Das dünne Band der Sympathie

Bühne Am Staatsschauspiel Dresden erkunden Rimini Protokoll die Lebenswelten vietnamesischer Einwanderer, die nach der Wende in den Bruderländern geblieben sind

Wirklichkeit auf der Bühne durchschaubar zu machen mit „wirklichen“ Menschen – das will die Theatergruppe Rimini Protokoll. Das aufklärerische Ziel der Theatergruppe, die sich auf dem Theatermarkt etabliert hat, lautet: Indem Individuen von ihrem Leben erzählen, werden Erfahrungen verallgemeinerbar und gesellschaftliche Strukturen deutlich. Was dabei zählt, sind sorgfältige Recherche und gutes Casting. Nur Laien aus ihrem Leben erzählen zu lassen, reicht nicht. Die Darsteller müssen nicht nur authentisch erscheinen, sondern auch bühnenwirksam sein. Das dokumentarische Konzepttheater von Rimini Protokoll inszeniert Authentizität.

Am Staatsschauspiel Dresden wurde im Rahmen von ZIPP, einem deutsch-tschechischen Kulturprojekt, das Stück Vúng biên gió‘i (Grenzgebiet) aufgeführt. Es geht um die Vietnamesen, die einst als Vertragsarbeiter in die Tschechoslowakei und die DDR kamen. Wer nach der Wende das Angebot des Staates ausschlug, mit 3.000 DM bei freiem Flug nach Vietnam zurückzukehren, der treibt heute Handel auf Märkten oder führt Gaststätten, Nagelstudios oder Reisebüros.

Auf der Bühne: Verkaufsstände mit Militärklamotten. Verkäuferinnen erzählen von ihren Berufswünschen und ihrem Leben auf Deutsch, Tschechisch und Vietnamesisch. Helgard Haug und Daniel Wetzel von Rimini Protokoll haben gut recherchiert. Das Ergebnis im Programmheft ist so umfangreich wie überzeugend. Die Probleme der Vietnamesen werden benannt: Polizeirazzien, Zigarettenmafia, Brand einer Prager Markthalle, Abschiebungen und „Fitschi“-Beschimpfungen. Doch was auf der Bühne zu sehen und zu hören ist, wirkt weich gespült: Wir schauen auf lauter sympathische Menschen und deren kleine Probleme, es geht um VEB-Arbeitszeiten und Tricks, mit denen man in den Holzkisten für die Familie in Vietnam mehr als erlaubt untergebracht hat, und um die guten Erfahrungen mit der Nachwendezeit, der Zeit des „goldenen Regens.“ Dabei werden nicht nur heimatliche (Kriegs)Lieder gesungen, sondern auch Schlager: Über Sieben Brücken musst du geh’n.

Die Abschottung in der DDR, die vielen Abtreibungen, die Gefahr, bei Unbotmäßigkeit zurückgeschickt zu werde – all das kommt zwar vor, aber es liegt unter dem Schleier von Betulichkeit. Die Älteren berichten mit Gelassenheit vom Vietnamkrieg oder von der Begegnung mit Onkel Ho. So werden ent- und wieder neu verwurzelte Menschen liebevoll bedächtig vorgeführt – die Verwandten und die vietnamesische Heimat bekommen sie als Pappfotos auf die Bühne gestellt: Diese Aufführung ist eher eine statische, leicht zerfaserte Installation oder ein Vortrag. Zeichnungen und Fotoklebe-Arbeiten werden für einen Overhead-Projektor angefertigt und geben etwa Eindruck vom riesigen Sapa-Markt in Prag. Ein ehemaliger DDR-Grenzoffizier, der die vietnamesischen Vertragsarbeiter bürokratisch in den realsozialistischen Produktionsalltag der DDR eingliederte, erinnert sich autoritär dozierend, stocksteif in Haltung und altem Denken. Das wirkt gruselig uninszeniert – insgesamt ein zäher, allzu langer Abend, der ohne theatralen Mehrwert wenig mehr erzählt als das, was aus Büchern und Zeitungen bekannt ist.


Vúng biên giói (Grenzgebiet)Staatsschauspiel Dresden

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