Nah-mittelöstlicher Frieden

Kriegermoral: Wenn die Lüge in der Moral sich des technischen Vorsprungs bemächtigt, setzt sie immer wieder das Völkerrecht matt und den Feind als würdelosen Bösewicht voraus.

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Täuschungsversuch als Leitbild

Barack Obama war gerade wieder zum Präsidenten gewählt worden, da verabschiedete sich CIA-Chef David Petraeus wegen einer außerehelichen Affäre aus dem Regierungslager. Sensationslust erblickte darin sofort ein "Sicherheitsproblem" des Westens. Immerhin hatten die beiden Männer im Drohnenkrieg am Hindukusch, an der Grenze von Afghanistan und Pakistan, erfolgreich zusammengearbeitet. Gezielte Tötungen von Taliban- und Al Kaida-Führern wurden vordergründig als militärische und moralische Erfolge verbucht. Verbindend, legitimierend sollte dabei die Überzeugung sein, dass führende Köpfe des Feindes in >Selbstverteidigung< gezielt getötet werden dürften – bedauerliche Kollateralschäden unter unschuldigen Zivilisten seien unvermeidbar. Dieser archaische Glaube täuscht zivilisatorische Vernunft vor. Er breitet sich im Medium globalisierter Konkurrenz und technologischer Entwicklungen aus.

Tücke des Waffenstillstands

Der Militärchef der Hamas im Gazastreifen, Ahmed al Dschabari, verfügte über iranische Raketen, die in Israel Angst und Schrecken verbreiten, wo sie bewohntes Gebiet treffen. Treffsicherheit und Reichweite dieser Geschosse lassen jedoch zu wünschen übrig. Er täuschte sich doppelt: In der beschränkten Wirkung "seiner Waffen", die die israelische Regierung für ihre "Politik der Stärke" zu nutzen weiß. Und er tappte in die nicht ersonnene Falle ägyptischer Bemühungen um "Waffenstillstand". So stieg er mit seinem Sohn arglos in den PKW, der eine offenbar gut einsehbare Route nimmt.

Das israelische Video vom fahrenden Auto erzählt eine kurze Geschichte, die kritisch hinterfragbar ist. Als TV-Zuschauer nehmen wir leicht auch mal daran teil wie Kinder, die Gewaltspiele konsumieren, deren Inszenierung aus pädagogischer Nachlässigkeit unentschlüsselt ist. Das lasergesteuerte Präzisionsgeschoss verfolgt den Wagen des Militärchefs und zerfetzt ihn.

In falscher Hoffnung den Feind erniedrigen

Wir sehen den Moment einer Wirklichkeit, wo inszenierte Gewalt und Selbsttäuschung sich mischen. Eine vernünftige Konfliktlösung entzieht sich dieser kranken Praxis beider Kriegsparteien; sie hätte in einem Vertrauen bildendem Diskurs eine echte Chance. Der permanente Krieg zwischen Israel und der islamistisch-arabischen Hamas in der abgeriegelten Mittelmeer-Enklave Gaza, zwischen israelischem Siedlungskolonialismus und unter das Niveau des Völkerrechts gedrückten arabischen Palästinensern im Westjordanland hindert sämtliche Beteiligten -nicht nur Israelis und Araber-, die Stimme der Vernunft zu hören und zu verstehen. So eskaliert der Konflikt mal wieder in einer neuen Runde des Abnutzungskampfes und führt blindwütig auf Kosten der Weltgemeinschaft seine ständig sich wiederholende Konjunkturbewegung durch.

Labile Waffenstillstände beruhigen diese typischen Verhältnisse, wo sich gleiche Rechte feindselig auf Kampf getrimmter Kräfte gegenüberstehen. Das ist der banale Grund, weswegen die Kriegsparteien mit falschen Hoffnungen und Kampfmitteln ihren Feind zu erniedrigen versuchen. Für den "Feind" aber gilt die Maxime, dass er überleben muss und will. Benjamin Netanjahu, der angeblich Obama nicht riechen kann, was umgekehrt genau so gelte, hat nicht nur die Kriegstrommel gegen das iranische Mullah-Regime gerührt. Er hat das Leben in Israel kurzfristig aufatmen lassen, indem er das Schwert benutzte, um im Januar gewählt zu werden.

Wenn der Starke schwächer und der Schwache stärker wird

Aber lassen wir uns nicht täuschen. Es handelt sich am östlichen Mittelmeer um ein Pulverfass. Ägypten und die Türkei wollen ihre fragilen Machtverhältnisse stabilisieren. Der Preis ihrer Modernisierung und der der Neuregulierung des syrischen Brandherds erfreut weder Israel noch all jene Mächte, die der Waffe der Argumente nicht vertrauen, weil sie ausschließlich auf das Argument der Waffen setzen.

Alle Staaten und "Privatarmeen" konkurrieren in einer Art Aufrüstungswahn um die neuesten Waffengattungen, technisches Wissen, Rohstoffe und Finanzquellen. Mit Aussicht auf Erfolg müssen sie heute, wie der "Ost-West-Konflikt" selig schon gezeigt hat, zu diesem Zweck an die Quellen des globalen Finanzmarkts und der Rohstoffmärkte angeschlossen sein. Andernfalls müssten sie mittelfristig ihren inneren Blutungen erliegen.

Diese vorherrschenden Tendenzen können sich in einer schnelllebigen Zeit rasch wandeln und umkehren, etwa bei der strukturellen Umgestaltung der gesellschaftlichen Energiebasis. Auch Militärstrategien unterliegen der Kraft der Veränderung. Werden da beispielsweise die Nato-Patriot-Raketen mit ihrer deutschen Besatzung (unter türkischem Einsatzbefehl ?) kurz vor Syrien aus Abschreckung und Erwägungen, die territoriale Integrität der Türkei zu sichern, stationiert? Oder ist Deutschland bereits Partei eines teils geheim, teils offen geführten Krieges, dem nur noch die Nahrung für einen Flächenbrand fehlt?

Wie auch immer, in beiden Fällen ist die Verfassung der Bundesrepublik Deutschland einem riskanten Prozess der Selbstbedrohung ausgeliefert. Denn es zeichnen sich heute bei den Fakten, die jeder wissen kann, nicht berechenbare Wirkungen der Gewalteskalation ab, die die Fähigkeit des inneren Krisenmanagements beeinträchtigen. Leider ist von den Parlamenten der demokratisch verfassten Staaten noch nicht einmal zu erwarten, dass sie Sand ins Getriebe der Kriegsmaschine streuen.

Die Türkei, einst zuverlässiger Verbündeter Israels, und Ägypten, diese arabische Großmacht, wollen sich von Niemandem mehr herumkommandieren lassen. Ihre internen Machtverhältnisse sind prekär. In den Mittelschichten und großen Teilen der jungen Generation rumort es. Der unproduktive Streit zwischen dem Freiheitsdrang der um ihre Zukunft bedrohten und denen, die auf eine politisierte Religion setzen, ist bereits entbrannt. Nicht nur die Waffenexporte Deutschlands, des weltweit drittgrößten Dealers, stärken gegen Israels Widerstand indirekt das Verlangen der arabisch-islamischen Welt nach Gleichberechtigung.

Mit der geheimen Waffenexportpolitik Angela Merkels, modernste Panzer an die Saudis, Ägypten, U-Boote an Israel und sogenannte Kleinwaffensysteme an alle zu liefern, die sie verlangen, praktiziert unsre Regierung eine der gefürchteten, unbeabsichtigten Nebenwirkungen, die ungefiltert von der real existierenden kapitalistischen Ordnung ausgehen. Al Kaida funktioniert auf ähnliche Weise. Denn die terroristisch motivierte Politik breitet sich gern im Medium des "Krieges gegen den Terrorismus" auf immer neuen Staatsgebieten aus. Stets "modernere Waffen" werden gegen die Produzenten und Exporteure eingesetzt und die Grenzen zu den "gefährlichsten" Waffensystemen heute beginnen zu verschwimmen und politisch Angelegenheit geheimdienstlicher Machenschaften zu werden.

Freiheitsdrang und Friedenschance im hoch riskanten Krisenkladderadatsch

Ob nun auch der Freiheitsdrang der arabischen Bevölkerung unter ihren Machthabern gefördert wird, werden wir in Ägypten bald sehen. Mursi ist gewählt und hat für seine Dienste im israelisch-arabischen Konflikt auf palästinensischem Gebiet gleich gemeint, die große Keule gegen den bürgerlichen Freiheitsdrang zu Hause schwingen zu müssen. Auf welcher Seite werden die USA und unsre Regierenden stehen? Im Zweifel auf der der islamistischen Machthaber, die sie mit modernen Waffen ausrüsten und an die Finanzmärkte anschließen?

Wir dürfen in diesem Zusammenhang voraussetzen, dass die globale Schuldenkrise auch durch die nahöstlichen Ereignisse kräftig genährt wird - und umgekehrt. Wer kennt die wirkliche Staatsverschuldung und die Gläubiger Israels? Kann es überhaupt noch wirksamen Druck auf dessen Fähigkeit geben, ständig nach eigenem Ermessen die Lebensverhältnisse im Gaza und im Westjordanland auf ein unwürdiges Niveau zu reduzieren? So haben es seine Regierenden nachvollziehbar und offen dargelegt, in deren Hand der Großteil der Lebensressourcen -finanzieller wie direkt materieller Art- der arabischen Bevölkerung liegt.

Nur im Rahmen der UNO kann den bedrückenden Herrschaftsverhältnissen am östlichen Rand des Mittelmeers auf ziviler Basis mildernd entgegengewirkt werden. Trotz und wegen des virtuellen Erfolges vor der UNO weiß Mahmud Abbas, dass er wahrscheinlich eine Zwei- Staaten-Lösung als Übergang eines geplanten Friedensprozesses in Nahost nicht mehr erleben wird. Er hat sich mit der Statusverbesserung der Araber unter israelischer Regierungsgewalt abgefunden, wartet auf einen Wandel der politischen Grundeinstellungen bei der Hamas.

Die israelische Regierung folgte bisher einem auf militärisch-technische Überlegenheit sich gründenden Irrglauben, steht ebenfalls vor der Frage, welche strategischen Veränderungen ihrer Politik sie um eines nachhaltig lebenswichtigen Friedensansatzes willen vornehmen muss. Die Mauern, Abschottungen, Repressionen verteuern sich nach dem Maß militärischer Gewalt ständig.

Es muss und kann der allseits entstandene Druck zu einer Politik der Verhandlungen und Gespräche wieder hinführen - vielleicht schon heute. Denn nur sie können positive Ansätze schaffen für ein besseres Leben auf beiden Seiten. Es ist bewiesen, dass militärische Gewalt Konflikte wirklich nicht lösen kann, wenn und solange der Wille zur Anerkennung gleicher Existenzrechte und zum Kompromiss nicht entwickelt worden ist. Wir stehen an der Schwelle dieser wichtigen politischen Einsicht und beobachten, welche praktischen Schritte in welche Richtung getan werden.

Wer jedoch kann schon voraussagen, wer wann mit sogenannten Präzisionswaffen wen gezielt treffen wird? Auszuschließen ist nicht, dass Erfinder des Drohnen-Krieges auch mal seine Opfer sind! Eine solche Möglichkeit beinhaltet nicht unbedingt kultur- bzw. geschichtspessimistische Mentalitäten, sondern kann auch Lernfähigkeit verantwortungsbewusster Politik anregen und verstärken.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Ernst H. Stiebeling

Diplomsoziologe.Als Lehrer gearbeitet.Freier Publizist.Kultur-,Wissenschafts-,Politikthemen

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