Doch nicht hoffnungsschwanger ?

Kalkül - unter Drohung von rechts bei Strafe der Einschläferung Regierung bilden

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Wegen seiner Vielschichtigkeit ist der Erinnerungswert der ersten GroKo der Bundesrepublik Deutschland eine komplexe Angelegenheit, die uns aber heute in historisch veränderter Situation wieder beschäftigt. Als Hans Magnus Enzensberger Anfang der 60er Jahre des vergangenen Jahrhunderts die FAZ und die Sprache des SPIEGEL aufs Korn nahm, schien ihm ‚Journalismus als Eiertanz‘ eine angemessene Beschreibung . Er vergaß nicht, auf eine entscheidende politische Bedingung der real existierenden Presse hinzuweisen: „Unsere großen bürgerlichen Zeitungen sind tot“. Und: „Die Herrschaft Hitlers hat der deutschen Presse das Genick gebrochen“. Noch war der Koalitionsregierung zwischen Union und FDP unter Konrad Adenauer nicht anzusehen, dass ihr wenige Jahre später eine GroKo aus Union und SPD folgen würde.

Doch Enzensbergers Betrachtungen signalisieren eine gewisse Ähnlichkeit der Themen und Ereignisse. Krisen der ‚sozialen Marktwirtschaft‘ und der überkommenen Gesellschaft, der globale Ost-West-Konflikt führten in wenigen Jahren zu einer vorsorglichen Umgestaltung des staatlichen Gefüges. Der politisch gewollte Import von ‚Gastarbeitern‘ veränderte die materielle Kultur, änderte aber nichts an der anarchistischen Schlamperei vorherrschender Integrationsunwilligkeit in Politik und Gesellschaft. Reform geschah einfach banal im Sinne einer einseitig konservativen Prävention nur schwer beherrschbarer Konflikte - zwischen demokratisch angehauchten Sehnsüchten und den Lügengebäuden des autoritären Miefs.

Wachsender Widerstand in Wechselwirkung mit drängendem Bedürfnis nach mehr Demokratie wurde zuerst hofiert und dann geschlagen. Auf humane Weise wurden derartige Gemütsregungen nur in exklusiven Zirkeln bearbeitet, was ähnlich auch in der DDR galt. Wer politische Reformen herbeisehnte (Schul- und Hochschulreformen, Mitbestimmung bzw. Partizipation, Ehe und Familie …) konnte schnell und leicht verzweifeln. Denn Reform zielte nicht auf Erleichterung und Verbesserung der gesellschaftlichen Verhältnisse.

Eisern hielten die elitären Klüngel an ‚Dreigliedrigkeit’ der Bildungseinrichtungen fest, an der Auffassung , Technik sei das natürliche Lösungsmittel der Probleme. Die Neigung, alles und jedes zu biologisieren und überschwenglich zu personalisieren, mochte aufklärerisch erscheinen. Man wollte zwischen klerikaler und antiklerikaler Missionierung quasi-neutral auf der Höhe evoluionstheoretischen Denkens sich bewegen. Diese Denk-Klicks leben bis heute unhinterfragt in Worten wie ‚Industrie 0.4‘, ‚Intelligenz‘, ‚Gene‘ etc. weiter.

Dem Selbstanspruch des Grundgesetzes, Freiheits- und Menschenrechte nicht nur in der geschriebenen Verfassung zu verankern, sondern im lebendigen Bewusstsein der Bürger, wurde in der politischen Praxis, besonders von den Unionsparteien, mit Hohn und Spott begegnet. Soll man etwa ständig ‚mit dem Grundgesetz unterm Arm herumlaufen‘? Eine ähnlich reaktionäre Figur wie der zwanzig Jahre später erfundene ‚Gutmensch‘.

Doch war diese Rückwärtsgewandtheit nur im Konsens mit der Sozialdemokratie eine wirkliche Macht, die strukturell für den bundesdeutschen Staat bei Bedarf eine GroKo als Form des Regierens bestimmen konnte. Die gesellschaftlichen Mentalitäten entbehrten einer hinreichend substanziellen Widerstandsfähigkeit gegen die menschenfeindlichen Machthaber der Vergangenheit, welche den engsten 'nationalen' Standpunkt in den Himmel gehoben hatten - um ihn zu zerschmettern. Die zwiespältigen und zweifelnden Bewusstseinsströmungen konnten als Resultat einer 'Bewusstseinsindustrie' verstanden und angesichts einer zersplitterten, handlungsunfähigen ‚Linken‘ pragmatisch unter Regie der Unionsparteien zusammengeführt werden.

Vorher war die stalinistische KPD von Bundesregierung und Bundesverfassungsgericht abgefertigt und verboten worden, als deren politisches Gewicht nahezu bedeutungslos und die Wiedererrichtung des Kasernenhofs in den beiden deutschen Staaten spruchreif geworden war. Die Rede vom ‚CDU-Staat‘ für die Bundesrepublik ('Bonner Republik') war begründet und die SPD als zweite Geige gestimmt.(In semantischer Hinsicht ist vor einer mechanistischen Verwendung des 'SED-Staats' zu warnen).

Die Bundesrepublik als integraler Bestandteil des damaligen Ost-West-Konflikts nahm in den ersten 60er Jahren nur langsam Kurs auf die strukturelle Möglichkeit der Politik. Nachdem Strauß und Adenauer in arroganter Machtüberschätzung das deutsche Nachrichtenmagazin (‚SPIEGEL-Affäre‘) nicht hatten kalt stellen können, musste neben anderen Vorkehrungen hinter den Kulissen die erste GroKo vorbereitet werden.

Dabei war interessant, dass den ‚Volksparteien‘, einschließlich ihrer bayerischen Schwester, keine bessere Lösung einfiel, als dem geläuterten Nazi Kurt Georg Kiesinger die ‚Richtlinien der Politik‘ für 3 Jahre in die Hände zu legen. Zuvor war das ‚Wirtschaftswunder‘, personifiziert in Ludwig Ehrhard, mit dem Konzept der ‚formierten Gesellschaft‘ kläglich und klaglos gescheitert. Dies gilt jedoch beileibe nicht für die verheerenden ideologischen Wirkungen, die von den Programmen des US- amerikanischen Kapitalexports ausgingen (Marshall-Plan).

Die Tätigkeit der GroKo umfasst dann die gesetzliche Einrichtung einer vorsichtigen Wirtschaftsplanung (‚Stabilitätsgesetz‘), die ambivalente Regulierung staatlicher Notstände (‚Notstandsverfassung‘) und die Einhegung des sozialdemokratischen Konzepts der ‚neuen Ostpolitik‘ bzw des ‚Wandels durch Annäherung‘.

Diese Präventionspolitik mit schwer messbaren Wirkungen, vor allem im Wechselverhältnis mit der 68er Bewegung und den internationalen Konflikten, floss 1969 nach dem formellen Ableben der ersten GroKo in eine sozial-liberale Koalition. Denn die Unionsparteien verpassten nur knapp die absolute Mehrheit und waren damit stärker als heute. Es fehlten ihnen jedoch in Bonn 7 Abgeordnete zum Regieren.

Die FDP als Mehrheitsbeschaffer konnte nach dem Strauß-Attentat auf die Pressefreiheit im autoritären Staat allmählich Morgenluft schnuppern, musste sich ihrer ‚alten Garde‘ entledigen. Ihr atypisches Bündnis mit der SPD (in Bonn) hielt jedoch immerhin 13 Jahre, nach der staatlichen ‚Einheit‘ das der Bündnisgrünen mit der SPD unter Schröder nur 7 Jahre. Wir reden hier nicht vom Inhalt der Politik, also davon, inwieweit unter einer SPD-geführten Regierung die Union stets ihren Einfluss auf die Formulierung von Gesetzen geltend machen kann. Ganz zu schweigen von ihrem Streben, z.B.der SPD immer und überall, offen oder versteckt, das Odium der Unzuverlässigkeit anzuhängen.

Ich meine nun nicht, dass die Lobesrede von der liberalen Bürgerlichkeit oder die Warnung vor ihrem vermeintlichen Gegensatz, der ‚sozialistischen Mottenkiste‘, nur fauler Zauber einer endlosen Agitprop-Show ist. Die von der CSU ausgehenden Töne am Vorabend einer wahrscheinlichen dritten GroKo, beziehungsweise einer unmittelbar sich vertiefenden Krise des deutschen parlamentarischen Systems sind jetzt vom Journalisten Arno Widmann eingefangen und reflektiert worden.* Ex-Mautminister Alexander Dobrindt wird von ihm zitiert: „Es gibt keine linke Republik und keine linke Mehrheit in Deutschland“. Und: „Wir brauchen den Aufbruch in eine neue, konservative Bürgerlichkeit, die unser Land zusammenführt, unsere Wertegemeinschaft stärkt und unsere Freiheit verteidigt“.

Widmann notiert an die Adresse überzeugter Demokraten Dobrindts Intention als ‚Revolution rückwärts‘, was so viel wie reaktionärer Schwachsinn mangels produktiver politischer Phantasie ist. Auf der Ebene politischer Polemik ließe sich da ein Körnchen Wahrheit finden. Jedoch der Stachel scheint mir schmerzhafter zu wirken und vor allem tiefer zu sitzen. Ich meine, es waren in den letzten Monaten seit der Septemberwahl bei Merkel und Seehofer der Schmerz und die Furcht als Folge ihrer Wahlschlappe wahrzunehmen, die den Gedanken an unerwartete, plötzliche Ausweg- und Machtlosigkeit weckten. Auch war nach dem Scheitern von ‚Jamaika‘ der gemütliche Trott bzw. die Dummheit der Technokraten in der Führung der SPD wie weggeblasen.

An ihre Stelle trat eine gewisse Beflissenheit, eine Note nationaler Rhetorik in Verbindung mit europäischer Reformnot, was hoffentlich keine Schnaps-Idee war: Ohne eine Kräftigung der EU wird in Deutschland nichts. So ist es. Und wenn Merkel und Seehofer, Schulz und Gabriel ab sofort ihren diversen Sprechblasen- Produzenden nicht ihre schlechten Gewohnheiten austreiben, denn die wollen von ihrem Glauben an das Erfolgsrezept der AFD nicht lassen, dann werden sie relativ schnell ihr ‚blaues Wunder‘ erleben.

*Zum Beispiel im Leitartikel der Frankfurter Rundschau vom 11. Januar 2018


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Geschrieben von

Ernst H. Stiebeling

Diplomsoziologe.Als Lehrer gearbeitet.Freier Publizist.Kultur-,Wissenschafts-,Politikthemen

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