer kennen, vom augenblicklichen Schmerz abgesehen, dieses ploppende Geräusch, wenn eine Sehne reißt. Wenn das Sehnen nach Sinn reißt, wird die Stille ohrenbetäubend. An diesem Punkt des Sinnverlustes in der politischen Sprache befinden wir uns heute.

Nun zieht eine Fraktion in den Bundestag ein, die ihren Erfolg einer beispiellosen Illusionskunst verdankt. Sie hat ihren Wählern erfolgreich weisgemacht, dass sie enttäuscht worden seien. Wie es dazu kommen konnte, welche Biegsamkeit die Sprache und der politische Sinn zeigen, wenn sich Bedenkenlose dafür finden, Unsinn in Sinn zu verwandeln, davon handelt das Buch Mit Rechten reden. Ein Leitfaden.

In der Idee eines Leitfadens winkt die Erinnerung an das mythische Monster, den Minotaurus, und das Labyrinth des Dädalus, in dem es hauste. Ariadnes Faden half ihrem Geliebten Theseus, wieder herauszufinden. In der Textsorte des Leitfadens winkt aus prähistorischer Ferne die Erinnerung an den Schrecken vor dem Monster. Ein Leitfaden hilft, dem Schrecken standzuhalten und am Ende sogar durch ihn durch zu gehen, was nichts anderes heißt, als aus der Gefahr geläutert herauszufinden: ein Experiment. Darum geht es in dem Buch, das der Historiker und Romancier Per Leo, der Jurist Maximilian Steinbeis und der Philosoph Daniel-Pascal Zorn verfasst haben. Die Kapitel des Buches sind selbst so etwas wie ein Labyrinth, weswegen es mit einem Leitfaden zum Leitfaden beginnt. Hier ein Auszug

1. Unterscheide Person und Rede.

2. Lass dich nicht provozieren.

3. Misstraue deinen moralischen Reflexen.

4. Du sollst nicht berechenbar sein.

5. Der andere könnte Recht haben.

6. Rechthaben ist keine Tugend.

7. Suche die Nähe von Menschen, die anders denken als du.

8. Meide Menschen, die Feinde brauchen.

9. Achte deinen Gegner.

10. Ein Streit ohne Lachen ist kein guter Streit.

11. Wenn du vom Hass nicht singen kannst, schweige.

12. Bedenke, dass Idioten oft gute Tänzer sind.

Die Ironie, mit der diese Handreichung daherkommt, ist fein gestrickt: „1788 – Leitfaden zum Leitfaden“. Befinden wir uns erneut am Vorabend einer großen Revolution? In welcher Rolle wäre das? Auf welcher Seite? Mit welchen Waffen? Was wollen wir aufhalten, was voranbringen?

Es geht um die Wiedereinsetzung der Vernunft, um den umsichtigen Gebrauch der Sprache und die Bereitschaft zu einem Sprachspiel, das aus dem Kreislauf von Provokations- und Empörungsspiralen herausführt. Dabei wird eine oft unterschätzte Tatsache erinnert: Das Volk sind wir, ein Pluraletantum, das von den vielen Individuen abstrahiert, die es ausmachen. „Ich bin Volker“ war im Jahr 1990 kein Komparativ, sondern der weise Kommentar eines Individuums auf einen historischen Augenblick, in dem sich das Volk als historische Größe wieder in Erinnerung brachte.

Man könnte das Buch als zivilgesellschaftliche Entmythologisierung lesen, als Selbstermächtigung zum Gespräch. Kein Wunder, dass es mit einigen Gesprächsfetzen beginnt, die als eigene Herkunftsgeschichte gelesen werden können. Das führt zurück zum Autor Wolfgang Herrndorf und zu einigen durchaus intelligenten Rechten, die das linke Schrifttum (sorry!) besser kennen als viele Linke und mit ihm daher anders spielen können, als ginge es im politischen Spiel wie bei einem Monopolyspiel um das Austarieren zwischen Ereignis- und Gemeinschaftskarten.

Nun aber ist die Landschaft des Spiels, zu der das Buch einlädt, nicht die plane Fläche eines Spielbretts, sondern die Gesellschaft selbst, in der wir uns mehr oder weniger bewusst bewegen. Aber, und darauf kommt es an: Es ist die Einladung zu einem Spiel. Das Buch basiert auf der freundlichen Anthropologie des Homo ludens, der sich auf Voraussetzungen besinnt, die ihm das Spielen ermöglichen. Die Ansprache der Autoren wendet sich auch an „liebe Schneeflocken“ und „liebe Stachelschweine“; darin spiegelt sich die Idee, dass „rechts“ nicht etwas Substanzialistisches sei, sondern eine bestimmte Art des Redens. Mit dieser Einsicht ist der Weg freigeräumt für die spielerische Lust am offenen Streit. Die Autoren finden für ihre Einladung einen Ton, der mit mild dosierter Spottlust Freude bereitet. Keine schlechte Voraussetzung dafür, heiter gestimmt die Einsicht zuzulassen, dass wir ein Problem haben. Wer ein Problem lösen will, ist gut beraten, sich nicht in das Problem zu verbeißen, sondern es als Ausgangspunkt für ein Sprachspiel zu verstehen.

Totentanz der Politdebatten

Das rechte Reden ist immer polemisch, was daran erinnert, dass es sich bei Polemos um einen Dämonen handelte, die göttliche Verkörperung des Krieges. Rechtes Reden denkt in dieser Logik seinen Gegner mit, als Gestalt einer Bedrohung. Ihren Gegnern unterschieben die Rechten eine Manipulation. Wer die Gleichheit aller Menschen zur Grundlage des Zusammenlebens mache, verleugne die natürlichen Unterschiede, um sich selbst im Namen der Schwachen an die Stelle der Starken zu setzen.

Sie positionieren sich als Opfer dieser Manipulation und bewaffnen ihre Rede als Gegenwehr. Darauf mit der Haltung eines Erziehungsberechtigten besorgt das Haupt zu schütteln, vollzieht eine Operation, die in mimetischer Wiederholung des rechten Redens es vergeblich außer Kraft zu setzen sucht. So spielt man deren Spiel.

Der intellektuelle Abgesang der Linken begann, als sie nach dem großen Krieg begann, selbst in einem Freund-Feind-Schema zu denken. Nun aber, da das Spielfeld endlich freigeräumt zu sein scheint für die Rückbesinnung auf die Kraft des ewigen Gesprächs, begeben sich die Autoren auf die Reise ins Herz der laokoonischen Verstrickung von Linken und Rechten. Dieses Mittelstück des Buches ist atemberaubend. Es verwandelt sich in eine Cinemascope-Leinwand, den Leser in einen delirierenden Typhuskranken unter dem Himmel der Wüste. Um überhaupt erst das Spiel des Redens ernsthaft beginnen zu können, bleibt uns nicht erspart, durch diese Hölle der wechselseitigen Selbsterkenntnis zu wandern. Das ist großes Theater, vielleicht auch Stoff für einen Film, den Christoph Schlingensief vom Olymp herab realisieren könnte, das Wiedereintreten situationistischen Denkens in die verarmte und ausgedörrte Arena des politischen Redens unserer Zeit.

Wer in der beginnenden Legislaturperiode sich auf dieses Spiel einließe und unter der Regie des nächsten Bundestagspräsidenten Debatten führen wollte, die den prästabilierten Totentanz des Behauptungsredens endlich hinter sich ließen und dem politischen Prozess die Würde des Enttäuschens zurückgäben, kommt nicht darum herum, besonders dieses Kapitel sehr aufmerksam zu lesen. Alles hat seine Zeit. Dieses Buch gilt unserer.

Info

Mit Rechten reden. Ein Leitfaden Per Leo, Maximilian Steinbeis, Daniel-Pascal Zorn, Klett Cotta 2017, 183 S., 14 €

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