Merkt Ihr’s noch? – Gedanken zum Tag

Debatte Merkt Ihr’s noch? Diese Frage kam in mir auf angesichts der zum Teil eigenartigen Debatte über Links und Rechts, die derzeit auch auf dieser Plattform läuft.

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

So zu fragen ist sicher etwas zugespitzt, das aber scheint zugleich durchaus angebracht. Ausgelöst durch die Ereignisse in der Ukraine und drum herum werden plötzlich jene, die die westliche imperialistische Politik eben als imperialistisch bezeichnen und kritisieren, als Rechte beschimpft oder mindestens mit diesen gleichgesetzt. Und das unter anderem, weil einige im Internet und mit Hilfe anderer Medien sowie auf öffentlichen Plätzen die linke Kritik aufgreifen und für ihre neurechte Demagogie missbrauchen. Diese gibt sich antikapitalistisch und ist doch nahe bei völkischem und faschistischem Denken. Das zeigt der Blick darauf, was an der westlichen Politik oder genauer der Politik der führenden kapitalistischen Staaten kritisiert wird. Da geht es nicht um die tatsächlichen grundlegenden Ursachen der kritisierten Erscheinungen, sondern nur um Letztere selber, um das, was an der Oberfläche zu sehen ist. Daran zeigen sich die Wurzeln des neurechten Denkens und Redens, daran ist es zu erkennen

Nun geschieht es aber, dass die berechtigte Kritik an den neurechten Demagogen genutzt wird, um damit auch jene anzugreifen, welche die westliche Politik im Fall der Ukraine aus einer Position kritisieren, die tatsächlich antikapitalistisch und damit links ist. Weil sie nach Ursachen, Zusammenhängen und Hintergründen fragt und dabei auf Grundmechanismen des Kapitalismus wie Profit, Konkurrenz und Krieg aufmerksam macht. Das ist der Unterschied zu den neurechten Demagogen, wie auch immer sie heißen, wie auch immer sie sich tarnen. Diese begründen ihre Kritik an der westlichen Politik allein mit dem Hinweis auf die Herrschaft einzelner Gruppen. Das kommt oftmals völkisch daher und nutzt Stereotype, die schon von den Faschisten verwendet wurden und von ihren Wiedergängern propagiert werden, bis hin zum Antisemitismus. So werden dabei auch angebliche traditionelle Werte wie Familie und Volk gepriesen, die in Gefahr seien und verteidigt werden müssten. Das zeigt, wie wenig sie wirklich systemkritisch sind: Sie predigen damit Grundelemente der kapitalistischen Gesellschaftsordnung, die tatsächlich derzeit in Auflösung zu sein scheinen angesichts sozialer Entwicklungen. Aber das geschieht nicht durch das Wirken irgendwelcher böser Mächte. Das ist Folge des globalisierten Kapitalismus, der seine eigenen bisher notwendigen Grundlagen beiseite schiebt, weil sie den Verwertungsmechanismus inzwischen nur noch stören. Die als Bremse erscheinen wie alles Soziale, wenn es darum geht, die Profitrate nicht nur zu sichern, sondern zu steigern. Was er einst brauchte, um die Menschen in den kapitalistischen (maschinellen) Verwertungsprozess hineinzuzwängen, stört nun, da Maschinen mehr produzieren als Menschen. Diese werden nur noch als frei verfügbare, bindungslose Individuen gebraucht, dort, wo noch menschliche Arbeitskraft nötig ist, zu möglichst geringen Kosten. Dieses System funktioniert und wirkt dabei natürlich nicht ohne das Handeln jener Personen unterschiedlicher Herkunft, die von ihm profitieren, es stützen und sichern. Die natürlich auf die Nationen und Völker pfeifen, wenn sie unter sich sind, die sie aber immer dann riefen und rufen, wenn es daran ging und geht, den Profit durch Krieg zu sichern und zu steigern.

Das lässt sich so zusammenfassen: Jene, die als links zu bezeichnen sind, kritisieren Struktur und Mechanismen, Ursachen und Erscheinungen der kapitalistischen Gesellschaft und die darauf gegründete Politik der in ihr Herrschenden. Jene, die als rechts zu bezeichnen sind, ob alt oder neu, faschistisch oder nationalistisch, bleiben an der Oberfläche und kritisieren nur die Erscheinungen. Das haben sie mit jenen gemeinsam, die einst in einer der zahlreichen als „links“ etikettierten Gruppen in der Bundesrepublik zu finden waren und heute auf der anderen Seite zu finden sind, ob bei den Mächtigen oder den Neurechten und Rechtsextremen. Da gibt es eine ganze Reihe von Beispielen, deren vermeintliches Linkssein sich schon damals auf die Oberfläche beschränkte. Das machte ihnen den Wechsel auch leichter.

Diese Unterschiede werden nicht nur von den neurechten Demagogen mit Absicht verwischt, indem sie antikapitalistische Positionen aufgreifen. Das ist ein altes Mittel faschistischer Bewegungen, mit allen unheilvollen Folgen. Das bringt Zulauf und vermeintliche Unterstützung und zeigt angeblich, dass doch viele so denken. Aber auch jene, die schon immer ein Problem mit „Linken“ haben, verwischen diese Unterschiede, absichtsvoll oder aus Ungenauigkeit. Sie vermischen die berechtigte Kritik an den neurechten Demagogen mit ihrer Abneigung gegen jene, die die kapitalistische Gesellschaft nicht für „die schlechteste aller Staatsformen, ausgenommen alle anderen“ (Churchill) halten. Die den Kapitalismus nicht als die Lösung, sondern als das Problem erkennen, ihn deshalb kritisieren und nach Alternativen suchen, ob als Sozialist, Kommunist, Anarchist, egal ob gläubig oder ungläubig, oder einfach alternativ im positiven, humanistischen Sinn. Sicher hat dieses Vermischen etwas mit den Nachwirkungen des Antikommunismus in der Bundesrepublik bis 1989 zu tun. Der Gegner ist weg, aber der Phantomschmerz lässt sie nicht los.

Diese Neo- Antikommunisten können die alten Gräben des Kalten Krieges bis heute nicht verlassen, weil sie darin Orientierung fanden und finden. Sie merken dabei nicht, wie sie selbst nur an der Oberfläche bleiben und zugleich den neurechten Propagandisten die Munition liefern, um die Linken anzugreifen. Sie merken ebenso nicht, wie sie dabei mit jenen gemeinsame Sache machen, vor denen sie zu warnen glauben, auch noch versehen mit guten Ratschlägen, was tatsächliche linke antikapitalistische Kritik zu tun und zu lassen hat. Sie bemerken nicht, wie sie auf diese Weise gerade jenen Tür und Tor öffnen, die sie glauben zu kritisieren.

Das wird gleichzeitig verbunden mit Kritik an dieser Plattform, deren Etikett „Community“ vielleicht nicht ganz passend ist und die so aus meiner Sicht immer wieder falsch verstanden wird. Community heißt bekanntermaßen Gemeinschaft und diese setzt gemeinsames Denken in mehr oder minder wichtigen Fragen voraus. Im konkreten Fall hieße das auch eine grundlegende gemeinsame Sicht auf die Gesellschaft, ihre Probleme und Ursachen sowie auf die möglichen Lösungen und Alternativen. Aber ich denke wie andere auch, dass damit diese Plattform eher überfordert wird und sie dem mit ihrem offenen Charakter nicht gerecht werden kann, jedenfalls bisher. Ihre Offenheit macht gerade ihren Reiz aus, ist Grundlage für die Vielfalt der Texte. Dazu zählt gleichzeitig so etwas wie ein ungeschriebener demokratischer Grundkonsens, der sich rechtsextremem, nationalistischem und faschistischem Gedankengut verweigert. Ich bin mir sicher, dass jene, die diese Plattform ermöglichen und betreuen, darauf achten, dass dieser Grundkonsens nicht verletzt wird. Das gebietet schon das „Hausrecht“ und die anderen rechtlichen Grundlagen, welche die Meinungsfreiheit absichern, aber auch notwendiger Weise einschränken, eben um diskriminierendes Gedankengut, bis hin zu faschistischem, keine Bühne zu bieten. Insofern dürften „kluge Ratschläge“ an die Freitag-Redaktion und Jakob Augstein, was für diese Plattform gut und richtig sei, unangebracht sein.

Wer Linken tatsächlich gemeinsame Sache mit neuen und alten rechten Demagogen unterstellt, hat entweder nichts von linkem Denken verstanden. Oder er macht das eben, weil ihn der antikommunistische Phantomschmerz plagt. Ob beabsichtigt oder nicht – er findet sich auf diese Weise selbst auf der Seite der alten und neuen Rechten wieder. Falls er das nicht merkt, wäre das vielleicht noch zu entschuldigen – es würde es aber nicht besser machen. Das freut nicht nur die neurechten Demagogen und ihre Hintermänner, die neben ungerechtfertigter Aufmerksamkeit Unterstützung bei ihrem Kampf gegen die Linken erhalten. Das freut vor allem die Mächtigen und Herrschenden, für die schon Zweifel und Kritik an ihrer Herrschaft ein Gräuel sind, wenn sie diese nicht kaufen können. Und die angesichts solcher Auseinandersetzungen wie auf dieser Plattform und anderswo weiterhin nicht befürchten müssen, dass da wieder einmal eine Kraft entstehen könnte, die ihre Herrschaft und das darauf gegründete System tatsächlich in Frage stellen könnte.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Hans Springstein

Argumente und Fakten als Beitrag zur Aufklärung (Bild: Eine weißeTaube in Nantes)

Hans Springstein

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